Kālī Kaula. Jan Fries
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Sie will, dass Du alles in die Opferschale gibst, weil das der einzige Weg ist, alles daraus zu erhalten. Deinen Bauch als Zentrum für Freude, Lust und gute Gefühle. Dein Herz für Liebe und Lachen. Deinen Kopf für Lernen und Denken und neues Lernen. Wenn Du diese drei zusammenbringst, bist Du bereit dazu, Dich selbst zu überraschen. Genau jetzt.
Schwerpunkte dieses Buches
Als ich den Kessel der Götter fertig hatte, fragte mich eine Freundin, was ich denn läse. ‘Es ist der Kaulajñāna nirṇaya’, antwortete ich, froh auf das kleine rote Buch schauend, mit seinem ramponierten Umschlag und dem die-Göttin-weiß-was-die-statt-Papier-verwenden-Look, der bei indischen Verlagen so beliebt ist … wundervolles Zeug über Meditation und eins der praktischsten Tantras, die mir je untergekommen sind.’
‘Kein Keltenzeug mehr?’
‘Es geht mir auf die Nerven. Es gibt viel zu wenig praktisches Material in den überlieferten Texten. Ich habe genug von Fragezeichen, mittelalterlichen Mythen und müßiger Spekulation. Zumindest hatten die Kaula-Leute ein klares Interesse an Sachen, die funktionieren. Und sie hatten einen Sinn für Humor. Das ist erstaunlich selten in alter Literatur.’
‘Du wirst doch nicht ein Buch über Tantra schreiben, oder?’
‘Oh nein. Tantra ist riesig, unfassbar und überwältigend. Über das Thema kann man hundert Bücher schreiben. Wenn Du die Menge der erhaltenen Literatur nimmst, kannst Du Dein ganzes Leben mit Forschung verbringen und bekommst doch nur einen Bruchteil zusammen. Sorry, ein Buch über Tantra ist unmöglich.’
Und so ist es auch.
Glücklicherweise muss ich nicht über das ganze Tantra schreiben, was auch immer das sein soll. Ich habe mir nur einen kleinen Bereich an erhaltener (und übersetzter) Literatur herausgegriffen, sie mit einer Menge täglicher Übung kombiniert, mir selbst das Versprechen gegeben, dass dieses Buch kein solches Monster wie der Kessel der Götter werden würde, und mich an die Arbeit gemacht. Zum Glück hatte ich mich schon einige Jahrzehnte mit manchen der aufregenderen ‘tantrischen’ Traditionen befasst. Ich beschloss, mich auf diese frühen Traditionen zu konzentrieren, vor allem Kula, Kaula, Krama und etwas Trika hinzuzufügen, was auch immer funktionieren würde, etwas Geschichte am Anfang, und die große Mehrheit der tantrischen Bewegungen zu ignorieren, die zum Buddhismus oder dem rechtshändigen Pfad des hinduistischen Stell-dich-in-die-Reihe-und-tu-was-dir-gesagt-wird-Tantra gehören. Bedauerlicherweise musste ich einige faszinierende Traditionen auslassen, und zum Glück noch viele mehr, die so stumpf und langweilig sind, dass ich Dich nicht damit belästigen will. Daher ist das Buch, das Du liest, keineswegs repräsentativ für das, was moderne Inder oder Westler als ‘tantrisch’ zu betrachten pflegen, aus dem einfach Grund, dass hier nur einige frühe, kleinere Bewegungen untersucht wurden, und auch diese nur bezüglich ihrer praktischen Anwendung. Und selbst von diesen Entwicklungslinien blieb eine riesige Materialmenge unberücksichtigt.
Nimm zum Beispiel die Initiation. Bei den frühen Kulas und Kaulas bezeichnete Initiation einen Komplex von höchst raffinierten Ritualen, die einen guten Teil Hypnose beinhalteten. Hier war Initiation keine Formalität, sondern eine Erfahrung, die den Initianten von seinem Dasein als ‘gebundenes Tier’ befreit. Nun waren die Kaulas praktische Leute. Sie legten nicht viel Wert auf Vertrauen und blinden Glauben. Stattdessen testeten sie ihre Ergebnisse. So solltest Du es auch halten. Ein Schüler, der die fünf Anzeichen von der Śaktipāta, dem ‘Herabkommen der Energie’, zeigte, wurde ermutigt, weiterzumachen. Für diejenigen unter Euch, die wissen wollen, welche Zeichen das sind, listet sie Abhinavagupta auf (Tantrāloka, 29, 208): Glücksgefühl, Leichtigkeit des Körpers, Zittern des Körpers, Schlaf der äußeren Sinnesorgane und ein gewisses Taumeln oder Schwanken. Weitere Zeichen können z. B. ekstatisches Lachen oder Weinen sein. Manche Initianten werden spontan poetisch, singen, tanzen oder wollen die ganze Welt umarmen. Diese Symptome zeigen ein Herabkommen der Energie (Śaktipāta) an und sind auch Anzeichen dafür, dass die Rudraśakti die verschiedenen Körper/Seinsebenen eines Initianten (zeitweilig) gereinigt hat. Was keineswegs die einzige Herangehensweise an die Sache ist. Es gibt ein riesiges Spektrum an Initiationsmethoden, manche von ihnen so obskur, dass es einen erstaunlich kompetenten Guru braucht, um sie zum Funktionieren zu bringen. Da dieses Buch sich vor allem mit der Praxis beschäftigt und Du vielleicht Dein Ding ohne einen solchen Guru durchzuziehen hoffst (die meisten von ihnen scheinen mit dem ursprünglichen Kula, Kaula und Krama vor dem 14. Jh. ausgestorben zu sein), wird das Thema Initiation ausgelassen. Nichtsdestoweniger ist es ein essentieller Teil der ursprünglichen Traditionen, und ich bitte um Entschuldigung dafür, diesem Thema nicht mehr Raum gewidmet zu haben.
Weitere Themen dieser Art sind die Wissenschaft von den Phonemen, den Kategorien der Existenz, und der riesige Bereich der philosophischen Erkenntnis, die aus den praktischen Erfahrungen jener wundervoll verrückten Seher erwuchs. Schon die Sāṁkhya-Schule unterteile das gesamte Dasein in 25 Prinzipien. Spätere Systeme wie Krama, Pratyabhijña, Kula und Trika erweiterten das Daseinsspektrum zwischen dem Manifestierten, Menschlichen und dem undefinierbar Göttlichen in 36 oder 37 Kategorien oder passten derartige kosmologischen Modelle an die etwa 50 Phoneme des indischen ‚Alphabets‘ an. Das Ergebnis war ein Modell der Welt, in dem sich alle Wesensbereiche, Elemente und Zustände als Klänge darstellen ließen. Das hatte besonders starken Einfluss auf die stetig diffiziler werdende Wissenschaft der Mantras. Hier begegnet man derartig verfeinerten und komplizierten Kosmologien, dass sich die hebräische Qabala, die mesopotamischen Geheimlehren und die Anderswelten der Ägypter im Vergleich dazu wie Kinderspielzeug ausnehmen. Manche spirituellen Systeme waren weitgehend auf solche Spekulationen gegründet: der Weg zum Heil lag im Bedenken, Erkennen und Erinnern. Andere Systeme konzentrierten sich auf praktische Erfahrungen, und wenn den heranwachsenden Tantrikern welterschütternde Einsichten kamen, wurden diese mit einem Grinsen zur Kenntnis genommen, und niemand machte eine große Szene deshalb. Denn erschütternde Einsichten kommen immer wieder vor. Sie zeigen, dass man noch am Leben ist. Doch sollte man hier nicht einfach zwischen ‚Theoretikern‘ und ‚Praktikern‘ unterscheiden, denn so simpel ist es nicht. Es gibt ‘tantrische’ Systeme, die philosophisch erscheinen, es aber nicht sind, weil sie auf spiritueller Erfahrung statt auf Nachdenken, Logik und Spekulation beruhen. Tatsächlich gibt es eine Menge davon, und sie stimmen nicht miteinander überein, oft noch nicht einmal in den Grundlagen. In diesem Buch ist deshalb die ‘tantrische Theorie’ auf ein sehr kleines Minimum reduziert. Eine Ausnahme machen wir im Kapitel über den Krama, um zumindest ansatzweise vorzustellen, zu was für Höhenflügen die Seher/innen Kaschmirs fähig waren. Diese Tradition, obwohl sie größtenteils verloren und vergessen ist, bietet immer noch genug Material, um zum Denken, Verstehen und Erleben zu verhelfen. Und sie ist, was ein besonderer Bonus darstellt, eng mit einer ganzen Serie von Kālīs verknüpft. Auch hier habe ich die Theorie stark vereinfacht. Das alles soll verdeutlichen, dass es den meisten Tantrikern nicht nur darum ging, zu glauben oder Rituale durchzuführen. Nur weil Du und ich möglicherweise die direkte Erfahrung der Theorie vorziehen, will ich nicht den Eindruck vermitteln, dass alle ‘tantrischen’ Gurus so denken.
Ein weiteres Thema, das ich nur ansatzweise behandelt habe, ist die praktische Magie, Zauberei und Beschwörung. Moderne Autoren neigen dazu, den Eindruck zu vermitteln, ‘Tantra’ und ‘Yoga’ seien Disziplinen, die dafür gedacht sind, Wohlgefühl, Gesundheit, Erleuchtung und Befreiung zu garantieren, und dass ihre Anwendung für Zaubereien eine Perversion des ursprünglich reinen Credos sei. Was gut klingen mag, aber schlicht und einfach falsch