Karl Polanyi. Группа авторов

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Ende des 18. Jahrhunderts und endet in den 1930er-Jahren mit einer Gegenbewegung, die neue Formen der staatlichen Regulierung mit sich bringt: sowohl solche, die Freiheiten fördern, wie der New Deal und die Sozialdemokratie, als auch solche, die Freiheiten einschränken, wie Faschismus und Stalinismus. Die doppelte Bedrohung – für das Überleben der Gesellschaft und dann für die als Reaktion auf die Zerstörung der Gesellschaft verwüstete Freiheit – brachte Polanyi dazu zu glauben, dass die Menschheit nie wieder mit dem Marktfundamentalismus experimentieren würde. Er irrte sich. Ab 1973 kam eine neue Runde des Marktfundamentalismus in Gang, die weitreichende Folgen für die Geschichte des Kapitalismus und die Besonderheit der gegenwärtigen Zeitläufe hatte.

       Drei Wellen der Vermarktlichung und die Gegenbewegungen

      Im Rückblick auf die von Polanyi untersuchte Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft und die Entwicklung seither kann man drei Wellen der Vermarktlichung ausmachen, jeweils mit der dazugehörigen realen oder (im Falle der dritten Welle) potenziellen Gegenbewegung. Mit Bezug auf die englische Geschichte – dem Schwerpunkt von Polanyis Analyse – kann man sagen, dass die erste Welle am Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Speenhamland-Gesetz von 1795 beginnt, das zu einem Hindernis für die Entwicklung eines nationalen Arbeitsmarktes wurde, der sich erst mit dem neuen Armengesetz von 1834 herauskristallisieren sollte. Mit der Aufhebung des Speenhamland-Gesetzes und der Freisetzung der Marktkräfte setzten auch Gegenbewegungen ein, mit denen die Gesellschaft sich zu schützen suchte: die Bildung einer Arbeiterklasse vermittels der Fabrikbewegung, der Genossenschaften und Gewerkschaften, des Chartismus und der Gründung einer politischen Partei, Fabrik- und Sozialgesetze.

      Die zweite Welle der Vermarktlichung begann nach dem Ersten Weltkrieg mit einem erneuten Aufstieg des Marktes, der die Rekommodifizierung der Arbeit und die Öffnung des freien Handels auf der Grundlage des Goldstandards umfasste. Das funktionierte sehr gut für so mächtige Länder wie die USA und Großbritannien, aber für konkurrierende Länder wie Italien und Deutschland führten die Zwänge der starren Wechselkurse zu einem katastrophalen Rückgang der Wirtschaft und grassierender Inflation. Das führte dazu, dass sie mit der internationalen Wirtschaft brachen und sich einem rückschrittlichen System der Marktregulierung zuwendeten. Mit der Wirtschaftskrise, der nur durch Staatsintervention und (einer in diesem Fall fortschrittlichen) Marktregulierung entgegengewirkt wurde, fiel dies auf die USA und das übrige Europa zurück. Nach der Niederlage des Faschismus im Zweiten Weltkrieg setzten sich liberalere Regime durch. Auch in der UdSSR gab es in den 1950er-Jahren eine gewisse Liberalisierung. Im fortgeschrittenen Kapitalismus wurde diese Periode in der Ökonomie vom Keynesianismus und einem „eingebetteten Liberalismus“ beherrscht und in der Soziologie vom Ende der Ideologie, um dann mit dem Aufschwung der sozialen Bewegungen in den 1960er-Jahren aufgesprengt zu werden.

      Die dritte Welle, die Polanyi nicht erwartet hatte, beginnt im Jahre 1973 mit der Energiekrise, sie wurde später unter dem Stichwort „Washington Consensus“ beschrieben und bekam großen Auftrieb durch die Regierungen von Margaret Thatcher und Ronald Reagan in Gestalt eines erneuten Angriffs auf die Arbeit. Im Laufe der Zeit hat sie sich mit dem Aufstieg der Finanzwirtschaft als eine Ära der Rekommodifizierung des Geldes und der verschärften Kommodifizierung der Natur, das heißt von Luft, Boden und Wasser, erwiesen. Diese dritte Welle der Vermarktlichung führte zum Zusammenbruch des Staatssozialismus und bezog aus ihm neue Energien. In Lateinamerika kam die Strukturanpassung genau zu dem Zeitpunkt, als die Diktaturen fielen, was zu Experimenten in partizipativer Demokratie führte. Während die Wellen der Vermarktlichung in den Kernländern in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahrhunderten aufeinanderfolgten, wurden die Länder an der Peripherie in sehr rascher Folge mit ihnen konfrontiert, sodass sie umso explosiver wirkten.

      Es hat nationale Reaktionen auf die Vermarktlichung gegeben – etwa in Gestalt eines islamischen Nationalismus oder sozialistischer Schattierungen in Lateinamerika –, aber sie können die dritte Welle der Vermarktlichung nicht umkehren. Dazu bedarf es einer planetarischen Reaktion auf die globale Reichweite des Finanzkapitals und die heraufziehende Umweltkatastrophe, die eine Bedrohung für die ganze Erde ist. Das Finanzkapital ist allerdings die treibende Kraft hinter der Prekarisierung der Arbeit – ihrer Rekommodifizierung ebenso wie ihrer dementsprechenden Exkommodifizierung – sowie der steigenden Verschuldung, nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf der Ebene der Gemeinde, der Stadt, des Staates und der Region. Das Finanzkapital hat Wissen zur Ware gemacht und seine Produktion vorangetrieben, gemeinsam haben sie sich die Natur einverleibt, als eine Akkumulationsstrategie des Kapitals. Eine Gegenbewegung wird einen globalen Charakter annehmen und mit Bezug auf die Menschenrechte formuliert werden müssen, da das Überleben der menschlichen Spezies auf dem Spiel steht.

      Es stellt sich die Frage, wo genau wir uns auf der Kurvenlinie der dritten Welle der Vermarktlichung befinden. Optimisten behaupten, die dritte Welle der Vermarktlichung habe bereits von selbst begonnen, sich umzukehren, und wir befänden uns im Aufstieg zu einer Einschränkung der Vermarktlichung. Andere meinen, dass die Kommodifizierung von einem Stillstand weit entfernt sei. Viele Menschen, darunter auch ich, dachten, dass die Wirtschaftskrise von 2008 und die Umstrukturierung der Machtverhältnisse auf der Welt Gelegenheit für eine Gegenbewegung bieten würde, aber dies erwies sich als Illusion. Es ist möglich, dass eine Gegenbewegung noch in weiter Ferne liegt, so wie es auch möglich ist, dass es niemals eine Gegenbewegung im Sinne der Einschränkung der Vermarktlichung geben wird.

      Es handelt sich bei diesem Text um einen neu zusammengestellten Auszug aus: Michael Burawoy (2015), Public Sociology – Öffentliche Soziologie gegen Marktfundamentalismus und globale Ungleichheit (hg. von Brigitte Aulenbacher und Klaus Dörre und aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Regine Othmer). Beltz Juventa: Weinheim und Basel.

       „DU ALS DEUTSCHER BIST NICHTS MEHR WERT“

       Der Aufstieg des Rechtspopulismus – eine Arbeiterbewegung von rechts?

       KARINA BECKER UND SOPHIE BOSE

      In zahlreichen frühindustrialisierten Ländern sind wir derzeit mit dem Aufstieg rechtspopulistischer Formationen konfrontiert, die eine Zäsur für das politische System darstellen. Zwar rekrutieren populistische Parteien ihr Elektorat grundsätzlich aus allen Klassen und Schichten der Bevölkerung, es fällt jedoch auf, dass sie bei der Arbeiterschaft auf überdurchschnittliche Zustimmung stoßen. US-Präsident Donald Trump verdankt seinen Wahlsieg nicht nur Stimmen aus der Mittelschicht und dem Kleinbürgertum, sondern auch aus dem deindustrialisierten Rust Belt der USA.

      Die von der rechtspopulistischen UKIP federführend betriebene Brexit-Kampagne fand in der Arbeiterschaft überdurchschnittliche Zustimmung. In Österreich votierten bei der Bundespräsidentenwahl 85 Prozent der Arbeiter und Arbeiterinnen für den FPÖ-Kandidaten Hofer (insgesamt 46,2 % der Stimmen), sein siegreicher Konkurrent Van der Bellen kam in dieser Statusgruppe auf gerade einmal 15 Prozent. In Frankreich erzielt der Rassemblement national (ehemals Front national) seit den 1990er-Jahren Spitzenwahlergebnisse in ehemaligen Hochburgen der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF).

      Auch die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) fügen sich in dieses Muster. Die AfD war neben der FDP die eigentliche Gewinnerin der Bundestagswahl 2017. In den ostdeutschen Bundesländern hat sie insgesamt Ergebnisse einer Großpartei erzielt, in Sachsen ist sie mit 27 Prozent sogar die stimmenstärkste Kraft. Laut Analysen von infratest dimap haben überdurchschnittlich viele Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Arbeitslose (jeweils 21 %) die AfD gewählt, aber auch in anderen Berufsgruppen und im Bereich der mittleren Bildungsabschlüsse konnte sie Stimmen im zweistelligen Bereich für sich gewinnen. Bei den Gewerkschaftsmitgliedern hat die AfD mit 15 Prozent leicht überdurchschnittliche Unterstützung; bei den Gewerkschaftsmitgliedern im Osten Deutschlands liegt sie mit 22 Prozent gleichauf mit der Linkspartei. Gerade in den Kohorten, die von Erwerbstätigen geprägt werden, verzeichnet sie Zugewinne, und zwar insbesondere bei den Männern in der Altersgruppe von 25

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