Gesundes Gift. Franz Kabelka

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Gesundes Gift - Franz Kabelka

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ändern, was die Unterlagen betrifft, können Sie mich jederzeit anrufen.“

      Das leidende, geschwollene Gesicht von Frau Prinz verriet ihr, dass sie sich diesbezüglich keine Hoffnung zu machen brauchte.

      „Die Welt ist alles, was der Fall ist, hat uns der gute alte Wittgenstein vor jetzt bald hundert Jahren verkündet. Er hat nicht vorhersehen können, dass dank der unablässig anbrandenden Esoterikwellen unser Begriff von der Welt mittlerweile recht ordentlich erweitert worden ist, nicht wahr?“

      Es sollte zynisch klingen, aber irgendwie schienen alle Argumente an Emma abzuprallen. Die alte Schulfreundin hatte Frieda schon im Vorjahr das Versprechen abgenommen, bei ihrem nächsten Besuch in der alten Heimat unbedingt einmal in ihrer „Hütte“ vorbeizuschauen. Diese erwies sich als stattlicher Vierkanthof außerhalb der Stadt, den Emma und ihr Mann, ein bekannter Architekt, günstig gekauft und modernisiert hatten. Die ehemalige Stube, ausgestattet mit einer Oberlichte aus Milchglas, diente Emma als Grafikbüro, nicht weniger als drei große Apple-Computer prangten auf den weiß lackierten Schreibtischen. Bei der Führung durchs Haus waren Frieda seltsame Apparaturen an den Wasserhähnen aufgefallen. Emma hatte ihr erklärt, dass es sich um Wasserbelebungsgeräte nach Johann Grander handelte, was prompt zu einer heißen Diskussion über Glauben und Wissen geführt hatte. Mittlerweile waren sie bei der Komplementärmedizin angelangt. Dem Thema, das Frieda derzeit am meisten beschäftigte.

      Sie hockten einander im Schneidersitz gegenüber, wie in alten Zeiten. Nur dass die ehemals übliche Unterlage, irgendein billiges Baumwolltuch, durch eine reich bestickte Brokatdecke mit einem breiten goldenen Saum ersetzt worden war, zweifellos ein Mitbringsel Emmas von einer ihrer zahlreichen Asienreisen. Der frisch zubereitete Jasmintee duftete, das Teelicht flackerte in einer mit Elefantenmustern durchbrochenen steinernen Kugel und erzeugte bizarre Lichtmuster im abgedunkelten Raum.

      Aber Frieda hatte keinen Sinn für das exotische Ambiente. Sie diskutierten nun schon eine halbe Stunde, und Frieda spürte, dass ihr die alte Freundin immer fremder wurde, je länger das Gespräch dauerte.

      „Das Zeug wäre doch früher in Medizinerkreisen nicht einmal satisfaktionsfähig gewesen, Emma! Heute findest du die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nullwertigen Salze eines Dr. Schüßler in jeder Apotheke, und schon der zwölfjährige Karli fragt, wenn die Mama ihn losschickt, um Ferrum phosphoricum zu holen, ob er die Globuli in D6 oder D12 bringen soll.“

      „Und was regst du dich darüber auf?“ Emma gluckerte fröhlich. „Du musst dir das Zeug ja nicht einwerfen. Niemand zwingt dich dazu.“

      Frieda sah einer Riesenmotte nach, die von ihrer Nachtschwärmerei im Zimmer zurückgeblieben war und an der Innenseite des Fensters in einem letzten hoffnungslosen Taumel rauf- und runterflatterte. War er nicht richtig, der Einwand der Freundin? Weshalb regte sie sich so auf? Sie versuchte, es Emma gleichzutun und ebenso kerzengerade zu sitzen, aber ihre Hüften waren an die Position nicht mehr gewöhnt. Der Tee schmeckte ihr nicht, und Kaffee gab es keinen. „Sorry, das ist schon seit Jahren ein koffeinfreier Haushalt“, lautete Emmas Entschuldigung. Immerhin half das Nippen an dem lauwarmen Gesöff beim Konzentrieren.

      Wie lange trieb das Thema sie nun schon um? War es wirklich nur die Serie, für die sie seit Wochen recherchierte, oder steckte etwas Grundsätzlicheres dahinter? Eine Irritation, eine grundsätzliche Verstörung darüber, dass nichts mehr seine Ordnung hatte und jede Mess- und Wägbarkeit den Bach runterging? Wünschte sie sich, naiv wie ein kleines Mäderl, gar den allwissenden Herrn Doktor zurück, das Abbild des lieben Gottes auf Erden, der einem mit seiner bloßen sonoren Stimme helfen konnte?

      Aber was war denn so anders bei den sogenannten Heilern jedweder Provenienz? Traten die etwa weniger priesterhaft auf, wenn sie ihre Puls- und Pupillendiagnose machten oder schlicht die Aura ihrer Klienten orteten, um danach ihre Wässerchen und Kügelchen zu verordnen? Nein, gewiss fehlte es ihnen nicht an Ausstrahlung. Eher strahlten gerade sie jene Gewissheit, jene Überzeugungskraft aus, über die der gute alte Herr Doktor in seinem weißen Kittel schon längst nicht mehr verfügte in seiner krankenkassengestützten Ordination. Die gesellschaftliche Elite und erst recht das breite Bürgertum waren weggebrochen, hatten sich verduftet. Aus dem Mief der Massenordination hinüber in die ausbalancierte, von weichem Salzlicht durchflutete Feng-Shui-Atmosphäre der Heilkünstler. Wer sich nicht beizeiten umstellte, wer nicht selbst Globuli und Magnetbänder verschrieb, galt als Technokrat, bornierter Schulmediziner und willenloser Vertreter der Pharmaindustrie – mit einem Wort als alt. Also passten die Ärzte sich an, sortierten die Apotheker ihre Regale neu. Beide Berufsgruppen empfahlen jetzt ihrer Klientel, wonach diese sich sehnte: nach dem alles heilenden, heilmachenden Lebenselixier. Egal, was man während des Studiums gelernt hatte, egal, was durch zig Doppelblindstudien längst belegt war: Hauptsache, der Astralleib dehnt sich dank des verordneten Rosenquarzes ins Unermessliche; Hauptsache, das Horoskop bettet dich ein in kosmologische Sphären. Und – für den Fall, dass alle Stricke reißen sollten – der ewige, immer richtige Trost: Hilft’s nichts, so schadet’s nichts. Ein Trostpflaster, mit dem man jedem Mund, Augen und Ohren verkleben kann.

      War es dieser hirnverbrannte, hirnverbrennende, als Zeitgeist getarnte Ungeist, der Frieda so nervte? Der, gepaart mit unverblümter Abzockerei, zu beweisen schien, dass Scharlatanerie und Quacksalbertum nie auszurotten sein würden – jedenfalls nicht durch eine an Redlichkeit und Überprüfbarkeit orientierte Wissenschaft? War es jene unheilige Allianz zwischen Anhängern der Alternativmedizin und irgendwelcher Alternativreligionen bis hin zur Verschmelzung beider? War es diese esoterisch-mystische Pseudoargumentation, die abzustellen sich einst Äskulap bemüht hatte und an deren Verbreitung seine postmodernen Schüler nun kräftig mitwirkten, anstatt dafür zu sorgen, dass derlei Sümpfe endlich trockengelegt würden? Postmoderne, yes indeed! Welch abgrundtiefe Wahrheit doch in diesem bescheuerten Begriff steckte …

      „Ach, Emma!“ Frieda lächelte die Freundin müde an. „Sie brennen uns das Hirn heraus, und wir bezahlen noch fleißig dafür. Und darüber soll frau sich nicht aufregen? Ich bin mir nur nicht sicher, ob es Lauge oder Säure ist, mit der sie uns das Denken verätzen. Aber das ist ja wohl auch egal.“

      „Nicht unbedingt. Ob Lauge oder Säure macht doch für die Therapie einen ziemlichen Unterschied.“

      „Hast im Chemieunterricht also doch ein bisserl aufgepasst, wie?“

      Beide lachten. Sie erinnerten sich an ihre gemeinsame Zeit in der Siebten und Achten, als der halb blinde Professor Salcher, fraglos eine Kapazität in seinem Fach und sogar Herausgeber des Schulbuchs für organische und anorganische Chemie am Gymnasium, vor Unterrichtsbeginn immer durch Abzählen der Köpfe die Anwesenheit zu kontrollieren pflegte. Wobei der alte Lehrer, nachdem die Schüler herausgefunden hatten, wie katastrophal es um sein Augenlicht bestellt war, auch schon mal einen Sturzhelm anstatt eines Kopfes zählte. Den hatten die Burschen einfach auf die Schulbank gestellt, und sie ließen ihn zum Gaudium aller ein bisschen wackeln, wenn Salcher gerade einen absenten Schüler aufrief. Huber? Anwesend! Irgendein Komiker fand sich immer, der die Stimme des Fehlenden zu imitieren wusste.

      Aber Frieda wollte noch nicht von ihrem Lieblingsthema lassen.

      „Was willst du eigentlich therapieren, meine Liebe? Die Säure- oder Laugenspritzer sind doch allüberall. In den Kliniken ebenso wie in den Kirchen. Und es braucht keine Kanzel mehr – es genügt der gemeine Volksaltar, um die Leute zu verblöden. Vor allem, wenn diese Predigten auch noch im Fernsehen massenhaft Verbreitung finden.“

      Emma nickte, aber ihr Nicken pendelte schnell zur Seite hin aus. Eine Geste, die Frieda seit der Schulbank kannte und die ganz eindeutig Zweifel signalisierte.

      „Was ist? Sehe ich etwa zu schwarz?“

      „Ach,

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