Karl Polanyi. Группа авторов
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Eine Bewegung Polanyi’schen Typs
Um dies zu beantworten, ist es unseres Erachtens geboten herauszufinden, unter welchen Bedingungen sich der Aufstieg rechtspopulistischer Formationen vollzieht. Karl Polanyis Konzept der Doppelbewegung hilft uns dabei zu verstehen, was sich derzeit in Gestalt eines völkischen Populismus ereignet und in einigen Ländern wie beispielsweise Deutschland zuspitzt. Durch marktradikale Ideologien forciert, wurden in den letzten Jahren marktbegrenzende Institutionen und Organisationen geschwächt, Märkte sozial entbettet und marktabhängige Individuen oder Gruppen einem Wettbewerbsprinzip ausgesetzt, bei dem einige gewinnen und andere verlieren. Die Entbettung von Märkten, als deren Folge die fiktiven Waren Arbeit, Boden und Geld so behandelt werden, als seien sie Waren wie jede andere, hat im globalen Maßstab Gegenbewegungen vor allem von unten hervorgerufen. Damit verbindet sich eine Kapitalismuskritik, die nicht wie in der Analyse Karl Marx’ an klassenspezifischen Ungleichheiten und Ausbeutung ansetzt, sondern an den gesellschaftszerstörenden Konsequenzen dieser Entwicklung.
Bewegungen Polanyi’schen Typs richten sich gegen eine marktgetriebene Transformation moderner Gesellschaften. Was wir derzeit auch im Wahlverhalten beobachten, interpretieren wir als eine Art imaginärer, konformistischer Revolte in Opposition zur weit getriebenen Marktsteuerung von Erwerbsarbeit. Sie richtet sich gegen die Universalisierung von Marktvergesellschaftung und Konkurrenz und vor allem gegen deren Folgen.
Ökonomische Marktmacht wirkt diffus und abstrakt, sie lässt sich selten eindeutig zuordnen, und die Kritik an ihr kann in unterschiedliche Richtungen politisiert werden. Bewegungen gegen den Markt können, wie die frühen sozialistischen Arbeiterbewegungen, systemtranszendierende Ziele verfolgen; sie können aber auch bloßen Schutz vor marktvermittelter Konkurrenz einfordern und reaktiv-nationalistische oder, wie im Falle faschistischer Mobilisierungen, geradezu terroristische Züge annehmen.
Konflikt zwischen innen und außen
„Du als Deutscher bist nichts mehr wert.“ Mit diesen und ähnlichen Wahrnehmungen wurden wir in Interviews mit männlichen, gewerkschaftlich aktiven Industriearbeitern konfrontiert, die wir im Jahr 2017 in Sachsen führten. Anhand dieser Forschung wollen wir Einblicke dahingehend geben, wie sich befragte gewerkschaftlich aktive, rechts orientierte Arbeiter ihre eigene Lebenssituation und die sie umgebende Wirklichkeit erklären und illustrieren, dass der gegenwärtige völkische Nationalismus und dessen Attraktivität für Arbeiterinnen und Arbeiter als Bewegung Polanyi’schen Typs gedeutet werden kann.
Von uns befragte Arbeiter, bei denen wir rechtspopulistische Orientierungen ausmachen, verorten sich selbst in der gesellschaftlichen „Mitte“ oder bezeichnen sich als „ganz normal“. Sie sind zwar mit ihrer persönlichen Lebenssituation relativ zufrieden, blicken aber mit Sorge auf die immer größer werdende „Schere zwischen Arm und Reich“. Trotz ihrer aktuellen Zufriedenheit haben sie das Gefühl, nicht dem zu entsprechen, was ihnen gemeinhin als normales und erstrebenswertes Lebensmodell präsentiert wird. Mit zwei Kindern kommen beispielsweise zwei der acht Befragten trotz ihrer Vollzeiterwerbstätigkeit und der ihrer Lebenspartnerinnen nur gerade so über die Runden. Urlaubsreisen und regelmäßige Restaurantbesuche mit der ganzen Familie, die für sie zu einem „normalen“ Leben dazugehören, können sie sich nicht leisten. Sie fühlen sich als „arbeitende deutsche Bürger“ und „kleine Leute“ nicht angemessen anerkannt sowie materiell entlohnt. Gegenüber Flüchtlingen fühlen sie sich benachteiligt, da für diese nun plötzlich Geld da sei, nachdem jahrelang nicht in das Bildungssystem oder in den sozialen Wohnungsbau investiert wurde.
Ob für die Flüchtlinge, die überbezahlten Politiker oder Griechenland – immer sei der kleine deutsche Arbeiter „der Zahlemann der Nation“. Die Befragten konstruieren „die Deutschen“ als Gemeinschaft ehrlicher, hart arbeitender Menschen, die von der eigenen Regierung betrogen wird. Das reale soziale Problem, dass nicht wenige Lohnabhängige selbst mit einer Vollzeittätigkeit mit ihren Familien nur gerade so über die Runden kommen, wird hier national überformt: Ihnen als Deutschen stünde ein besseres Leben, soziale Absicherung und Anerkennung zu, ethnisch „Fremden“ und Personen, die nichts zum Wohlstand des Landes beigetragen hätten, hingegen nicht. Sie sollen ausgegrenzt, in Sammelunterkünften untergebracht und ausschließlich mit den nötigsten Sachleistungen versorgt werden.
Zu dem Gefühl, nicht dem entsprechen zu können, was als „normal“ gilt, gesellen sich entwertende Arbeitsbedingungen. Ein autoritärer Führungsstil der Vorgesetzten, Bevormundung, wenig Mitbestimmungsmöglichkeiten für Beschäftigte und ausbleibende Lohnerhöhungen gehören zu den prägenden Erfahrungen und sind nach Aussagen befragter Gewerkschaftssekretäre in den untersuchten Regionen keineswegs eine Ausnahme. Erfahrungen solcher Art können dazu beitragen, dass sich Menschen ohnmächtig und permanent benachteiligt fühlen, dass Frust und Wut wachsen. Diese Gefühle münden keineswegs zwangsläufig in eine rechtspopulistische oder gar völkische Bewegung, können jedoch von solchen mobilisiert werden.
Bei unseren Befragten spielen spezifisch ostdeutsche Erfahrungen eine bedeutende Rolle. Viele Ostdeutsche erlebten infolge der sogenannten Wende 1989/90 in rasantem Tempo eine Entwertung von fast allem, was bis dato gegolten hatte. Als Ostdeutsche waren sie gegenüber Westdeutschen nicht nur in ökonomischer Hinsicht benachteiligt; sie fühlten sich als Bürger und Bürgerinnen Ostdeutschlands auch in kultureller Hinsicht von westdeutscher Politik, von Arbeitgebern und anderen bevormundet, abgewertet und in ihren Lebensrealitäten nicht anerkannt.
Gefühle solcher Art entsprechen realen Benachteiligungen und Anerkennungsdefiziten, sind Ostdeutsche doch bis heute in allen Bereichen der Positionseliten und Medien unterrepräsentiert. Die Löhne und die Qualität der Arbeit sind in Ostdeutschland nach wie vor niedriger als in Westdeutschland. Nach den tiefgreifenden erwerbsbiografischen, sozioökonomischen und demografischen Umbrüchen der Wendezeit haben viele Ostdeutsche gerade erst wieder eine gewisse Normalität und Stabilität erreicht, die sie nun mit der Ankunft von Geflüchteten erneut bedroht sehen.
Deutlich wird, dass sich der Wunsch danach, mit dem eigenen Einkommen ohne Sorge ein gutes Leben führen zu können, nach stärkerer materieller Anerkennung ihrer Leistungen, ihrer harten Arbeit, aber eben auch ihrer Lebensrealitäten, in ausgrenzenden Lösungen ausdrückt. Diese Haltung lässt sich als exklusive Solidarität mit den produktiv Beschäftigten und der nationalen Leistungsgemeinschaft in Abgrenzung zu Arbeitslosen und „kulturell fremden‚ unnützen Migranten und Migrantinnen“ bezeichnen.
Diese Grundproblematik lässt sich zu folgender These zuspitzen: Je geringer die Hoffnung ist, trotz individueller Anstrengungen Anschluss an eine Gesellschaft zu finden, die medial fortwährend als prosperierend dargestellt wird, desto stärker haben die von uns befragten Arbeiter das Gefühl, Verlierer einer Verteilungsungerechtigkeit zu sein. Infolgedessen interpretieren sie die aktuelle Situation als einen Konflikt zwischen innen – den leistungsbereiten, tüchtigen Deutschen – und außen, das heißt vermeintlich leistungsunwilligen, kulturell nicht integrierbaren Ausländern und Ausländerinnen.
Das gute Volk gegen das korrupte System
Dabei grenzen die Befragten das Volk und die von ihnen ersehnte nationale Leistungsgemeinschaft vom System ab. Sie kritisieren Egoismus, Macht- und Profitstreben sowie Vereinzelung und wünschen sich mehr Zusammenhalt und ein besseres Miteinander, das sie in der Nation zu realisieren meinen. Interessengegensätze und Meinungspluralismus kommen in dieser Vorstellung nicht vor. Das ist umso erstaunlicher, als alle als aktive, gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte davon überzeugt sind, dass es ein starkes Gegengewicht der Arbeitenden zum Management braucht. Diesen Interessengegensatz auf der betrieblichen Ebene beziehen sie jedoch nicht auf die Gesellschaft: Hier eint die Vorstellung des deutschen „Volks“ die Menschen über alle Interessengegensätze hinweg und verbündet sie