Lichtschacht. Anne Goldmann
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Er blieb an ihrer Seite. »Ich hab dich vor einer Anzeige bewahrt. Körperverletzung. Die Frau war wild entschlossen … « Er wies auf seine Wange. Der Abdruck ihrer Hand war noch gut zu sehen.
»Und der Überfall?« Lena blieb abrupt stehen. »Wie willst du das erklären, hm?«
»Herr Inspektor, sie hat mir gefallen … « Ein breites Grinsen.
»Idiot!«
»Ich heiße Georg.« Er hielt ihr die Hand hin.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was willst du: Soll ich auf die Knie fallen und um Vergebung bitten? Ich mach’s.« Er legte die Hand aufs Herz.
Nur das nicht! Der war dazu imstande. »Lena«, sagte sie widerstrebend.
»Lena, du bist nachtragend.«
»Nicht nur Stuntman. Sondern auch noch Psychologe. Respekt.«
»Ich arbeite in einer Bank. Ist nicht besonders aufregend. Ich wohne da vorne. Ich kann dir gern Führerschein, Meldezettel und Gehaltsnachweis vorlegen.«
»Führerschein genügt fürs Erste.«
Ohne mit der Wimper zu zucken, griff er nach seiner Brieftasche und hielt ihr das Dokument hin. Georg Neudeck, zwei Jahre älter als sie, hatte den Schein wie sie mit achtzehn gemacht.
»Hast du ein Motorrad?«
»Willst du einmal mitfahren?«
»Sicher nicht!«, pfauchte sie. Sie drehte sich um und trabte los.
Die nächsten Tage verliefen eintönig. Lenas Gedanken kreisten um das Haus, die drei auf dem Dach. Sie putzte die Fenster, kaufte Kleiderbügel und brachte Ordnung in Steffis begehbaren Schrank. Immer wieder fand sie Wäsche, an der noch das Preisschild hing, ungetragene Pullover und Modeschmuck, Sonnenbrillen und zahllose Lippenstifte, die sie nach Farben ordnete. Sie las aufmerksam die Zeitungen. Fand keinen Hinweis und kam dennoch nicht zur Ruhe. Sie stand gegen sieben auf, fütterte auf dem Weg zur Arbeit den phlegmatischen Kater der Schorns, wässerte gewissenhaft die großen Grünpflanzen im Haus und auf der Terrasse, immer in Sorge, eine zu übersehen, und fuhr am Abend in die andere, etwas weiter entfernte Wohnung. Hier waren drei Katzen zu versorgen. Sobald sie die Tür aufschloss, drängten sie sich an sie, strichen um ihre Beine und sprangen jammernd an ihr hoch. Nur mit Mühe gelang es ihr, die frisch gefüllten Schüsseln unfallfrei zum Futterplatz zu bringen. Während die Tiere mit vorgereckten Hälsen hastig schlangen, ging Lena durch die Räume der abgelebten Altbauwohnung und entfernte mit angehaltenem Atem ihre Hinterlassenschaften.
Auf dem Rückweg spähte sie zum Haus hinüber und versuchte es noch einmal. Die Eingangstüre war verschlossen. Sie wartete eine Weile. Keiner verließ das Gebäude, niemand kam.
Gegen halb neun war sie wieder zu Hause. Reinigte das verstopfte Waschbecken im Bad. Stand in der Küche und studierte die Kochanleitung eines Nudelgerichts auf der Rückseite der Packung. Sie aß lustlos vor dem Fernseher und spülte das Geschirr. Der Abend zog sich. Sie schaute lange aus dem Fenster. Zerteilte und aß einen Apfel. Klappte ihr Notebook auf und wenig später wieder zu. Legte sich aufs Sofa und starrte an die Decke. Hörte Musik. Sprang auf und ging ins Badezimmer. Überlegte, noch einmal aufzubrechen. Tanzen zu gehen. Oder ins Kino. Sie trödelte. Verlor sich dann im Internet und kroch lange nach Mitternacht völlig verspannt ins Bett.
Am zweiten Tag färbte sie sich die Haare. Tiefschwarz. Sie sah blass und fremd aus. Lustlos blätterte sie in einem der Modemagazine aus dem ordentlichen Stapel neben dem Sofa. Einem zweiten. Legte sie genervt beiseite. Ging ins Bad, wählte aus Steffis Lippenstiftsammlung mehrere aus und schnupperte daran. Sie trat ganz nahe zum Spiegel und malte sich den Mund rot. Es sah aus wie eine Wunde. Energisch wischte sie die Farbe wieder ab. Sie legte einen blassroten Stift auf die Ablage und die anderen zurück in die Lade. Dann schnitt sie sich Stirnfransen und besserte nach, bis sie schließlich zufrieden war.
Der Sonntag begann grau und verregnet. Sie erwachte früh und konnte nicht mehr einschlafen. Sie kochte Kaffee. Starrte hinaus in das Grau, schnitt sich ein Stück Brot ab und legte es wieder hin. Betrachtete sich lange im Spiegel, strich sich die noch ungewohnten Fransen aus der Stirn, verzog das Gesicht, nahm seitlich die Haare hoch und ließ sie wieder los. Gut, befand sie und stieg in die Dusche. Eine halbe Stunde später zog sie die Wohnungstür hinter sich zu. Sie musste raus! Spazieren gehen. Ins Kino, was auch immer. Dieses Herumlungern in der Wohnung macht mich noch verrückt.
Auf dem Fußabstreifer lag Werbematerial. Sie bückte sich danach. Unglaublich, wie oft jemand Prospekte, Zeitungen, irgendwelches Zeug in die Tür steckte oder davor ablegte. Eine Einladung für Einbrecher. Man sah sofort, schon nach wenigen Tagen: Hier war niemand zu Hause. Sie stutzte. Sie konnte nachsehen, ob das in einer der Dachgeschosswohnungen gegenüber der Fall war. Irgendwo klingeln. In den fünften Stock fahren. Feststellen, dass sie sich geirrt hatte. Niemand gefallen war. Niemand ermordet.
Sie ging zum Lift und drückte den Knopf.
Die Tür zur Nachbarwohnung öffnete sich einen Spalt. »Waren Sie zufrieden?« Eine Frauenstimme mit leichtem Akzent.
»Ja, Sie machen das perfekt. Moment – vergessen Sie das Geld nicht.« Ein Mann. »Iveta?«
»Ja?«
Der Lift kam. Lena blockierte die Tür und wartete.
»Mein Angebot steht. Wenn Sie für mich arbeiten wollen … «
»Danke. Ich überlege es mir.« Die Frau schien es eilig zu haben. »Bis nächste Woche dann.«
»Überlegen Sie nicht zu lange.«
Leichte schnelle Schritte. Die Tür flog auf. Lena sah einen Mann in Shorts, um die vierzig mit rasierter Glatze und reichlich Muskeln. Er nickte ihr zu und musterte sie.
Sie grüßte ihn, ohne eine Miene zu verziehen, trat zur Seite und lächelte die Frau an. Sie war schön. Ein ebenmäßiges Gesicht mit hohen Wangenknochen. Mittelscheitel, die glatten blonden Haare nachlässig hochgesteckt.
Die Frau hielt den Blick gesenkt, während der Lift nach unten summte und schließlich mit einem Ruck stehen blieb. Sie wühlte in ihrer Tasche, zog ein Tuch hervor. Einen roten Schirm. Ihre Blicke trafen sich. Große blaue Augen. Ein scheues Lächeln. »Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen.« Scheißkerl, dachte Lena und zog energisch den Zipp ihrer Regenjacke hoch.
Drei Tage später sah sie die Frau in der Fußgängerzone wieder. Sie schlüpfte direkt vor ihr aus dem Seiteneingang eines Nachtlokals, versperrte die Tür und hastete, ohne nach links oder rechts zu blicken, die Straße entlang. Ihre Schuhe klackten auf dem Asphalt. Sie hatte die Haare mit einer Spange hochgesteckt. Eine Strähne wippte bei jedem Schritt. Sie trug Jeans und eine große graue Tasche über der Schulter. Lena sah ihr nach, bis sie im Gewühl der angrenzenden Einkaufsstraße verschwand.
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Er hatte ihr versprochen, sich darum zu kümmern. Die Tote wegzuschaffen. Er dachte gar nicht daran, aber sie hatte ihm wie immer geglaubt.
Es besteht keine Gefahr, dass jemand die Leiche findet, überlegte er. Kein Schwein zwängt sich ohne Grund durch das schmale Klofenster, um