Gesundes Gift. Franz Kabelka

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Gesundes Gift - Franz Kabelka

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die in einem blauen Dirndl am anderen Ende der Eckbank bereitstand, um ihre Frühstückswünsche aufzunehmen. Aber Frieda wusste, dass das mit dem fröhlichen Morgenlächeln ein sinnloses Unterfangen war. Ein einziger Blick in den Badezimmerspiegel hatte ihr vermittelt, wie schrecklich sie aussah. Wie mitgenommen, verbraucht. Mit solch einer Visage ließ sich beim besten Willen kein gewinnender Gesichtsausdruck generieren. Umso aufgeräumter war dafür die Hausherrin.

      „Kaffee oder Tee, Fräulein Prohaska? Wir haben ganz frische Kipferl für Sie, mit Bauernbutter und unserer hausgemachten Heidelbeermarmelade dazu schmecken s’ am besten. Oder möchten S’ lieber ein weiches Ei? Sie können natürlich auch gern beides haben. Bei uns kriegen S’ ja noch echte Eier, mit einer g’sunden Farb. Nicht wie ein Chines, dem schlecht worden ist …“

      Rosa Tauner kicherte über ihr Sprüchlein, das sie vermutlich schon zig Pensionsgästen erzählt hatte. Frieda lächelte mühsam zurück. Sie konnte mit dem Vergleich durchaus etwas anfangen, fühlte sie sich doch selbst wie besagter Chinese. Ihr Kopf dröhnte und im Bauch rumorte es, irgendetwas hatte sich da in den Schlingen ihrer Därme ganz gewaltig verheddert. Zweifellos hatte sie letzte Nacht ein weiteres Kapitel in ihrem privaten Rum Diary geschrieben. Im Tagebuch der großen Betäubung, wie sie es bei sich nannte. Eine Betäubung, die nun schon eine ganze Weile andauerte. Und die kurzen klaren Phasen wurden immer kürzer. Immer seltener.

      Vor drei Jahren hatte es begonnen, während der paar abgefahrenen Wochen auf Kuba. Nein, natürlich hatte es nicht erst vor drei Jahren begonnen, aber in Havanna hatte sich die Betäubung materialisiert. Verschleiert, behübscht mit viel Tanz, viel Musik, kaschiert im Partytrubel, wo alle gesoffen hatten. Bacilón hieß das Zauberwort, abfeiern, was das Zeug hielt. Tanzend ins Delirium. Und zwar, das war das Edle daran, mit dem Sanktus von ganz oben. God himself war auf die Idee gekommen. Fillinger hatte gerade Grasl als Chefredakteur abgelöst, und vielleicht war seine geplante Verjüngungskur für opinion mit ein Grund dafür gewesen, dass er und nicht Glenk den Job erhalten hatte. Jedenfalls hatte Fillinger eine neue Serie ins Leben gerufen: Die rote Szene in Lateinamerika. Ein Signal an die dahinschmelzende jüngere Leserschaft, also an Studenten und alle links der SPÖ Angesiedelten, die einmal die wichtigste Zielgruppe gewesen waren – damals, als auf dem Cover noch knallrot wochenzeitschrift für politik und kultur stand und das Magazin auf Recyclingpapier produziert wurde. Mittlerweile fuhr opinion auf derselben Hochglanzschiene wie die Mitbewerber. Wie auch immer, Frieda sollte über die Musik- und Tanzszene Havannas berichten, sogar einen eigenen Fotografen hatte man ihr mitgegeben. Sie klapperten sämtliche In-Lokale vom Malecón bis hinaus zu den Playas del Este ab und vertieften sich in das grelle Ambiente. Der Havana Club, Nachfahre von Bacardi, leistete gute Dienste beim Vertiefen, über Nacht wurde der Rum zu ihrem Hauptnahrungsmittel. Un trago, y un otro, y uno más … Brannte nicht so in der Kehle wie Slibowitz oder Korn, aber die Wirkung war gleich stark. Eigentlich paradox, dachte sie, die Stärke dieses Zuckerbrands besteht darin, dich weichzumachen, zu entspannen. Dich einzulullen, würde Leo eher sagen. Und er hatte es auch gesagt, später, oft genug. Natürlich nicht bei ihrer ersten Begegnung. Da hatte er ja selbst noch mitgemacht. Er, der ungelenke Intellektuelle, hatte leicht angetrunken seine Gliedmaßen geradezu orgiastisch verrenkt, sich rumbatisiert, wie sie es scherzhaft nannten, wenn man im Tanz eins wurde mit den fetzigen Rhythmen der Bongos und Congas, mit den präzise gesetzten Riffs der Blechfraktion, alles kam, ohne Umweg über den Kopf, aus dem Bauch, aus der Hüfte heraus, zentriert noch im heftigsten Gewippe, in sich ruhend trotz Lärm und Hitze und Feuchtigkeit. Sudando, bailando … So hatte sie Leo kennengelernt: mit kreisendem Becken, mit kreisender Rumflasche. Sogar geraucht hatte er in jener Nacht: eine Cohiba, fett, aber oho. Er, der passionierte Nichtraucher, mit der besten Zigarre der Welt. Bis ihm so schlecht davon wurde, dass er für eine halbe Stunde auf dem Klo verschwand. Als er zurückkam, hatte sie schon mehr als eine halbe Flasche intus.

      „Sorry, ich bin es halt nicht gewöhnt.“

      Ja, er war es wirklich nicht gewöhnt und zeigte auch nicht die geringste Neigung, es sich irgendwann einmal anzugewöhnen. Weder das Rauchen noch das Saufen. Ausnahmen bestätigten bei ihm tatsächlich die Regel, so einfach war das für einen wie ihn. Zur Feier eines singulären Events, okay, aber immer im Bewusstsein: Gift bleibt Gift bleibt Gift … Es veränderte, verwandelte sich nicht schleichend, wie bei ihr, in den großen Tröster, den großen Betäuber, den old demon alcohol. Drowning my sorrows in whisky and gin. So let’s all drink to the death of a clown …

      Die guten alten Kinks hatten schon davor gewarnt, sogar die Stones, wer hatte es nicht. Nur echte Suchtler konnten sich zu dem Thema gediegen äußern und glaubhaft warnen. Aber ab einem gewissen Punkt verpuffen wundersamerweise alle Warnungen, werden zu milde belächelten Phrasen. Oder du registrierst sie nicht einmal mehr. Selbst wenn in fetten Lettern auf jeder Zigarettenpackung zu lesen ist, was dir bevorsteht – vorzeitiges Altern der Haut, Lungenkrebs, ein früher Tod … Irgendwann liest sich das wie die gesetzlich vorgeschriebenen Produktangaben auf einem Tetrapak mit Gemüsesaft: Deckt den Tagesbedarf an Kalzium und Magnesium. Enthält soundso viel Milligramm Vitamin B oder E 312 oder was auch immer. Es ist einem kein Achselzucken mehr wert. Und schon gar kein Innehalten.

      Un trago. Ein Schluck. Ein einziges Stamperl. Damals hatte sie noch nicht gewusst, dass trago auch Trunksucht heißen kann.

      Letzte Nacht hatte sie wieder zu viel von ihrem Weichmacher geschluckt. Hatte es genossen, wie der fesche Stehgeiger sich nach seinem Auftritt um sie kümmerte. Wieder einmal hatte sich alles weich und warm angefühlt, trotz der harten Holzbänke, auf denen sie hockten. Was eindeutig dem hochprozentigen Inländerrum zu verdanken war. Dass der nicht nur von Inländern geschätzt wurde, hatten schon vor Jahren die Schweden und Norweger bewiesen. Seinetwegen machten sie auf ihrer Urlaubsfahrt in den europäischen Süden extra einen Abstecher nach Österreich. Sechzig bis achtzig Prozent Alkohol, das konnte man bis vor Kurzem in ganz Skandinavien nicht auftreiben. Dank des Spirituosenschmuggels aus den baltischen Staaten war der österreichische Inländerrum aber heute kein Thema mehr für die süchtigen Nordmänner.

      Sie wusste, dass sie dem Zeug verfallen war. Längst gab sie sich nicht mehr mit Bier oder Wein ab. Dabei hatten sie in den Zelten und bei den Ständen auf dem Festivalgelände einen tadellosen Riesling und einen noch besseren Veltliner zu bieten, gut gekühlt und mit einem pfeffrigen Abgang, der sogar Leo geschmeckt hätte. Aber mit dem Wein dauerte es entschieden zu lange, auf Touren zu kommen, und speziell den Weißen hatte sie auch nie so richtig vertragen. Nicht das Quantum, das sie benötigte, um denselben Effekt einzufahren wie mit dem hochprozentigen braunen Saft. Es soll Bier- und Weintypen geben – vielleicht war sie ja ein Rumtyp? Immerhin, sie steckte die Auswirkungen des Gesöffs überraschend gut weg. Zumindest die körperlichen.

      Love me tender. Das stand eingraviert auf dem Flachmann, den sie letztes Jahr auf dem Naschmarkt gekauft und seither immer dabeihatte, versteckt im inneren Reißverschlussfach ihrer Handtasche. Es fiel ihr nicht schwer, ein Schwarzteeglas unbemerkt mit Rum aufzufüllen, sobald der Pegel unter eine gewisse Marke fiel. Trotz des wohligen Gefühls und obwohl der Fiedler ein netter Kerl war, der ihr nach dem Konzert sicher auch gerne privat aufgegeigt hätte, war es nicht zu mehr gekommen als zu ein bisschen Grapschen. Er hatte sie hinauf zur Pension Nachtruh begleiten dürfen, ein schnelles Busserl auf die Wange, ein kurzes Handgemenge, als er ihr die Bluse öffnen wollte, dann war sie in ihr Zimmer gestolpert und betäubt ins Bett gefallen.

      Zum Glück hatte ihr Leo letzte Weihnachten diesen Wecker geschenkt, der sie aus jedem Koma holte. Nur dank der digitalen Sirene hatte sie den Termin mit Lotte Prinz nicht verpennt. Dabei hatte sie das Arbeitsfrühstück in weiser Voraussicht erst für zehn Uhr anberaumt.

      „Passt das überhaupt noch so spät?“, hatte sie Martha, die jüngere der Tauner-Schwestern, gefragt, die auch schon mindestens siebzig Jahre auf dem Buckel haben musste. Martha hatte übrigens wirklich einen ausgeprägten Buckel und stieg reichlich krumm daher. Das Leben hart an der Grenze zu Tschechien war kein Honiglecken.

      „Aber

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