Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein

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Geburtsort: Königsberg - Ursula  Klein

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Weltweise war kein Heimatromantiker, aber bewusst ein Königsberger. Er hat seine Geburtsstadt nur selten, Ostpreußen nie verlassen hat. Er scheute nicht die Welt, sondern blieb in seiner Vaterstadt, weil er nach seiner Meinung in ihr alles vorfand, was er brauchte. Als die Stadt eine Kantmedaille stiftete und mit ihr verdiente Frauen und Männer auszeichnete, ehrte sie damit nicht nur ihren größten Mitbürger, sie bekannte sich damit auch zu seiner Heimatgeborgenheit und Weltoffenheit, die sie siebenhundert Jahre lang in besonderer Weise ausgezeichnet hat.

      Und so strömte, alles, was Beine hatte, zum Dom und Kneiphof, um wenigstens den Festzug sehen zu können. Die „Königsberger Allgemeine Zeitung“ vom 22. April 1924 lässt (auszugsweise) erkennen, in welchem Umfang das geschah:

      „Als eine Kantfeier besonderer Art ist unter den Veranstaltungen des ersten Haupttages noch ein Essen zu verzeichnen, zu dem die Königsberger Allgemeine Zeitung eingeladen hatte, das am Sonntag Abend in der Wohnung des Chefredakteurs Wyneken stattfand. Es war der Wunsch der Zeitung gewesen, einige Stunden im Zeichen Kants gesellig mit den Persönlichkeiten aus aller Herren Länder zu verleben, wie es Kant getan hätte. Alle, die an der Festzeitung mitgewirkt hatten, Vorlesungen und Diskussionen vorbereitet und Studien zum Thema „Kant“ veröffentlicht hatten, waren eingeladen. Und so wurde beim Essen im Kreis honoriger Herren, wie es die Überlieferung aussagte, gefachsimpelt, Theorien aufgestellt und wieder verworfen. Doch alle waren sich einig, dass die wissenschaftlichen Leistungen Kants unantastbar waren.“

      Wie die Feierlichkeiten im Dom abliefen, beschreibt die Zeitung folgendermaßen: „Regenschwer und windbewegt hat der 2. Ostertag begonnen, grau und tief hängen die Wolken über den Straßen der Stadt. Der Himmel zeigt sich Kants Verehrern von der rauhesten und unfreundlichsten Seite; durchnäßte Kleider und aufgespannte Schirme scheinen das Kennzeichen des Tages werden zu wollen.

      Trotzdem ist Leben und Zudrang zum Kneiphof. Ein Teil der Brodbänkenstraße und das große Rund des Domplatzes sind von einer dichten harrenden Menschenmenge eingerahmt, die von einem Spalier von Sicherheitsbeamten zurückgehalten werden – trotz des Regens und der nordischen missmutigen Witterung ein Bild von verhaltener Teilnahme und Erwartung, wie man es seit vielen Jahren in unserer Stadt entbehrt hat. Man ist sich bewusst, ein großes und einmaliges Ereignis zu erleben. Die Menschen wollen wenigstens aus der Ferne dabei gewesen sein, sie wollen davon erzählen, wollen sich daran erinnern können.

      Aber erst, wenn man den Dom betritt, wird man in eine andere Welt von der Stimmung der weihevollen Gehobenheit empfangen und getragen. Die graue, regenschwere Nüchternheit des Tages ist zurückgeblieben – hier unter den hohen gotischen Spitzbögen leuchten die zahllosen Kerzen der großen Kronleuchter, goldene Schnitzereien, lateinische Inschriften funkeln auf, im Hintergrund streben die goldenen Zierrate des Altars empor. In diesem gedämpften Licht, mitten unter alter Architektur, ist alles Sammlung und Andacht und Erinnerung. Das große Schiff der Kirche und die Orgelempore sind von einer dichten Menschenmenge gefüllt.

      Die Hoffnung der draußen auf den Zugangsstraßen geduldig wartenden Zuschauer wurde leider enttäuscht. Denn der Festzug durch die Straßen musste ausfallen und sich auf den kurzen Weg vom Stadtgymnasium bis zum Dom beschränken. So staute sich denn die neugierige Menge um so dichter auf dem Domplatz, der durch Schupobeamte (Polizei) zu Pferde und zu Fuß recht streng abgesperrt war. Galt es doch, den recht umfangreichen Auto- und Wagenverkehr zu regeln, der sich bei Anfahrt der Gäste in dem sich sonst verhältnismäßig ruhigen Domviertel entwickelte.

      Als dann unter den wuchtigen Akkorden der Orgel der Festzug im Portal des Domes erschien, und sich in würdigem Schritt durch den Mittelgang zum Altar bewegte – welch farbenprächtiges Bild! Im Dämmerdunkel des Kirchenraumes gestaltete es sich um so wirkungsvoller. Jeder empfand aber zugleich in dem Äußeren des Bildes dessen symbolische Bedeutung: Ein Huldigungszug Deutschlands, Europas, ja der Welt vor Königsbergs größtem Sohn, der zu einem Genius der Menschheit geworden ist. Das Licht des Weisen, der niemals über die Grenzen Ostpreußens hinausgekommen ist, hat inzwischen längst den Siegeszug über die Ozeane angetreten, so dass in Japan, wie der erste Festredner des Tages, Stadtschulrat Stettiner, später bemerkte, von einer weitverzweigten Gesellschaft der Geburtstag Kants regelmäßig festlich begangen wird.

      Der Zug wurde eröffnet durch den Oberbürgermeister Lohmeyer im Schmuck der schlichten Amtskette, die auch Zeuge und Zeichen der deutschen Not- und Kampfjahre Königsbergs ist. Mit dem Oberbürgermeister schritten Bürgermeister Goerdeler und Stadtschulrat Stettiner. Dann folgte Kultusminister Boelitz in Begleitung des Kurators Hoffmann, hinter ihnen die Studenten als ein wandelnder Wald von Fahnen und Bannern, bestickt mit den tapferen Sprüchen akademischer Jugend. Die Königsbergs Studentenschaft nahm mit Recht bei dieser Huldigung einen breiten Platz ein. Denn sie ehrte, wie sie da festlich mit Pekesche und Schläger aufmarschierte, zugleich mit dem Weltweisen den größten Professor der Albertina, der ihr unsterblichen Ruhm bereitet hat. Mahnte schon dieses Bild der studentischen Verbindungen an die Tatsachen, welche Mächte die Traditionen und ehrwürdigen Bräuche der Universität darstellen, so wurde dieser Eindruck noch verstärkt, als jetzt im imposanten Zuge die Rektoren der anderen Universitäten mit dem Barett, den feierlichen Sammetmänteln und der Rektorkette bekleidet, vorbeizogen. Man glaubte, dass hier ein Bild Dürers lebendig geworden sei, wenn man in der ehrwürdigen Umrahmung diesen und jenen Charakterkopf bemerkte, der durch langes Forschen jenen unverkennbaren Stempel der Denkarbeit bekommen hatte, wie es ein besonderer Geleitbrief der geistigen Menschen ist. Zugleich wurde man aber auch an ein Wort Kaiser Wilhelms erinnert, der einmal dem Rektor der Berliner Universität sagte, dass er verstanden hätte, wie ein König zu repräsentieren. Auch diese Rektoren, jeder ein kleiner König im Reich der Wissenschaft, hatten diese selbstverständliche Würde.

      Es folgten in kaum übersehbarer Fülle die Professoren der verschiedenen Fakultäten, auch sie in ihrer überlieferten, vielgestaltigen Tracht. Dann leuchteten zwei scharlachrote Mäntel auf: die Universitätspedelle mit den zepterartigen Stäben. Sie schreiten vor der Magnifizenz, die die Universität gewissermaßen inkarniert (verkörpert), vor dem Rektor der Albertina, Professor Uckeley. Ihm, dem das feierliche Ornat des Rektors besonders gut ansteht, folgt wiederum eine Fülle von Professoren und Gästen. Am Altar teilt sich der Zug.“

      Der Gottesdienst beginnt. Auch Vater Krohn war – mit einem Schirm bewaffnet – in den Reihen der Wartenden. An der Hand hielt er Hanna und Fritz. Beide Kinder waren hell begeistert über das, was sie gesehen hatten. Aber in den Dom kamen sie nicht mehr hinein.

      Und so machte Vater aus der Not eine Tugend und zeigte den Kindern das Grabmahl Kants, das anlässlich dieses Tages erneuert und im Farbton dem Dom angepasst worden war. Es war an diesem Tag besonders reich mit Blumen und Kränzen geschmückt, die direkt am Sarkophag lagen und auch vor dem Eisengitter. Hanna konnte nur mit Mühe die Inschrift lesen, da sie teilweise von Blumen verdeckt war: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“

      „Versteht ihr das?“ Hanna antwortete nach kurzem Nachdenken: „Na, ja, je öfter ich am Abend den Sternenhimmel anschaue, desto schöner erscheint er mir, aber auch immer wieder neu. Man kann sich eigentlich gar nicht satt daran sehen, so schön ist er. Und je älter ich werde, um so lieber schaue ich mir abends einmal die Sterne an.“ „Und was meint Kant mit dem moralischen Gesetz in uns?“ Darauf wussten beide keine Antwort und Vater erklärte: „Als ihr noch viel kleiner gewesen seid, habt ihr euch um vieles keine Gedanken gemacht. Wenn ihr etwas Verbotenes getan habt, wurdet ihr bestraft oder wir haben euch euer Fehlverhalten erklärt. Nun ist Lisbeth zum Beispiel erwachsen und muss selbst bestimmen, was falsch und richtig ist. Diese Entscheidungen über falsches und richtiges Handeln werden immer schwieriger, weil man sich – wenn man älter ist – über alles mehr Gedanken macht über Wenn und Aber, weil man alles komplex betrachtet. Als Jugendlicher urteilt man oft spontan, im Alter wägt man seine Entscheidungen und Worte länger ab.“ Das hatten sie begriffen.

      Obwohl

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