Verhängnis in der Dorotheenstadt. Jan Eik

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Verhängnis in der Dorotheenstadt - Jan Eik страница 9

Verhängnis in der Dorotheenstadt - Jan Eik

Скачать книгу

Vorreiter Eginhard Spielvogel, der mit seiner totenblassen Frau Elise und drei kränkelnden Kindern in der Stube neben ihm hauste und den Albertine für einen obrigkeitlichen Ohrenbläser hielt. Sie traute ihm und seiner stillen Frau nicht über den Weg.

      Heidenreich focht das nicht an, wenn er Albertine gelegentlich mit gewissen Hohenzollern-Histörchen unterhielt, denen sie mit brennenden Ohren lauschte, den Erzähler jedoch inständig anflehte, ja vorsichtig mit solcherlei Äußerungen über das geliebte Herrscherhaus umzugehen.

      Heidenreich stieß darauf, je nach Stimmung, nur ein unwilliges Schnauben oder ein höhnisches Lachen aus, mäßigte aber gewöhnlich seine Stimme. Seiner Ansicht nach schien die allgemeine Demagogenriecherei und -fresserei seit dem Tode des alten Königs ein wenig nachgelassen zu haben, wovon man allerdings in der Artillerieschule kaum etwas merkte. Zu viele der alten Kalkköpfe gaben hier immer noch den Ton an, von denen Heidenreich der stockreaktionäre Oberst-Lieutenant Aemilius von Elster, genannt von Streyth, gleich aus mehreren Gründen so verhasst war, dass sogar Albertine der Name geläufig war und sie Heidenreichs tiefe Abneigung teilte, obwohl sie den fraglichen Offizier gar nicht kannte.

      Heute war Heidenreich früh aus der Artillerieschule heimgekehrt und hatte den verregneten Nachmittag in der kalten Mansarde verbracht. Als Albertine sich gegen Abend entschloss, ihm ein wärmendes Getränk zu kredenzen, stand sie lange lauschend vor der Kammertür, hinter der Heidenreich seltsame Laute ausstieß, beinahe eine Art Singsang, da-di-di-da-di-da … in vielerlei Folgen.

      So fröhlich hatte sie ihn lange nicht erlebt, und so öffnete sie entschlossen die Tür, fand ihn jedoch mit gewohnt ernsthafter Miene am Tisch hockend vor, auf dem er mit der Hand zum Gesang passende Rhythmen schlug.

      »Sind Sie nunmehr auch noch unter die Komponisten gegangen?«, erkundigte sich Albertine mit jener Mischung aus Spaß und Respekt, die sie sich im Gespräch mit ihm öfter erlaubte.

      Heidenreich schüttelte den Kopf. Seine blonde Haarmähne, die sie so schmerzlich an ihren Ludwig erinnerte, stand wirr nach allen Seiten. »Ich übe es, eine Meldung zu senden«, erklärte er. »Nach einem ganz neuen amerikanischen System. Aber das verstehst du sowieso nicht.«

      Da hatte er recht. Von dem, was er hier oben tat, begriff sie leider nie das Geringste, obwohl er sich durchaus bemühte, es ihr zu erklären. Die wenigen Jahre in der Parochialschule hatten gerade genügt, ihr neben der Religion ein wenig Lesen und Schreiben zu vermitteln. Rechnen hatte sie der Vater gelehrt.

      Weshalb Heidenreich unbedingt und angeblich in Windeseile irgendeine Nachricht nach Paris senden wollte, blieb ihr unklar. Waren die Franzosen nicht noch immer Feinde, die zudem eine Revolte gegen ihren eigenen König angezettelt hatten?

      »Es könnte ebenso gut Königsberg oder meinetwegen Stuttgart sein«, berichtigte Heidenreich sie geduldig.

      »Wichtig sind ausschließlich die weite Entfernung und die hohe Geschwindigkeit.«

      Das half ihr nicht weiter. Eine größere Entfernung als die ins sächsische Heidenau, wo sie einmal die Großmutter besucht hatte, vermochte sie sich nicht vorzustellen, und was die Geschwindigkeit anging, so bereiteten bereits galoppierende Pferde ihr Unbehagen. Die neue Eisenbahn nach Potsdam, die sie nur bei der Bahnhofsausfahrt gesehen hatte, fuhr unterwegs angeblich noch rascher. Und im Tivoli am Kreuzberg, wohin Ludwig sie einmal ausgeführt hatte, waren sie mit einer geradezu ungeheuerlichen Geschwindigkeit die glatte Bahn hinuntergeglitten. Mit Schaudern, aber nicht ohne eine gewisse Sehnsucht erinnerte sie sich daran, wie Ludwig sie mit seinen starken Armen fest umklammert gehalten hatte.

      Heidenreich schlürfte inzwischen dankbar die dunkle Flüssigkeit in sich hinein. »Schmeckt beinahe wie echter Kaffee«, brummte er, was im Hause eines Cichorienfabrikanten als ein zweifelhaftes Lob gelten mochte. Albertine registrierte es ohne Empfindlichkeit. Scherze über das wenig geschätzte und doch so ausgiebig genutzte Produkt aus der Brennerei des Vaters begleiteten sie seit ihren frühesten Kindertagen. Selbst Ludwig hatte seinen gutmütigen Spott damit getrieben und behauptet, es enthielte ohnehin ein Gutteil verfälschender Beimengungen wie Beinschwarz oder gar Steinkohlenpulver. Empört hatte der Vater derlei Verdächtigungen von sich gewiesen.

      Albertine war der Duft der gebrannten Unkrautwurzel ebenso vertraut wie unangenehm. Sie bevorzugte die poetische Bezeichnung Sonnenwirbelwurz, aber auch die machte das Produkt aus dem gemeinen Wegwart kaum sympathischer.

      Glücklicherweise befand sich die Knoppe’sche Brennerei nicht wie andere Gewerbe im Hof des eigenen Hauses, und das keineswegs aus Platzgründen. Die scharf gebrannten, zu Haufen aufgeschütteten oder in Fässern eingestampften Wurzeln entzündeten sich angeblich leicht von selbst, weshalb die Produktion nur außerhalb der Stadtmauern geduldet wurde.

      Doktor Heidenreich hatte sich bei ihr nach allen Einzelheiten der Fabrikation erkundigt und auch den Vater eingehend befragt, dann jedoch jegliches Interesse an dem braunen Pulver verloren, das ihm seine tägliche Morgenlabsal lieferte. Dass er ansonsten Wein oder noch stärkere Getränke bevorzugte, war kein Geheimnis. Er stammte schließlich aus dem Süddeutschen, wo der Wein etwas bekömmlicher ausfiel als der heimische Berliner Essigtrunk.

      Heidenreich war der hoffnungsvolle jüngste Spross einer im hohenzollernsch-sigmaringschen Ländle alteingesessenen Familie von Feldschern, Handelsleuten und angesehenen Militärs. Er war in jenem Jahr nach Berlin gekommen, in dem zu seiner Begeisterung die erste Lokomotive einen Zug ins nahe Zehlendorf und wenig spatter bis nach Potsdam gezogen hatte. Zwar hatte man die erste Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth erbaut, doch erst die riesigen Flächen und Entfernungen im erstarkenden Preußen ließen ahnen, wo die Zukunft für das neue Verkehrsmittel zu erwarten war. Inzwischen baute man eine Strecke ins Anhaltinische, Schienenpaare nach Stettin und Hamburg würden folgen.

      Dennoch war es nicht die Eisenbahn, die das Interesse des jungen Wissenschaftlers in erster Linie fesselte. Seine wahre Berufung sah er in der Erforschung jener geheimnisvollen Kraft, die gewissen Elementen und Stoffen unsichtbar innewohnte, der Elektrizität. Seine außergewöhnliche Begabung für alles Verstandesmäßige, am besten mathematisch oder physikalisch Erfassbare, hatte ihm früh die Abneigung seiner geistlichen Mentoren eingebracht, ihm dessen ungeachtet jedoch zu einem baldigen Universitätsstudium verholfen. Da die württembergische Eberhardo-Carolina zu Tübingen in den Naturwissenschaften lediglich eine medizinische Laufbahn eröffnete, war er nach Freiburg und Jena und schließlich nach Göttingen gewechselt, ohne dort indes so tief in die Geheimnisse der Physik einzudringen, wie er es sich vorgestellt und gewünscht hatte. Nicht zu Unrecht bezweifelte er, dass einer der Herren Professoren - vom großen Gauß einmal abgesehen - nur annähernd den wissenschaftlichen Gehalt seiner eingereichten Doktorarbeit über den Aufbau und das Verhalten elektrischer Felder unter atmosphärischer Beeinflussung zu erfassen in der Lage war. So musste er sich mit einem flauen cum laude als Bewertung zufriedengeben.

      Rastlos war Gebhardt Heidenreich durch die im Deutschen Bund vereinten Lande gezogen. Das junge, erst von Napoleon geschaffene Königreich Württemberg reizte ihn so wenig zum Bleiben wie das enge Großherzogtum Baden. Viel freier fühlte er sich im protestantischen Norden, wo sich in den Manufacturen der großen Städte nüchterner Geschäftssinn mit technischem Interesse zu paaren begann. Hier, so durfte er träumen, würde es ihm gelingen, wenigstens einige der Ideen, die in seinem Kopf herumspukten, in die Wirklichkeit umzusetzen.

      Seit ein gewisser Simon Ohm die Abhängigkeit der Stärke des elektrischen Stromes von den elektromotorischen Kräften und dem in der galvanischen Kette vorhandenen Widerstand entdeckt und in einem Gesetz formuliert hatte, gab es für Heidenreich kaum Wichtigeres, als beinahe Tag und Nacht im Laboratorium herumzuwerken und zu experimentieren. Insbesondere fesselten ihn alle Mitteilungen über Versuche, Nachrichten mittels elektrischen Stroms schnell und über größere Entfernungen zu befördern. Der optische Telegraph, dessen windmühlenartige Flügel den Turm der Sternwarte

Скачать книгу