Karl Polanyi. Группа авторов

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der Linken an, doch ist es dieses Blatt, in dem ausführliche, manchmal sogar sympathisierende Auseinandersetzungen mit Polanyi stattfinden.

      Hier konstatierte die amerikanische Ökonomin Shoshana Zuboff unter Bezug auf Polanyis Analyse der Destruktivität des Marktes: „Google führt uns an den Wendepunkt in der Reichweite der Marktwirtschaft. Eine vierte fiktive Ware entsteht hier und wird zum beherrschenden Merkmal der Marktdynamik des 21. Jahrhunderts. Die ‚Realität‘ erfährt dabei dieselbe Umwandlung ins Fiktive und wird als ‚Verhalten‘ wiedergeboren. Dazu gehört das Verhalten der Lebewesen, ihrer Körper und ihrer Dinge, das Verhalten selbst sowie Daten über das Verhalten. Es ist der weltumspannende Organismus samt den winzigsten Elementen darin“ (30.4.2014). Der Ökonom Carl Christian von Weizsäcker wiederum zitiert Polanyi in seiner Ökonomie der Migration (FAZ 12.1.2016).

      Auch Wirtschaftsredakteur Rainer Hank bemerkt in seinem Polanyi-Porträt durchaus zustimmend am Ende: „Viele der heutigen Kapitalismuskritiker weiden auf der Wiese Polanyis. Die Kritik am ‚Ökonomismus‘ und ‚Kapitalismus pur‘, die Mahnung zu Maß und Mitte, die von Sahra Wagenknecht bis Volker Kauder täglich ertönt, hat hier ihren Ursprung. Wenn Bundeskanzlerin Merkel findet, wir brauchten eine ‚marktkonforme Demokratie‘, würden Polanyis heutige Freunde dagegen einen ‚demokratiekonformen Markt‘ fordern“ (FAS 24.8.2018). Obwohl der gleiche Hank, Bezug nehmend auf das Erbe Polanyis, dessen differenzierte Kapitalismuskritik verstimmt, diesem gern auch ‚antikapitalistischen Romantizismus vorwirft (FAS 13.1.2013). Hank kommt immer wieder auf Polanyi zurück, sei es in einer Dickens-Rezension (FAS 16.3.2014) oder in einer Philippika gegen Kapitalismuskritiker, die nicht wüssten, dass sie Polanyis Erben sind (FAS 24.8.2014).

      In seinem Text in der FAZ „Warum Intellektuelle den Kapitalismus nicht mögen“ formulierte der Multimillionär und Historiker Rainer Zitelmann den Grund für das instinktive Misstrauen bürgerlicher Publizisten. „Einer der Gründe ist das Unverständnis vieler Intellektueller für den Charakter des Kapitalismus als spontan gewachsener Ordnung. Der Kapitalismus ist – anders als der Sozialismus – nicht ein Gedankensystem, das der Wirklichkeit übergestülpt wird, sondern eine weitgehend spontane, evolutionär entstandene Ordnung, die eher ‚von unten‘ wächst, als von oben angeordnet wird. Historisch ist er gewachsen, so wie Sprachen gewachsen sind. Sprachen wurden nicht erfunden, konstruiert und erdacht, sondern sind das Ergebnis ungesteuerter spontaner Prozesse“ (18.5.2018). Fundamentaler könnte man Polanyi und seine Schule nicht missverstehen, denn ihnen zufolge (siehe oben) ist gerade das Gegenteil wahr: Das Laissez-faire war geplant.

      Welch anderes Bild in England und den USA. In England ist der Grund einfach: Jeremy Corbyns Wirtschaftspolitik beruft sich auf Polanyi und orientiert sich an ihm. Konservativere Medien wie das Magazin Economist haben sich nicht nur aus diesem Grund ausführlich mit Polanyi befasst (The great transformation: Corbynomics would change Britain – but not in the way most people think, 17.5.2018); in der linksliberale Tageszeitung Guardian hatte der Politologe Adrian Pabst lange zuvor schon apodiktisch festgestellt, Polanyi, nicht Keynes sei „der einzige Ökonom, der die wahren Grenzen von Kapitalismus und Sozialismus erfasst hat“ (9.11.2008). In einem Editorial hielt der Guardian fest: „Corbynomics wurde in solchen moralischen (Polanyi’schen, Anm.) Begriffen geframt – und das ist eine sehr gute Sache“ – es fehle nur an Mut zu konkreten Beispielen (27.5.2018).

      Neuerdings gab die englische Ökonomin Ann Pettifor, Mitinitiatorin der Jubilee-2000-Aktion, die eine Schuldenstreichung für die ärmsten Länder fordert, der deutschen taz ein Interview, in dem sie aktuelle politische Verhältnisse mit Polanyi erklärte: „Trump repräsentiert einen großen Teil der Gesellschaft, sicherlich. Er repräsentiert die ängstliche Bevölkerung, Menschen, die verunsichert sind durch die Wirtschaftskrise. Die Banken wurden gerettet, der Bevölkerung wurde Austerity verordnet und ihr wurde gesagt, sie müsse Opfer bringen. Die Löhne sind heute noch niedriger als vor der Krise. Einfache Menschen haben ihre Wohnungen verloren, sie sehen ihre Jobs bedroht von der chinesischen Konkurrenz, und in Washington geht es den Banken so gut wie zuvor. Schon Karl Polanyi hat in den 1930ern erklärt, dass die einfachen Menschen einen starken Mann wählen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie Schutz brauchen. Das ist eine Reaktion auf eine unregulierte Ökonomie. Der starke Mann verspricht, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten und gegen die Chinesen zu kämpfen. In Frankreich erleben wir den Aufstand von ähnlich Benachteiligten. (…) Die Wahl eines autoritären Führers löst die Probleme für die Bevölkerung nicht, sondern verschlimmert sie. Diese Erfahrung werden die Menschen machen. In den USA und in Großbritannien sind die Pensionen weitgehend privatisiert, das Geld liegt bei Schattenbanken. Die spekulieren damit. Was machen sie genau mit den Pensionen? Niemand weiß es, es gibt keine Transparenz. Und keine Kontrolle. Mister Blackrock managt sechs Milliarden Dollar solcher Gelder. Was wissen wir über Blackrock?“ (taz, 12.1.2019)

      In den USA steht die Position Polanyis ebenfalls außer Frage. Die New York Times zitiert sein Werk und nennt sein Hauptwerk unter den bedeutendsten Büchern der Emigration neben jenen von Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und Thomas Mann (1.2.2017); oder sie zitiert es wie Pankaj Mishra in einem Artikel über den indischen Premier Modi (14.11.2016).

      Publikumszeitschriften wie der New Yorker widmen Polanyis Thesen 15-seitige Essays („Is Capitalism a Threat to Democracy“ – eine Rezension von Robert Kuttners Polanyi-Buch). Die einflussreiche New York Review of Books publizierte eine Kritik ebendieses Robert Kuttner von Gareth Dales (s. Seite 101 in diesem Buch) Polanyi-Biografie unter dem Titel „The Man from Red Vienna“.

      Dass Bernie Sanders’ marktkritische Ideen mit Polanyi begründet wurden, versteht sich fast von selbst („Polanyi for President“, Dissent Magazine, Frühjahr 2016). Das Dissent Magazine, eher klassisch links, angesiedelt zwischen kommunitaristisch und sozialdemokratisch, publizierte mehrere große Texte zu Polanyi, außer dem erwähnten etwa „The Elusive Karl Polanyi“ (Frühjahr 2017) oder „The Return of Karl Polanyi“ (Frühjahr 2014).

      Debatten über Neoliberalismus kommen schwer ohne Referenz auf Polanyi aus. In The New Republic, dem schwer umkämpften und zerzausten linken Magazin, erklärte der englische Politologe William Davies: „Das Idealbild getrennter politischer und wirtschaftlicher Bereiche wurde vielfach kritisiert. Von Marxisten mit der Begründung, dass es den Vorwand biete, die Ausbeutung des Proletariats zu verbergen (…), vor allem aber auch von Karl Polanyi, der meinte, es sei nur eine Illusion. Aus Polanyis Sicht ist der Staat nie ganz aus dem wirtschaftlichen Bereich abwesend, sondern ständig damit beschäftigt, jene wirtschaftlichen Freiheiten herzustellen und durchzusetzen, welche die Befürworter von Laissez-faire als ‚natürlich‘ betrachten.“ Oder, wie Steven Hahn in einem großen Text über Armut in den USA im linken Flaggschiff The Nation lapidar schreibt: „Laissez-faire war geplant, wie Polanyi bemerkte.“ (18. 4. 2018)

      Junge Neomarxisten löckten im Magazin Jacobin wider den Stachel und nannten, was Polanyi vorschlage, eine Art Wohlfahrtskapitalismus; wohl ein Schritt vorwärts, aber für wahre Sozialisten zu wenig. Solche Ironie scheint jedoch angesichts der politischen Auseinandersetzungen in England und den USA ganz unangebracht. Wenngleich das Magazin neuerdings (Jacob Hamburger, „The Unholy Family“, Jacobin 1/2018) Polanyi mit Melitta Coopers Werk „Family Values“ kritisiert und bestreitet, er habe wirklich eine Alternative zum kritisierten Neoliberalismus vorgelegt, vielmehr sei die Struktur der Kleinfamilie beiden eigen, dem Sozialismus und dem Neoliberalismus – Karl Polanyis Werk lebt, es wird darüber berichtet, es wird als aktueller Wegweiser für linke Politik leidenschaftlich diskutiert. Das könnte unserer (medialen) Linken ein Beispiel geben. Dieses Buch möchte dazu Anstöße liefern.

       Anmerkung 1

      Diese Zusammenfassung berücksichtigt weder Onlinemedien (wie orf.at, das sich um Polanyi verdient machte) noch Hörfunk wie Ö1, der sich wiederholt mit Polanyi befasste, oder TV-Serien (Arte berichtete über Polanyi in einer sechsteiligen Doku über große Ökonomen).

      

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