Gesundes Gift. Franz Kabelka
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„Vielleicht lässt sich ja später mit Ihrem Material etwas anfangen. Dieser Ayurvedaboom hat ja eben erst begonnen“, murmelte Fillinger. Es sollte wie ein Trost klingen, aber sie wusste es richtig einzuschätzen – als Vertröstung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Sie hatte genügend Erfahrung damit, dass ein einmal verworfenes Thema so schnell nicht mehr auf die Agenda kam.
„Ja, vielleicht“, sagte sie und bewegte sich in Richtung Tür.
„Ach, eins noch“, sagte Fillinger. Aber dann überließ er es doch Glenk, den Satz fortzusetzen.
„Schau bitte Bernds Sachen durch und sortier aus, was an seine Frau gehen soll und was in der Redaktion verbleibt.“
Sie nickte und legte die Hand auf die Türklinke. „Wann … wann ist das Begräbnis?“, fragte sie halb über die Schulter hinweg.
„Das wird so lange wie möglich hinausgeschoben. Frühestens nächsten Donnerstag.“
„Warum das?
„Erstens, weil der Leichnam noch nicht einmal überführt worden ist.“
„Und zweitens?“
„Weil die hiesige Staatsanwaltschaft eine Obduktion beantragt hat.“
„Wozu? Ich dachte, es sei ein Verkehrsunfall gewesen?“
„Schreibt jedenfalls die Botschaft. Und die beruft sich auf die Polizei von Pondicherry. Aber ich denke auch, dass es nicht schadet, das noch einmal mit unseren Mitteln zu überprüfen.“
Mit unseren Mitteln, mit ihren Mitteln … Da war sie wieder, die elende Grundsatzdiskussion, mit der sie sich die letzten Wochen hatte herumschlagen müssen. Moderne westliche Methoden gegen uralte östliche. Systemwechsel, Paradigmenwechsel, wie Thomas Mitterer es nennen würde. Wie auch immer: Welche Rolle spielte das alles jetzt, wo Bernd doch tot war? Ihr Kollege und Partner, ihr heimliches Vorbild. Ja, darauf lief es wohl hinaus: auf ein posthumes Geständnis.
Sie zog die Tür hinter sich zu und stolperte die Stiege hinab. Zwischen dem dritten und zweiten Stock stützte sie den Kopf gegen die Wand.
Dann ließ sie fließen, was aus ihr herausmusste.
*
Bernd Lussnigs Schreibtisch war das reine Chaos. Sie hatte sich zwei Bananenkartons aus dem Supermarkt gegenüber besorgt und begann die Sachen in den linken oder rechten Karton zu packen, je nachdem, ob sie im Haus verbleiben oder an Bernds Frau Lili gehen sollten. In den meisten Fällen war offensichtlich, was in welche Schachtel gehörte. Erst als sie in einer Schublade auf eine dicke, knallgelbe Mappe stieß, die sie schon einmal gesehen hatte, musste sie einen Augenblick überlegen. In der Mappe, das wusste sie aus ihren gemeinsamen Besprechungen, pflegte Bernd alle möglichen Unterlagen abzulegen, die zu ihrem aktuellen Thema angefallen waren. Nun ja, jetzt war es ja nicht mehr aktuell. Sie knüpfte das schwarze Stoffband auf, klappte die Flügel auseinander. Ein letzter Blick auf unsere gemeinsame Arbeit, dachte sie.
Zuoberst lag Pipers Schwermetallstudie, von der sie ebenfalls eine Kopie besaß. Die Seiten waren, wie sie überrascht feststellte, mit handschriftlichen Anmerkungen vollgesudelt. Und das, obwohl Bernd vorgeschlagen hatte, dass sie die Studie übernehmen und das Interview mit dem Verfasser machen sollte. Dennoch hatte auch er sich offenbar intensiv damit befasst. Was ließ sich daraus folgern? Dass er, der alte Kontrollfreak, ihr zu wenig vertraute? Oder, umgekehrt, dass er Mitleid mit ihr gehabt hatte, weil sie bei ihren Recherchen in der österreichischen Provinz herumlurchen musste, während er sich in exotische Gefilde begab? Hatte er ihr deshalb wenigstens die American connection überlassen?
Unter der Studie fand sich ein Sammelsurium an Notizzetteln und Adressen. Ein Zettel im Format einer Eintrittskarte fiel zu Boden. Sie hob ihn auf. Es war tatsächlich eine Kinokarte. Der Filmtitel, der an diesem Tag im Cine Center am Fleischmarkt gelaufen war, war nicht mehr zu entziffern, wohl aber das Datum: 8. Juni 2012. Wenn sie sich nicht irrte, war Bernd genau zwei Tage später abgeflogen. Nach Chennai anstatt nach Trivandrum.
Sie drehte den Zettel nachdenklich zwischen ihren Fingern. Erst jetzt bemerkte sie den handschriftlichen Vermerk auf der Rückseite. Dass er von Bernd stammte, war eindeutig – alle Buchstaben waren kleingeschrieben und schwer zu entziffern. Vielleicht die letzten Schriftzeichen, die sie von ihm zu Gesicht bekommen würde.
flug umbuchen! → chap → kk, auroville
Sie steckte die Kinokarte in die Brusttasche ihrer Jeansjacke. Dann band sie die gelbe Mappe wieder zusammen und warf sie in den rechten, für Lili bestimmten Karton. Für Frieda war das Thema gestorben, und niemand sonst in der Redaktion würde es sich antun, es noch einmal aufzurühren. Alleine die Zeit, die sie mit der Lektüre von Studien und Fachbüchern verbracht hatte … Und all die unbezahlten Stunden, die für sinnlose Diskussionen, wie für jene mit Emma, draufgegangen waren … Selbst wenn daraus jemals ein ordentlicher Artikel geworden wäre: Der Stundenlohn dafür hätte sich nie und nimmer gerechnet!
Sie blickte auf die beiden Bananenschachteln hinab. Die mit den für Bernds Witwe bestimmten Sachen war nur halb voll. Die gelbe Mappe stach daraus hervor wie eine blühende Sonnenblume aus einer Müllhalde.
„Nein“, murmelte sie plötzlich. Holte die Flügelmappe wieder aus der Schachtel und steckte sie in ihre Handtasche. Sie würde die Unterlagen sicher bald wegwerfen. Aber irgendwie, sagte ihr ein Bauchgefühl, war es dafür noch nicht an der Zeit.
E-Mail-Verkehr mit Dr. Richard Piper, Boston
Von: [email protected]
Gesendet: Freitag, 22. Juni 2012 09 : 11
Betreff: Anfrage
Sehr geehrter Dr. Piper,
mein Name ist Frieda Prohaska, ich bin Journalistin bei der österreichischen Wochenzeitschrift opinion. Zusammen mit meinem Kollegen Bernd Lussnig arbeite ich zurzeit an einem umfassenden Bericht über Ayurveda. In diesem Zusammenhang sind wir auf die Studie gestoßen, die Sie letztes Jahr in JAMA publiziert haben und in welcher Sie massive Grenzwertüberschreitungen bei Quecksilber, Blei und Arsen in vielen via Internet erhältlichen Ayurvedaprodukten nachgewiesen haben.
Ich würde Sie ersuchen, mir in diesem Zusammenhang einige Fragen zu beantworten. Gerne rufe ich Sie in Boston an, ein Telefonat via Skype wäre vielleicht am einfachsten. Ich kann Ihnen für ein solches Hintergrundgespräch kein Honorar in Aussicht stellen, eine pauschale Aufwandsentschädigung nach dem bei Ihnen üblichen Stundensatz können Sie uns aber gerne verrechnen. Teilen Sie mir bitte mit, ob Sie dazu bereit wären und in welcher Form Sie das Gespräch abwickeln möchten. Natürlich wäre es auch möglich, unsere Fragen per Mail zu beantworten.
Mit besten Grüßen aus Wien
Frieda Prohaska
Von: [email protected]
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