Lichtschacht. Anne Goldmann

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Lichtschacht - Anne Goldmann

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und stocherte in ihrer Pasta. »Aber warum gehen wir nicht einfach zur Polizei? Wir erklären, was vorgefallen ist … «

      »Einen ganzen Tag später? Was wird passieren, was meinst du?« Er sah sie eindringlich an.

      »Wir werden erzählen, wie es war … «

      »Ein Mann und seine Ex kommen aufs Kommissariat und geben an, dass sie gestern mit der neuen Freundin des Mannes auf ein Dach geklettert sind, dort getrunken haben und die Neue dann, einfach so, in den Lichtschacht gefallen ist.«

      Der Kellner näherte sich. »Schmeckt es Ihnen nicht?«, fragte er mit besorgtem Stirnrunzeln.

      Sie zögerte.

      Respekt. Der Mann war ein guter Schauspieler! Er lächelte ihn an. »Es ist ausgezeichnet. Meine Bekannte ist ein bisschen«, er zögerte, »indisponiert.«

      Er orderte einen Espresso, sie hielt sich an den Wein.

      »Die zwei haben nichts unternommen, nicht nachgesehen. Keine Hilfe geholt. Weder die Rettung gerufen noch die Polizei. Sie haben eine Nacht darüber geschlafen, eine zweite, und – dir ist klar, dass wir in der Sekunde beide verdächtig sind?«

      »Wir … wir können das doch erklären … «, stieß sie hervor.

      »Erklären, erklären!«, fuhr er sie an. »Kapierst du das denn nicht?« Er legte die Gabel am Tellerrand ab. »Warum kommen wir zwei Tage später, hm? Wir haben mögliche Beweise beiseitegeschafft, uns abgesprochen, wer was sagt. Sie werden annehmen, dass … «

      Sie war blass geworden. »Es war deine Idee«, sagte sie tonlos. »Ich wollte sofort … « Sie brach ab, griff nach dem Wein, trank hastig einen großen Schluck und bekam einen Hustenanfall. Er klopfte ihr auf den Rücken. Sie keuchte. Ihr Gesicht glühte, die Augen tränten. Sie sah erbärmlich aus.

      Er nahm die Gabel wieder auf.

      »In dem Zustand, in dem du gestern Abend warst, hätte man dich dort behalten«, sagte er nach einer Weile. »Und auseinandergenommen, bis du ein Geständnis ablegst. Du warst alkoholisiert. Unter Schock, hast gezittert. Du warst nahe am Durchdrehen. Wenn ich dir nicht etwas zur Beruhigung, zum Schlafen, gegeben hätte … «

      Sie starrte ihn an. Er schob seinen leeren Teller zur Seite. Sie hatte nichts gegessen, die Nudeln mit den Meeresfrüchten verrührt, sie hin und her geschoben. Nun legte sie ihre Gabel weg und knüllte die Serviette zusammen.

      Der Kellner brachte den Espresso. Er wartete, bis er außer Hörweite war. Rückte näher und nahm ihre Hand. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, sagte er mit Wärme in der Stimme. »Ich will nicht, dass du im Gefängnis landest. Nach allem, was war.«

      Sie neigte den Kopf ein wenig, verharrte eine Weile und legte ihn dann auf seine Schulter.

      Er strich ihr übers Haar. Zwei, drei Minuten vergingen. Dann löste sie sich von ihm.

      »Sie war deine Freundin! Man wird dir glauben … « Ihre Stimme klang jetzt gefasst, ja zuversichtlich.

      »Denk nicht, dass mir das alles leichtfällt«, unterbrach er sie. »Kathrin ist tot.« Er biss sich auf die Lippen. Schwieg. Sie wurde unruhig. Räusperte sich. Schluckte. Öffnete den Mund und schloss ihn wieder. »Ich will nicht auch noch durch die Polizeimühle gedreht werden«, fuhr er fort. »Für dich lügen, mich sorgen müssen, weil du dich in deiner Panik in eine Situation manövrierst, aus der du nicht mehr herauskommst. Alles spricht gegen dich: Natürlich werden sie Eifersucht als Motiv annehmen! Wir sind ja noch nicht so lange getrennt. Kathrin ist … war jünger als du. Du hast ein bisschen … nun … überreagiert in den ersten Wochen … Wenn sie Freunde und Bekannte befragen … «

      »Was hat das denn damit zu tun? Ich wollte dich … es ist doch normal, dass man um eine Beziehung, um jemanden, den man liebt, kämpft. Ich dachte –« Sie stockte.

      »Genau! Und damit lieferst du ihnen das Motiv auf einem Silbertablett. – Verstehst du jetzt, was ich meine?«

      »Ja«, sagte sie tonlos. »Ja, ich verstehe.«

      ||

      Lena hatte geputzt, Kunden bedient und schließlich auch noch einen Teil des Lagers aufgeräumt. Sie hatte den ganzen Tag nicht mehr daran gedacht, aber jetzt, als sie die Wohnungstüre aufschloss, ging ihr erster Blick zum Fenster. Die Dächer lagen in der Abendsonne. Das sanfte Licht wirkte wie ein Weichzeichner.

      In der kurzen Mittagspause hatte sie im Kaffeehaus hastig die Zeitungen durchgeblättert und keinen Hinweis gefunden. Aber – nach einem Tag konnte man noch gar nichts sagen. Wenn einer vermisst wurde, wenn jemand eine Leiche fand, dauerte es wohl seine Zeit, bis die Zeitungen darüber berichteten. Sie hatte nie darüber nachgedacht.

      Sie schlüpfte aus den Schuhen, dann aus ihren Kleidern. Ließ die Badewanne volllaufen, träufelte etwas Mandelöl ins Wasser und tauchte bis zum Kinn unter. Versuchte sich zu entspannen, schloss die Augen und riss sie gleich wieder auf. Sie schnupperte, bewegte ihre Hände, sah ihren Körper zerfließen und wieder ganz werden und versuchte, an nichts zu denken.

      Wie das wohl war, wenn man plötzlich das Gleichgewicht verlor, stürzte, fiel? Aus großer Höhe. Begriff man in diesem Augenblick, was geschah? Dass man sterben wird. Schrie man? Verlor man die Stimme, den Verstand, während man auf den Boden zuraste und aufschlug? Spürte man den Aufprall? Einen Schlag? Wie innen alles kaputtging, die Lunge zerriss und in sich zusammenfiel, die Haut aufplatzte und die Knochen brachen? Man konnte wohl nichts mehr denken … Was, wenn man am Ende, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz, noch am Leben war? Zwischen den Müllcontainern auf dem Betonboden lag, mit zerschlagenem Schädel, im eigenen Blut, halb betäubt und wimmernd vor Schmerzen – und niemand kam?

      Sie rutschte zur Seite und ließ heißes Wasser nachlaufen.

      Gesetzt den Fall, ihr, Lena, würde etwas zustoßen: Wie lange würde es dauern, bis jemand sie vermissen, nach ihr suchen würde?

      In den beiden Wohnungen, die sie hütete, würden die Pflanzen verdorren. Die Katzen verhungern. Verdursten. Nein, da stand Gießwasser. Im Regal eine halbvolle Packung mit Trockenfutter. Und Katzen waren klug.

      Lena sah drei großäugige klapperdürre Gerippe durch eine weitläufige Altbauwohnung staksen. Hörte das Tippen ihrer viel zu langen Krallen auf dem Parkett. Langgezogene Schreie, die ihr durch Mark und Bein gingen. Über allem lag der scharfe Geruch von Katzenpisse und Kot.

      Die Leute fuhren weg und übergaben fremden Menschen, von denen sie kaum den Namen kannten, Wohnung und Tiere zur Pflege und verließen sich darauf, beides wohlbehalten vorzufinden, wenn sie gebräunt und übermüdet – mit quengelnden Kindern an der Hand und Trolleys voller Schmutzwäsche – wieder vor der Tür standen.

      Sie würden den Schaden begutachten, den Dreck, die toten Pflanzen. Würden anrufen, aufgebracht, erzürnt, zunehmend wütender, während das Läuten in einer leeren Wohnung ein paar Bezirke weiter verhallte. Oder in einem Hinterhof, dachte sie.

      Keine Adresse, kein Familienname. Eine Empfehlung genügte im Allgemeinen, um Zugang zur Wohnung, zum Leben anderer zu bekommen. Ein Vorname, eine Handynummer. Ein kurzes Gespräch.

      »Lena. Eine Abkürzung, oder? Wie heißt du mit ganzem Namen? Magdalena?«

      »Milena.«

      Er wirkt überrascht. »Woher kommst du?«

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