Gesundes Gift. Franz Kabelka
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Den beiden Damen verzieh Frieda nahezu alles. Auch, dass sie von ihnen nach all den Jahren noch mit Fräulein angeredet wurde. Seit sie 2007 auf die Pension gestoßen war, hatte sie sich keine andere Bleibe mehr gesucht, wenn sie Anfang Juli alljährlich zum Schrammelklangfestival nach Litschau kam, zurückkehrte in ihre alte Waldviertler Heimat. Rosa und Martha hatten diese drei L zu bieten, die sie auszeichneten unter allen Weibern, wie es in der Bibel hieß, vor allem unter allen Pensionsbesitzerinnen: Sie waren liebenswürdig bis zum Gehtnichtmehr, locker im Umgang und – ledig. Alte Fräuleins, wie sie selber von sich sagten, und wenn auch äußerlich gezeichnet durch Falten, gichtige Hände und verkrümmte Rücken, waren sie doch niemals grantig oder gar schrullig wie manche ihrer Schicksalsgenossinnen. Nichts weniger als bewundernswert, wie Frieda fand. Deshalb quartierte sie sich auch jedes Jahr wieder in der Pension Nachtruh ein. Der günstige Preis für das saubere Einzelzimmer – kleiner Erker und Blick auf den Herrensee inklusive – war auch kein Nachteil.
Penzdorf, ihr Penzdorf, hatte sie trotz der Nähe zu Litschau nie mehr besucht. Nicht hart wie Kruppstahl, nein, hart wie P, so sagte man bei ihnen zu Hause und meinte das eigene Dorf damit. Was auch passte, denn die meisten Penzdorfer waren hart im Nehmen und noch härter im Austeilen, beinhart bis in die Weichteile hinein. Seit Mutter tot und das Elternhaus verkauft war, hatte sie es vermieden, diesen Boden zu betreten, wo sie immerhin das Licht der Welt erblickt hatte. Aber es war zu wenig Licht in dieser Welt gewesen, viel zu wenig, und der eisige böhmische Wind war durch den dicksten Lodenjanker gepfiffen bis hinein ins Herz. Ja, Penzdorf und Prohaska – das waren zwei P, die einfach nicht zusammenpassten. Aber sie erinnerte sich noch an jeden Baum dort, an jeden einzelnen Findling. Von denen gab es auch genug in der Gegend, in dieser Hinsicht waren die Penzdorfer wirklich steinreich. Eingeklemmt zwischen drei Hügeln lag das Dorf da, mit seinen granitenen Kobel- und Wackelsteinen in den moorigen Wiesen und Kornfeldern, die den Bauern die Bewirtschaftung erschwerten. Jene gewaltigen Felsbrocken, die seit dem Rückzug der Gletscher hier herumlagen, wenn nicht, wie ein Mythos besagte, noch viel länger, nämlich seit der Teufel höchstpersönlich in einem Tobsuchtsanfall gegen Gott und die Welt mit ihnen um sich geworfen hatte.
Ihre Abneigung gegen Penzdorf hatte zum Glück nicht auf andere Waldviertler Kaffs abgefärbt, und Litschau war ihr von allen das liebste. Dieses Mal war Frieda in der einmaligen Situation, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden zu können, indem sie den Besuch des Schrammelklangfestivals mit Recherchen und Interviews zu ihrem neuen Projekt kombinierte. Nun ja, so ganz als ihr Projekt durfte sie es wohl nicht bezeichnen, wenn sie ehrlich sein wollte. Sie spielte schließlich nur eine Nebenrolle. Denn während sie in der nördlichsten Gemeinde Österreichs hockte, durfte sich Kollege Lussnig mit den internationalen Dimensionen des Themas befassen und in Indien herumkurven. Die klassische Arbeitsteilung eben, was Männlein und Weiblein betraf, da war die sonst so furchtbar progressive Redaktion von opinion um keinen Deut besser als konservative Blätter. Wobei sie sich in diesem Fall nicht einmal darüber beschwerte. Eine Auslandsreise, das war im Moment so ziemlich das Letzte, was sie anstrebte.
*
Lotte Prinz sah nicht gut aus, ganz und gar nicht. Ihr Gesicht wirkte aufgeschwemmt, und obwohl sie sich Mühe gegeben hatte, trotz der sommerlichen Wärme Hals und Dekolleté mit einem Seidentuch zu verhüllen, konnte man dort, wo das Tuch verrutscht war, scharlachrote Stellen erkennen.
„Schön, dass Sie kommen konnten“, begrüßte Frieda sie und streckte ihre Rechte aus.
Die Frau hatte ihrem Händedruck nichts entgegenzusetzen, auch sonst wirkte sie völlig kraftlos. Eine schwere Depression, lautete Friedas schnelle Diagnose. Aber vielleicht würde ja eine jede so aussehen, die dieselbe Leidensgeschichte durchlitten hatte.
„Weiß eh nicht, ob es eine gute Idee war, mich mit Ihnen zu treffen“, sagte Lotte Prinz, nahm dann aber doch auf der Eckbank Platz. Frieda schob ihr ein frisches Gedeck hinüber.
„Darf ich Sie zu einem Brunch einladen? Hier gibt es wirklich sehr leckere Kipferl.“
„Danke, aber ich hab schon gefrühstückt, um fünf. Ich steh ja praktisch jeden Tag so früh auf. Wenn man nicht schlafen kann vor lauter Jucken …“
Als müsste sie das Gesagte noch bestätigen, kratzte sie sich ausgiebig am Hals und an den Handgelenken. Erst jetzt bemerkte Frieda den Ausschlag an beiden Unterarmen. Man durfte davon ausgehen, dass auch die verhüllten Partien ihres Körpers ähnlich aussahen.
„Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich unser Gespräch aufnehmen“, sagte Frieda und griff nach ihrem Voicerekorder. „Natürlich würde ich das Aufgezeichnete nur anonymisiert verwenden.“
Lotte Prinz sprang auf und rammte dabei mit dem Knie das dicke Holz des Tischunterbaus.
„Auf keinen Fall“, rief sie mit schmerzverzerrtem Gesicht, „davon war nie die Rede!“
„In Ordnung, kein Problem, Frau Prinz. Es hätte mir nur erspart, mir schriftliche Notizen zu machen. Aber es ist wirklich kein Problem.“
Sie schob das Aufnahmegerät hinüber, um zu demonstrieren, dass sie nicht daran dachte, im Geheimen mitzuschneiden.
Rosa Tauner steckte die Nase zur Tür herein und fragte, ob sie etwas bringen dürfe.
„Nur einen Kamillentee, bitte“, sagte Lotte Prinz.
„Bitte sehr, bitte gleich“, sagte Rosa und verschwand wieder.
„Könnten Sie mir eingangs vielleicht erzählen, wieso Sie diese Klinik überhaupt aufgesucht haben? Bis jetzt weiß ich ja nur, dass Sie seither ziemliche Probleme haben …“
Friedas Stimme klang mitfühlend. Sie hatte von Lotte Prinz’ Leiden durch Emma erfahren und sofort telefonisch Kontakt zu der Litschauerin aufgenommen. Nachdem Dr. Weinzierl, der Chef der Ayurvedaklinik in Adang, Friedas Bitte um ein Interview und eine Besichtigung der Klinik brüsk abgelehnt und sie faktisch hinausgeschmissen hatte, waren Gespräche mit Betroffenen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gerückt.
Lotte Prinz erklärte, dass ihr Freunde die Klinik empfohlen hätten.
„Schauen Sie, ich habe schon alles probiert, was die Schulmedizin einem bei rheumatoider Arthritis verordnet. Und das sind ziemliche Hämmer, wie Sie sich vorstellen können: Rheutrop retard zum Beispiel oder Methotrexat, das die Immunabwehr unterbinden soll. Aber die Nebenwirkungen sind bei mir meist stärker gewesen als die versprochene Wirkung. Sogar eine Kältekur hab ich schon ausprobiert, aber die hat nur kurzfristig geholfen. Das Schlimme ist, dass ich immer wieder solche Schübe kriege. Dann schwellen alle Gelenke an und ich kann keinen Finger mehr rühren ohne Schmerzen.“ Sie stöhnte, als überkäme sie gerade wieder ein Schub.
„Und dann haben Sie sich gedacht: Probier ich halt einmal was anderes. Etwas ohne diese ganzen Nebenwirkungen.“
„Genau. Also hab ich mich in Adang für eine Kur angemeldet.“
„Teuer?“
„Natürlich. Fast dreitausend Euro, für gerade einmal zehn Tage. Und die Krankenkasse zahlt keinen Cent dazu! Aber mir war schon alles wurscht. Hauptsache, es hilft, hab ich mir gedacht, und mein Mann ist losgezogen und hat unsere letzten Spareinlagen abgehoben. Mein Kurtl unterstützt mich ja, wo es nur geht.“
Frieda nickte so empathisch sie nur konnte.
„Und dann sind Sie also auf Kur gegangen?“
„Nein, zuerst musste ich daheim noch eine Entgiftung