Lichtschacht. Anne Goldmann

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Lichtschacht - Anne Goldmann

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an einem der Wühltische im Großkaufhaus gegenüber.

      »Steffi?«

      Es war nicht zu fassen: Ihre Bekannte schob langsam, ohne sich im Geringsten um ihre Umgebung zu kümmern, ein cremefarbenes Spitzenhemdchen in die Innentasche ihrer Jacke und zog seelenruhig den Zipp zu. Sie stutzte, riss die Augen auf, strahlte sie an und fiel ihr um den Hals.

      »Hey, was machst du denn hier? Wie geht’s dir? Seit wann bist du in Wien?« Sie duftete nach einem teuren Parfum. »Ich freu mich so, dich zu sehen. Du bist nicht mehr mit Elias zusammen, hab ich gehört? Das war immer cool mit euch beiden.«

      »Ich arbeite hier«, sagte Lena hölzern und sah sich hektisch um. Die war verrückt. Überall waren Kameras installiert. Gleich würden der Detektiv oder Frau Schauer, die sich einen Sport daraus machte, Ladendiebe zu jagen, neben ihnen auftauchen und die Polizei rufen. Und dann? Oh nein, man wird uns für Komplizinnen halten! Sie konnte unmöglich da stehen bleiben.

      »Ich dachte, du arbeitest im Spital?« Steffi hatte die Ruhe weg. Sie zog ein Spitzenhöschen aus dem Wäschehaufen und hielt es prüfend hoch. »Hübsch, oder?«

      »Lass das. Hier sind überall Kameras.«

      »Komm, entspann dich.« Steffi warf das Spitzending achtlos zurück. »Ein bisschen Nervenkitzel, ich brauch das. Mich erwischt schon keiner.«

      »Kommst du öfter her? Wie lange machst du das jetzt schon?«

      »Willst du den Detektiv auf mich hetzen?« Steffi lachte. »Ich bin das erste Mal hier, Lena, ich schwör’s. Wollte nur einmal schauen … Lena, was ist denn? Hey, tut mir leid.« Sie legte ihr den Arm auf die Schulter. »Ich … es ist wie ein Spiel, weißt du. Ein Kick. Stöbern. Shoppen. Hin und wieder was mitgehen lassen.«

      »Du bist noch nie erwischt worden?«

      »Einmal, vor einem halben Jahr. Zu Hause. War ziemlich peinlich. Die Sache wurde aber außergerichtlich geregelt. Mein Vater hat sich darum gekümmert. Du weißt ja, er kennt Gott und die Welt. Und du? Seit wann bist du in Wien? Wo wohnst du? Du lieber Himmel, ist das schade, dass wir uns erst jetzt treffen. Es ist unglaublich öd, allein wegzugehen. Mein ganzer Freundeskreis ist ja in Salzburg. Wir hätten … «

      »Frau Lena, Sie können jetzt in die Pause gehen! Dreißig Minuten.«

      Sie fuhr herum. Die Schauer! »Danke«, stammelte sie und hielt die Luft an. Jetzt! Aber ihre Chefin eilte weiter.

      Steffi redete immer noch auf sie ein: »Meine Eltern haben mich zu einer Reise überredet. Ich fliege Anfang April. Ja, allein. Sag, Lena, hast du Lust auf einen Kaffee?«

      »Nein, ich … okay«, sagte Lena matt. »In zehn Minuten. Gegenüber. Ich muss mich noch umziehen.« Sie wollte nicht dabei sein, wenn man Steffi ins Büro bat und höflich ersuchte, ihre Tasche zu öffnen und die Jacke auszuziehen.

      Nichts dergleichen geschah. Als sie das Café betrat, saß ihre Bekannte bereits vor einem Latte und winkte ihr fröhlich zu. »Ich hab schon bestellt. Melange, oder?« Lena nickte.

      Da hatte sie zum ersten Mal von der Wohnung gehört.

      »Die steht leer, während ich weg bin. Meine Eltern wollen bei Gelegenheit nach dem Rechten sehen. Ich muss noch aufräumen, die trifft sonst der Schlag. – Ein paar Monate, halbes Jahr ungefähr, vielleicht länger. Mal sehen. Mein Vater hofft, dass ich danach weiß, was ich will. Also beruflich. Und dass ich die Sache da«, sie klopfte auf ihre Jacke, die neben ihr auf der Sitzbank lag, »in den Griff kriege. Wenn du magst, wenn dich das Chaos nicht stört, kannst du einziehen. Ja, sicher. Das ist es!«, rief Steffi enthusiastisch. »Dann spare ich mir den Stress mit den Eltern. Ich bin mitten in den Reisevorbereitungen. Momentan sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. – Die Wohnung gehört mir«, nahm Steffi ihren Einwand vorweg. »Du zahlst die Betriebskosten weiter. Machst ein bisschen sauber. Räumst auf. Wenn dir irgendwas von meinen Klamotten gefällt«, sie lachte und zwinkerte Lena zu, »bedien dich. Ich mach mir nichts aus dem Zeug. Komm, Lena, komm, sag ja.«

      Nach kurzem Zögern schlug sie ein.

      Lena trödelte und blinzelte ins Helle. Sie hatte noch Zeit. Sollte sie gleich hingehen? Nachsehen? Sich überzeugen, dass alles in Ordnung war. Kein Mord. Kein Unfall. Keine Tote im Hof.

      Ein bisschen Detektivarbeit. Vielleicht war die Tür ja diesmal offen? Sie konnte hineinschlüpfen, wenn jemand das Haus verließ. Sie wechselte die Straßenseite. Sie würde klingeln. Ich muss etwas abgeben. Die Postkästen kontrollieren. Ob einer überquoll. In den Hof gehen. Sich vergewissern, dass nichts geschehen war, und dann mit dem Thema abschließen. Bei Tag war alles plötzlich ganz einfach.

      Sie hörte Schritte hinter sich und trat zur Seite.

      »Hab ich dich!« Der Aufprall warf sie fast um. Sie schrie auf, ihre Knie gaben nach. Ein Überfall!

      Sie klammerte sich an ihre Tasche, stolperte und versuchte sich loszureißen. Rammte ihre Ellbogen nach hinten. Trat nach dem Angreifer. Ein Aufschrei. Sie kam frei. Hörte ihn keuchen. Wirbelte herum und ging auf Abstand. Ihr Herz schlug wie wild.

      Der Mann presste seine Hand gegen den Magen und atmete schwer. Er war unbewaffnet. »Entschuldigen Sie«, stammelte er und wich zurück. »Eine Verwechslung. Ich habe Sie verwechselt. Ich wollte Sie nicht – erschrecken.«

      »Was willst du? Bist du verrückt?«, schrie sie ihn an. Er war kaum älter als sie. Durchschnitt, mittelgroß.

      Der auf dem Dach, dachte sie plötzlich in Panik, wie sah der aus?

      Es konnte hinkommen. Er hatte sie gefunden! Ich muss auf mich aufmerksam machen. Schreien! Sie blickte gehetzt um sich und brachte keinen Ton heraus. Er wird es nicht wagen! Sie bekam kaum noch Luft. Da waren Menschen. Man wird mir helfen! Bestimmt. Eine rundliche Frau auf der anderen Straßenseite blieb stehen, sah zu ihnen herüber und ging dann weiter. Ein Mann mit Kinderwagen und einem widerstrebenden Kleinkind an der Hand überholte sie. Rundherum Leute. Alles wie immer.

      Nun war sie sich nicht mehr sicher: Der Radfahrer von gestern? Nein, der hier war breiter gebaut. Er trat von einem Bein aufs andere, schien unschlüssig, kam dann näher.

      »Was soll das?«, pfauchte sie, immer noch aufgewühlt. »Willst du mich umbringen?«

      »Nein. Wär schade um dich.« Ein impertinentes Grinsen. Sie holte aus. Der Schlag saß. Aber der Typ war hart im Nehmen: »Okay, das war jetzt der Ausgleich.« Und nach einer Pause: »Machst du Kampfsport oder so was?« Er rieb sich die Wange.

      »Kann ich Ihnen helfen?« Plötzlich stand die Frau von vorhin da. Sie musterte Lenas Gegenüber besorgt und fummelte hektisch an ihrem Handy herum. Dabei behielt sie sie ängstlich im Blick.

      »Sehr nett von Ihnen«, bedankte sich der Mann. »Aber – das war bloß eine Trainingseinheit. Wir üben Stunts«, er zwinkerte Lena zu, »für den Film.« Der war nicht bei Trost!

      »Ach so.« Die Frau grinste unsicher, lächelte ihn dann an und steckte ihr Handy weg. Gleich würde sie ihn nach einem Autogramm fragen.

      »Ich weiß – schaut verdammt echt aus. Jedenfalls cool, dass Sie eingreifen. Das trauen sich die wenigsten.«

      Jetzt strahlte sie.

      Lena drehte sich um und ging.

      Sofort

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