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„Verdammt, Emma, fängst du jetzt auch noch an mit dieser Masche! Wenn ich etwas hasse, dann ist es das Geschwafel vom je eigenen Anteil, vom unbewältigten Problem, das jeder, der etwas kritisiert, angeblich mit sich herumschleppt. Als ob es nichts Objektives mehr gäbe. Die objektive Scheiße, die sich durchaus beschreiben lässt, ohne dass man sich zu ihr in die Kloschüssel legen muss.“
„Die klinisch saubere Diagnose meinst du? Wissenschaft als Religionsersatz? Aber vielleicht machst du es dir doch ein bisschen zu einfach. Ich weiß ja, was du über Gott und die Welt denkst oder besser gesagt über den Umgang von unsereins mit Gott. Von wegen, wer da wen gezeugt hat, wer da wen braucht. Du hast es mir oft genug gepredigt.“
Emma legte eine kleine Pause ein, vermutlich um die Gewichtigkeit der nachfolgenden Worte zu untermauern.
„Trotzdem glaube ich, dass auch du nicht so sicher bist, wie du tust. Und ist es ein Wunder? Wovon letztlich eine Wirkung ausgeht, können wir doch nicht allein chemisch-analytisch bestimmen, Frieda! Von wem stammt das Zitat Wer heilt, hat recht?“
„Vergiss es! So, wie der Spruch heute ständig verwendet wird, wenn der Hintergrund eines Heilungsprozesses nicht bekannt ist, ist er unredlich! Warum wohl führen ihn gerade die sogenannten Naturheiler und Komplementärmediziner ständig im Mund? Auch wenn es einem Patienten egal sein mag, was genau zu seiner Heilung beigetragen hat – für einen Mediziner ist es doch ein Armutszeugnis, wenn er akzeptiert, dass der Weg zum positiven Ergebnis nicht nachvollziehbar ist. Evidence based medicine, Emma! Die Ursache für eine bestimmte Wirkung mag nicht immer bekannt sein – aber messbar sollte sie wohl in jedem Fall sein. Freilich, eine bloß behauptete Wirkung braucht keine nachweisbaren Messdaten. Ich meine, wenn diese Heinis nur einen Funken Medizinerehre im Leib hätten, würden sie die angebliche Wirksamkeit ihrer Methoden und Mittel doch überprüfen wollen, mit Handkuss! Aber indem sie die Schulmedizin ablehnen, bestreiten sie zugleich jede wissenschaftliche Überprüfbarkeit und drücken sich vor jeglicher Verantwortung. Weißt du, wie viele Akademiker alleine unter meinen Bekannten so gestrickt sind? Und das sind oft dieselben, die die Herkunft jedes billigen T-Shirts penibel hinterfragen: Es könnte ja in Bangladesch von Kinderhänden hergestellt worden sein, oder die Baumwolle wurde womöglich nicht nach ökologischen Kriterien angebaut. Tolle Logik, tolle Konsequenz, nicht?“
Sie wurden durch die Stimme Billie Holidays unterbrochen.
Don’t know why, there’s no sun up in the sky, stormy weather. Frieda entschuldigte sich und angelte das Handy aus ihrer Handtasche. glenk stand auf dem Display, absichtlich kleingeschrieben. Sie konnte den Chef der Wissenschaftsabteilung nun einmal nicht ausstehen. Glenk teilte ihr mit seiner schnarrenden Stimme mit, sie möge ihre Sachen packen und morgen in aller Früh in die Redaktion kommen. Worum es ging, wolle er am Telefon nicht sagen.
„Morgen? Du weißt schon, dass ich mir für morgen freigenommen habe?“
„Doch, morgen. Punkt acht in der Redaktion. Anordnung von God himself.“
Schöne Scheiße! Wenn Glenk den Chefredakteur ins Spiel brachte, war klargestellt, dass sie es gar nicht erst mit einer Ausrede versuchen musste. Was gleichzeitig bedeutete, dass sie auf die letzte lange Nacht des Festivals, normalerweise der feuchtfröhliche Höhepunkt, verzichten musste. Ade, mein fescher Fiedler! Und ewig schade auch um das Abendkonzert mit Roland Neuwirths Extremschrammeln, ihrer Lieblingsband. Aber angetrunken und im Dunkeln konnte sie unmöglich die hundertfünfzig Kilometer von Litschau nach Wien zurückfahren.
Obwohl das Telefonat nicht länger als eine Minute gedauert hatte, kam die Diskussion mit Emma danach nicht mehr so recht in Gang. Und da die Gastgeberin ohnehin erklärt hatte, dass sie nur bis fünfzehn Uhr Zeit habe (der wöchentliche Yogakurs, leider, den dürfe sie auf keinen Fall versäumen!), erhob sich Frieda aus dem Schneidersitz. Sie küssten einander zum Abschied auf die Wangen. Dreimal, wie es sich gehörte oder wie man es ihnen jedenfalls damals auf der Interrailreise beigebracht hatte. Das Geschmuse hatte sich schon einmal herzlicher angefühlt.
Als Frieda in den Lift stieg und Emmas kleine, zarte Hand ihr ein letztes Mal durch die milchige Scheibe zuwinkte, gab es ihr einen Stich in der Brust: Et tu, Brute! Schon das Interview mit Thomas Mitterer hatte ihr gezeigt, wie selbst ausgebildete Chemiker begannen, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Es war ein Sumpf, der unaufhaltsam mächtiger und tiefer wurde und jeden verschlang, der sich ihm näherte. Diese Wirkung jedenfalls war unbestritten, evident. Dafür brauchte es keine Beweise.
Irritierend nur, dass Emmas Satz auch ein paar Stunden später noch in ihr arbeitete: Wovon letztlich eine Wirkung ausgeht, können wir doch nicht allein chemisch-analytisch bestimmen.
5
Als sie die Redaktion betrat, spürte sie sofort, dass etwas passiert war. Statt der üblichen Betriebsamkeit herrschte eine gedrückte Atmosphäre. Dicke Luft trotz des weit geöffneten Fensters.
Glenk kam aus seinem Glasverschlag und versuchte, ihr die Jacke abzunehmen. Aber sie war schneller. Wenn sie etwas hasste, waren es diese patriarchalen Gesten. Außerdem passte es nicht zu Glenk, dem Grantler, wenn er sich als Gentleman aufspielte. Höchstens wie die Faust aufs Auge.
„Kommen S’, wir gehen rauf“, brummte er und stapfte los, ohne auf ihre Reaktion zu warten. Sie trottete hinter ihm her. Fillinger logierte im vierten Stock, und der Lift war wieder einmal außer Betrieb. Vermutlich ließ ihn Fillinger absichtlich nicht reparieren, weil er dadurch zu ein bisschen Bewegung genötigt wurde. Was ihm auch durchaus nicht schadete.
Das Büro des Chefredakteurs war spartanisch eingerichtet. Nur ein Foto seiner Familie im Holzrahmen zierte den Schreibtisch, sonst fand sich im ganzen Raum nichts Persönliches. Das Berufliche und das Private trennen, so lautete schließlich sein Credo. Eines von vielen.
„Sie werden gleich verstehen, warum wir Sie auf die Schnelle zurückholen mussten“, sagte Fillinger. Er gab sich gar nicht erst die Mühe, sie zu begrüßen. „Tja, es hat leider einen schlimmen Vorfall gegeben. Einen sehr schlimmen.“ Er räusperte sich. „Glenk, sind Sie bitte so gut und klären Sie Frau Prohaska auf?“
In Friedas Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Was zum Teufel hatte es zu bedeuten, wenn Fillinger von schlimm sprach? War es nun so weit, würde man ihr endgültig den Laufpass geben? Hatte Dr. Weinzierl sich über sie beschwert, weil sie bei ihrem Besuch in der Klinik ein Fläschchen Öl hatte mitgehen lassen, um es chemisch analysieren zu lassen? Ein Diebstahl, der nicht nur unethisch, sondern auch umsonst gewesen war, weil ihr die Phiole im Suff schlicht und ergreifend aus der Hand gerutscht war und sich ihr Inhalt auf den Parkettboden der Pension Nachtruh ergossen hatte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ihre etwas eigentümlichen Recherchemethoden Probleme nach sich zogen. Das letzte Mal hatte die größte Tageszeitung des Landes gedroht, opinion zu klagen, falls man es wagen würde, die unter Vorspiegelung einer falschen Identität erworbenen Kenntnisse über die finanziellen Machenschaften des mächtigen Käseblatts zu veröffentlichen, vor dem bis hin zum Kanzler alle den Schwanz einzogen. Okay, ihre Methode war nicht eben neu gewesen, andere waren damit schon berühmt geworden. Aber es machte nun einmal einen gewaltigen Unterschied, ob man Wallraff oder Prohaska hieß. Fillinger hatte sie damals mächtig zusammengeschissen und ihr offen mit Kündigung gedroht. Die Recherchearbeit von drei Monaten durfte sie unter „außer Spesen nichts gewesen“ verbuchen. Seither war es ihr nicht mehr gelungen, mit ihren Geschichten auf die Titelseite zu kommen. Das war weder für die Geldbörse noch für das journalistische Ego gut.
„Bernd