365 Schicksalstage. Johannes Sachslehner

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der Vögel, die in den habsburgischen Ländern getötet werden, ist hoch; genaue Zahlen sind etwa aus dem Land ob der Enns überliefert, wo etwa in der Herrschaft Steyr im Jahr 1751 insgesamt 510 Spatzenköpfe abgeliefert werden.

       Kaiser Franz II. proklamiert innere Erneuerung

      Wenige Wochen nach Austerlitz (siehe 2. Dezember). Napoleon und seine Grande Armée sind abgezogen, Mitte Januar 1806 kehrt Kaiser Franz I. zusammen mit Johann Philipp Graf Stadion (1763 – 1824), seit Weihnachten neuer Leiter der Staatskanzlei, aus dem „Exil“ im ungarischen Holics zurück nach Wien. Nach der Unterzeichnung des bitteren Friedens von Pressburg am 26. Dezember 1805, der dem Habsburgerreich den Verlust von Tirol und Vorarlberg sowie von Vorderösterreich, Venetien, Istrien und Dalmatien gebracht hat, sind Reformen dringend notwendig. Kaiser Franz ist zwar nicht unbedingt ein Mann von großer Tatkraft, doch er hört auf seinen Kanzler, den Grafen Stadion. Und dieser rät ihm, sich mit einer Proklamation an das Volk zu wenden; Stadion arbeitet wohl auch am Text mit, der einige für Habsburg ungewohnte Töne anschlägt. In der Stunde der Not ist Franz auch bereit, „alle Volksklassen mitwirken“ zu lassen – was immer das auch heißen mag:

      „Ich kenne kein anderes Glück, als das Glück dieser Völker, keinen höheren Ruhm als Vater dieser Völker zu seyn, die an Biedersinn, an fester und unerschütterlicher Treue, die an reiner Liebe zu ihrem Monarchen und ihrem Vaterlande keiner Nazion (sic!) Europas nachstehen. Sie haben durch schöneren Nazional-Charakter selbst dem Feinde eine unwillkürliche Achtung abgezwungen … Die Wunden, welche der Krieg schlug, sind tief … Die Staatsverwaltung hat mehr als jemals große und schwere Pflichten zu erfüllen; sie wird sie erfüllen, aber sie hat auch mehr als jemals die höchsten Rechte auf die Mitwirkung aller Volksklassen … Durch das wechselseitige Band des Vertrauens und der innigsten Liebe mit meinen Unterthanen verbunden, werde ich nur dann erst glauben, meinem Herzen als Fürst und Vater genug gethan zu haben, wenn Österreichs Flor fest gegründet, wenn vergessen ist, was seine Bürger litten und nur das Andenken an meine Opfer, an ihre Treue und an ihre hohe unerschütterliche Vaterlandsliebe noch lebt.“

      Große Worte und große Versprechungen, die allerdings nicht so schnell verwirklicht werden können; Stadion gibt immerhin die Richtung vor: Straffung der Wiener Zentralverwaltung, Förderung der Entwicklung in den Provinzen und Errichtung einer „Nationalmiliz“, wie dies auch von Erzherzog Carl gefordert wird. Man will Napoleon in einem Entscheidungskampf gegenübertreten …

       Der Lucona-Skandal

      Ein herrlicher Tag wölbt sich über den Indischen Ozean. Ein leichter Wind weht aus Nordost, das Meer weist kaum Wellengang auf. Da Sonntag ist, haben die Matrosen auf dem Massengutfrachter „Lucona“ dienstfrei; das Schiff, das zu Mittag die Position 8.50° nördliche Breite, 70,30° östliche Länge erreicht, fährt mit automatischer Kurssteuerung und hält auf die Südspitze der Insel Minicoy zu. Ziel der „Lucona“ ist Hongkong, die Ladung: eine angeblich 212 Millionen Schilling (= etwa 15,4 Millionen Euro) teure Uranerzaufbereitungsanlage, die im italienischen Chioggia im Auftrag der Schweizer Firma Zapata AG verladen worden ist – tatsächlich handelt es sich um Schrott. Persönlich anwesend bei den Verladungsarbeiten ist der Drahtzieher dieses Geschäfts, der Prokurist der Wiener Hofzuckerbäckerei Demel, Udo Proksch (1934 – 2001), Gründer des Clubs 45 und umtriebiger Netzwerker. Zusammen mit seinem Komplizen, dem deutschen Staatsbürger Hans Peter Daimler, hat Proksch dafür gesorgt, dass die Fracht der „Lucona“ bei der Bundesländer-Versicherung auf diesen vorgetäuschten Wert versichert worden ist; mit an Bord werden in Chioggia auch Sprengstoff und ein entsprechender Zündmechanismus geschmuggelt …

       Riss bei seinem Untergang sechs Menschen mit in den Tod: der Frachter Lucona.

      Um 14 Uhr verlässt Kapitän Jacob Puister aus Holland das Steuerhaus und legt sich schlafen; seine Frau Adriana, genannt „Janette“, nimmt auf der Brücke ein Sonnenbad; das Steuer übernimmt der 1. Offizier Jacobus Nicolaas „Joop“ van Beckum. Als dieser um 16 Uhr in den Kartenraum geht, um die Position zu bestimmen, zerreißen plötzlich zwei gewaltige Explosionen die Stille – Vorder- und Mittelschiff sind schwer beschädigt, das Leck so riesig, dass die „Lucona“ bereits nach einer Minute zu sinken beginnt. Der Kapitän, seine Frau, der 1. Offizier und weitere drei Besatzungsmitglieder können im letzten Moment über Bord springen und sich in ein Dingey retten; sechs Menschen sterben.

      Der so raffiniert eingefädelte Coup scheitert: Die Bundesländer-Versicherung schöpft Verdacht und zahlt die Versicherungssumme nicht aus; die Ermittlungen gegen Proksch stocken jedoch, da seine Freunde in eder Politik ihn jahrleang abschirmen. Erst die peniblen Aufdeckungsarbeiten der Journalisten Gerald Freihofner und Hans Pretterebner – 1987 erscheint dessen Bestseller Der Fall Lucona – führen zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und zur Verhaftung von Proksch und Daimler; ein Tauchroboter spürt das Wrack der „Lucona“ auf. 1992 wird Udo Proksch wegen sechsfachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; er stirbt 2001 in der Haftanstalt Graz-Karlau.

       Der „Herrgott von Auschwitz“ und die „Bestie“

      Das Montelupich-Gefängnis in Krakau. Ursprünglich als Kaserne für die k. u. k. Armee Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, wird das düstere Gebäude am nördlichen Rand des Stadtzentrums 1905 Sitz eines Militärgerichts, bald darauf adaptiert man es auch als Gefängnis. Während der deutschen Besatzungszeit dient es der Gestapo als „Sicherheitspolizeigefängnis“, Mord und Folter sind an der Tagesordnung; auch Oskar Schindler, mit Hilfe von „Schindlers Liste“ der Retter von 1.000 Juden aus dem KZ Pł​aszów, wird hier zweimal kurz festgehalten. Nun jedoch ist für die Polen der Tag der „Abrechnung“ gekommen: Gleich 21 Hinrichtungen stehen an diesem Wintertag des Jahres 1948 an: 19 SS-Männer und zwei Frauen finden sich auf der Todesliste, alle in den Krakauer Auschwitzprozessen zum Tode verurteilt. Unter den 21 Delinquenten sind auch ein Österreicher und eine Österreicherin: Maximilian Grabner, der Leiter der Politischen Abteilung im KZ Auschwitz, genannt der „Herrgott von Auschwitz“, und Maria Mandl, genannt „die Bestie“, die als „Arbeitsdienstführerin“ von August 1943 bis Januar 1944 gemeinsam mit dem „Schutzhaftlagerführer“ Franz Hößler im Frauenlager Auschwitz über Leben und Tod bestimmt hat.

      Maria Mandl, 1912 als Tochter eines Schuhmachermeisters im oberösterreichischen Münzkirchen geboren, beginnt ihre „Karriere“ als Aufseherin im Oktober 1938 im KZ Lichtenburg; am 15. Mai 1939 wird sie „Kommandoführerin“ im KZ Ravensbrück und beeindruckt die vorgesetzten SS-Stellen durch die grausame Misshandlung von inhaftierten Frauen. Anfang Oktober 1942 wird sie ins KZ Auschwitz-Birkenau versetzt, wo sie ein wahres Schreckensregiment errichtet. Da sie Musik liebt, fördert sie das Mädchenorchester von Auschwitz, in dem Alma Rosé, die Nichte Gustav Mahlers, als Dirigentin mitwirkt.

      Maximilian Grabner, 1905 in Wien geboren, verdient sich in den 1920er Jahren seinen Lebensunterhalt noch als Holzfäller; 1932 tritt er der NSDAP bei, 1938 der SS und wird 1940 nach Auschwitz versetzt. Sein „Aufgabenbereich“: das Verhören und Foltern von Häftlingen und die berüchtigten „Bunkerentleerungen“, bei denen Häftlinge willkürlich erschossen werden – Grabner entwickelt dabei eine Mordlust, die selbst der SS unheimlich wird: Er wird am 1. Dezember 1943 von seiner Funktion entbunden und von SS-Richter Konrad Morgen wegen Korruption und der Erschießung von 2.000 Häftlingen ohne Exekutionsbefehl angeklagt. Der Prozess der SS gegen ihn verläuft im Sande; nach Kriegsende wird

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