Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
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„Währungsreform!
Am 15. 10. 1923 wurde die „Deutsche Rentenbank“ gegründet, die vom Staat unabhängig arbeitet. Ihr Grundkapital ist eine hypothekarische Belastung allen gewerblich-genutzten Grundbesitzes zu ihren Gunsten. Die Berechnungsgrundlage war der 1913/14 erhobene "Wehrbeitrag“, - einer Vermögensabgabe der einzelnen damaligen Betriebe in Höhe von 3,2 Milliarden Mark. Auf der Grundlage dieser fiktiven Deckung gibt die Deutsche Rentenbank eigene Wertscheine heraus. Die „Rentenbankscheine“ lauten auf „Rentenmark“. Eine Rentenmark entspricht einer Goldmark. Diese Scheine sind noch kein öffentliches Zahlungsmittel, sie müssen aber von öffentlichen Kassen angenommen werden.
Das Reich – also die noch bestehende Reichsbank - erhielt heute von der „Deutschen Rentenbank“ 1,2 Milliarden Rentenmark als zinslosen Kredit und 1,2 Milliarden Rentenmark zur Weiterleitung an die Geschäftsbanken. O, 8 Milliarden Rentenmark behält die Deutsche Rentenbank als Reserve. Heute werden die Notenpressen stillgelegt.
Damit wird die Papiermark stabilisiert, weil die Deutsche Rentenbank streng auf die Begrenzung der 3,2 Milliarden Rentenmark als Höchstgrenze achtet. Die Berechnungsgrundlage für 1 Rentenmark = 1 Billion Mark.“
(Quelle: Blaich, Deutsche Geschichte der neuesten Zeit)
Vater legte die Zeitung weg und atmete tief durch. „Na, Gott sei Dank, dass ich nicht mehr mit einer Tasche voll Geld einkaufen muss und dafür kaum etwas Essbares bekomme“, sagte Mutter zufrieden. „Das war aber auch höchste Zeit, dass sich der Staat etwas einfallen ließ. So konnte es ja nicht weitergehen! Hoffentlich hält die Deutsche Rentenbank, was sie versprochen hat, nämlich nicht mehr Geld zu drucken als auch Gegenwerte dafür vorhanden sind.“
Nach einer kleinen Pause sagte Mutter etwas schüchtern: „Nun brauchen wir nur noch die neuen Geldscheine. Wer weiss, wann die in Umlauf kommen. Aber jetzt haben wir wenigstens schon einen Preisvergleich, wenn wir auf die Rentenmark umrechnen können. Wenn dann nicht jeder sein Geld sofort wieder in die Geschäfte trägt, weil er keine Angst mehr zu haben braucht, dass es in ein paar Stunden nichts mehr wert ist, bekommen wir vielleicht wieder mehr Waren zu kaufen, ich muss nicht mehr so lange im Geschäft anstehen und alles wird besser.“ (Anmerkung: Die Rentenmark wurde erst am 30. 8. des folgenden Jahres als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt und hatte immer noch den Verrechnungswert von 1 Billion Mark. Die „alte“ Mark wurde bis Juli 1925 aus dem Verkehr gezogen.) „Na, siehst du, Anna, „Gott hilft nicht zu jeder Frist, hilft er doch, wenn's nötig ist.“
Obwohl sich das Leben nicht grundsätzlich geändert hatte, bewirkte die Währungsreform doch bei den Menschen für die Zukunft so etwas wie Sicherheit und Perspektive. Sie vertrauten – auch wenn etwas verhalten – auf diese neue Währung, da sie auf Grund und Boden beruhte.
Und so wurde bei Familie Krohn wieder Weihnachten vorbereitet, das von der Vorfreude und dem sich gegenseitig Freude bereiten geprägt war.
Und Ostern wurde eine neue Etappe eingeleitet: Lisbeth wurde am Palmsonntag konfirmiert und begann die Lehre als Schneiderin. Die Eltern hatten auch nur zu gerne einen Lehrmeister für diese Ausbildung gesucht, denn dadurch konnte Mutter besser entlastet werden. Lisbeth hatte schon immer gerne bei den Näharbeiten geholfen, doch nun wollte sie es richtig lernen.
Die Erstgeborene war schon immer die „Große“, obwohl sie klein von Wuchs war. Aber Konfirmation bedeutete auch gleichzeitig, in die Reihen der Erwachsenen aufgenommen zu werden. Und das bewirkte allerhand Änderungen: Das Konfirmationskleid war kein Kinderkleid, sondern wie für eine junge Dame von Mutter geschneidert worden. Die Zöpfe wurden zu einer „Gretchen-Frisur“ um den Kopf gelegt, damit später ein fraulicher Haarknoten daraus werden konnte. Feierlich hatte Vater ihr zum Tag der Einsegnung ein silbernes Kreuz mit Kette um den Hals gelegt und ihr den väterlichen Segen gegeben. Nun war sie kein Kind mehr. Obwohl sie selbstverständlich noch Zuhause wohnte und Vater auch für die Ausbildung das Lehrgeld bezahlt hatte, war dieser Tag eine Wende. Nun sollte sie ‚erwachsen‘ sein. Das bedeutete auch, dass sie in den Kirchenchor aufgenommen wurde, ein eigenes Gesangbuch und eine Bibel bekam und ein richtiges Gemeindemitglied wurde. Wenn sie sich dann später eine Gitarre oder Mandoline kaufen konnte, wurde sie auch in diesen Verein aufgenommen.
Die feierliche Einsegnung in der Kirche war für alle ein erhebendes Gefühl. Die Konfirmanden saßen in der ersten Reihe. Sie hielten das Gesangbuch und ein Taschentuch in der Hand. Bei den Mädchen war es mit einer feinen Spitze umhäkelt und eine Zierde, sollte aber auch das Buch vor den vor lauter Aufregung schweißnassen Händen schützen. Onkel Fritz hielt eine wunderschöne Predigt unter der Losung „Herr, leite mich in deiner Gerechtigkeit um meiner Feinde willen; richte deinen Weg vor mir her“. (Psalm 5, Vers 9). Alle Konfirmanden fühlten sich von diesem Text angesprochen und jeder gelobte auch im Stillen, der Kirche und dem Glauben treu zu bleiben. Das Glaubensbekenntnis „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erden und an Jesus Christus, … “ kam Lisbeth aus ehrlichem Herzen und innerer Überzeugung über die Lippen.
Mutter nahm ihre Große nach der Einsegnung in die Arme. Tränen der Rührung schluckte sie herunter. „Meine Große“, sagte sie, „du bist schon immer meine Große gewesen. Manchmal warst du schon so vernünftig wie eine Erwachsene: hast deine Geschwister oft betreut und Verantwortung getragen, mir im Haushalt ohne Murren geholfen und trotzdem in der Schule gut gelernt. Viel Zeit zum Spielen ist dir nicht geblieben. Und doch warst du immer fröhlich und guter Dinge. Gehe deinen Weg weiter, wie du ihn begonnen hast. Der Herr wird dir auch in trüben Tagen Helfer und Beschützer sein.“
Am Nachmittag kamen einige Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen zum Kaffeetrinken. Es war eine fröhliche Runde. Die Kleinen durften danach auf dem Hof herumtollen und die üblichen Spiele machen. An solchen Tagen machte das Spielen noch mehr Spaß, da die Cousins und Cousinen alle mitmachten.
Die Großen, zu denen ja nun auch Lisbeth gehörte, unterhielten sich angeregt mit der Verwandtschaft. Aber lange dauerte das nicht, denn wie selbstverständlich wurden zu solchen Gelegenheiten gerne Lieder gesungen. Alle Chorstimmen waren in der Familie Krohn vertreten und so hörten auch die Passanten die Kirchen- und Volkslieder auf der Straße mit. Viele blieben stehen und lauschten dem manchmal andächtigen und manchmal freudigen Gesang, je nachdem, welches Lied gerade gesungen wurde. Und es gab viele Lieder. Jeder hatte so sein Lieblingslied, das er anstimmte und alle anderen sangen dann mit, bis einer zum Aufbruch mahnte. Dieses Mal war es Mutter, die das Ende des Gesanges ankündigte, denn Erna musste ja mit ihren gut eineinhalb Jahren rechtzeitig ins Bettchen gebracht werden und alle Gäste mussten rechtzeitig zum Abendbrot wieder Zuhause sein.
So harmonisch verliefen alle Familienfeiern. Darum war es auch gar nicht so wichtig, wieviel Kuchen auf dem Tisch stand oder was – wie heute – für Getränke gereicht wurden. Es war einzig und alleine die Freude des Zusammenseins und des gemeinsamen Gesangs.
Diese Harmonie der Familienfeiern war Tradition und wurde von Kindern und Kindeskindern übernommen.
Doch nicht nur in der Familie Krohn wurde gefeiert, sondern auch in der Stadt. Am folgenden Ostermontag, so war überall zu lesen, ist die „Kantfeier“. Der berühmteste Königsberger wurde zu seinem 200. Geburtstag geehrt.
Schon lange vor diesem Tag wurden in der Universität Vorlesungen besonderen Inhalts von Gastprofessoren gehalten, Schriften veröffentlicht und dem neu gegründeten Stadtgeschichtlichen Museum Dokumente aus fernen Ländern übergeben, die von Kant stammten oder über ihn berichteten, denn eine Abteilung war ihm gewidmet. Zwar war der Nachlass des kinderlosen Philosophen nach seinem Tode verkauft und verstreut