Verhängnis in der Dorotheenstadt. Jan Eik

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Verhängnis in der Dorotheenstadt - Jan Eik

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Aufenthalt in einer der Berliner Conditoreien als verwerflich, das Rauchen und der Genuss alkoholischer Getränke als Todsünde. Glücklicherweise reagierte Henriette, die in mancher Hinsicht ebenfalls zu gewissen Affektionen neigte, mit Gelassenheit auf Heinrichs Anzeigen. Gontard aber stieg die Röte ins Gesicht, wenn sie ihm lächelnd pikante Stellen aus dessen denunziatorischer Correspondenz vorlas. Es war weniger die Scham vor Henriette als vielmehr die Gewissheit, dass derlei auch im schwarzen Postkabinett aufmerksam gelesen und vermerkt wurde und dem Fortkommen eines preußischen Offiziers kaum förderlich sein konnte.

      Vielleicht würde sich das jetzt ändern. Seit dem Tod des alten Monarchen sprach man allerorten davon, und auch heute Abend würde es in den Cafés und Tabagien, in den billigen Bierschwemmen wie den vornehmen Stadtpalais kaum ein anderes Gesprächsthema geben. Am 21. September war Friedrich Wilhelm IV. mit seiner Elise durch eine reichgeschmückte Triumphpforte in die Stadt eingezogen, für den kommenden Donnerstag waren die Huldigungsfeierlichkeiten für den neuen Herrscher angesagt.

      Erst jetzt merkte Gontard, dass Minna Koblank seit mindestens fünf Minuten von nichts anderem schwatzte als von ebendieser Ehrenerweisung für Fritz und Lörchen, wie sie das Königspaar vertraulich titulierte. Er nahm kaum wahr, dass da mancherlei Despektierliches in ihrem Redefluss dahinplätscherte, vermutete sie doch, dass der neue König sich vor den Anstrengungen der Festlichkeit mit einem kräftigen Trunk stärken würde, wie es nun einmal seine Art sei. »Der Butt«, so nannte sie ihn mit dem von ihm selbst gewählten Namen, verdanke seinen Leibesumfang gewiss nicht allein dem reichhaltigen Essen bei Hofe.

      »Es ist gut, Minna«, sagte Gontard mit einem missbilligenden Unterton, den sie geflissentlich überhörte. »Ich gehe noch aus.« Nach den Tagen in der ländlichen Einsamkeit verspürte er geradezu das Bedürfnis nach einem guten Gespräch. Henriette hatte ihn mit den Nichtigkeiten der Kindererziehung und des Landlebens geplagt, und der fischige Schwager hatte fast immer mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck geschwiegen. Er missbilligte von Gontards fortwährende Abwesenheit und war doch im Grunde seines Herzens beglückt, in Wutike ungestört den Herrn spielen zu können.

      Trotz seines Perleberger Misserfolges freute sich Gontard auf einen Abend mit den Herren Alexis - der eigentlich Häring hieß - und Hitzig. Die beiden würde er zu dieser Stunde sicher im roten Salon bei Stehely am Gensdarmen-Markt antreffen. Möglicherweise las dort auch sein Freund, der Mediziner Doktor Friedrich Kußmaul, die ausliegenden Journale. Sein Freund und Kollege Gebhardt Heidenreich verkehrte hingegen eher in Etablissements etwas niederer Kategorie, wo er dem Trunke in den letzten Monaten ein wenig zu heftig zusprach und außerdem sicher sein konnte, unter den Studenten der Universität oder des eigenen Bildungsinstituts eine halbwegs aufmerksame Zuhörerschar zu finden. Vielleicht aber, und das schien wahrscheinlicher, hockte Heidenreich wieder einmal über seinen Experimenten und hatte Raum und Zeit und hoffentlich auch den Alkohol vergessen. Gontard war sicher, dass irgendein stiller Kummer Heidenreich plagte, doch wenn es um Persönliches ging, verschloss der sich selbst dem engen Freund gegenüber wie eine Auster.

      Irgendwann wird es noch einmal ein böses Ende mit ihm nehmen, dachte Gontard besorgt, während er sich für den Abend umzog.

      Dabei war zu diesem Zeitpunkt keineswegs vorauszusehen, dass es mit Gebhardt Heidenreich einmal ein schlimmes Ende nehmen würde. Nur Albertine Knoppe, die ebenso tugendhafte wie neugierige Tochter seiner Wirtsleute, prophezeite es ihm mitunter im halben Ernst, wenn sie den Staub zwischen seinen Gerätschaften zu beseitigen versuchte und dabei wie von unsichtbarer Hand von einem Schlag getroffen wurde, der auf seltsame Weise ihren ganzen Körper durchzuckte. Selbst gelb und bläulich knisternde Blitze von beachtlicher Länge waren ihr schon begegnet in der zugigen Mansarde direkt neben ihrer Schlafkammer, die Heidenreich für seine eigenwilligen Machenschaften nutzte. Dennoch hatten alle Verbote des jungen Gelehrten, irgendetwas zu berühren, seine verstreuten Papiere zu ordnen, ja sein Laboratorium überhaupt zu betreten, nicht gefruchtet. Allein der Anblick der blinkenden Kupferapparaturen, denen diese unheimliche Wirkung innewohnte, lud förmlich zur Berührung ein. Wie unter Zwang gab Albertine immer wieder ihrer Wissbegier und dem von der Mutter ererbten Ordnungstrieb nach.

      Ansonsten verhielt sie sich so achtungsvoll zu dem jungen Mann, wie es sich gehörte, zumal Heidenreich nicht dazu neigte, sich in irgendeiner Form ungebührlich zu benehmen. Da hatte Albertine mit gewissen Studenten, die im Knoppe’schen Hause in der Mittelstraße zur Miete gewohnt hatten, ganz andere Erfahrungen machen müssen.

      Umso mehr schätzte sie den zurückhaltenden jungen Menschen, der sie immer ein wenig geistesabwesend durch seinen Kneifer betrachtete, als blicke er durch sie hindurch. Sie empfand eher schwesterliche Gefühle für ihn, ja, sie neckte ihn mitunter absichtlich, um ihn ein wenig aufzuheitern. Seit einer ebenso heimlichen wie unglücklichen Liebesaffäre mit einem adligen Fräulein, an der sie infolge der durch ihre Hände gehenden Post wie dank Heidenreichs spärlichen Andeutungen innigen Anteil genommen hatte, schien ihr das nötig. Zu tief nistete der eigene Kummer in ihr, hatte sie sich doch vor vier, fünf Jahren sterblich in einen blondlockigen Studenten der Philosophie verliebt, der ihre Neigung bald auf das Heftigste erwiderte, sich dadurch jedoch nicht von seinen gefährlichen politischen Umtrieben abbringen ließ und schließlich Hals über Kopf das Weite suchen musste, wollte er nicht wie die 165 anderen Burschenschafter vom Kammergericht zu einer lebenslangen Haftstrafe oder gar zum Tode verurteilt werden.

      Sie wusste nicht einmal, ob ihrem Ludwig die Flucht wirklich gelungen war. Noch immer hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, die unregelmäßig einlaufende Post würde ihr eines Tages endlich eine Nachricht aus seiner Hand bescheren. Andererseits ängstigte sie der Gedanke, eine solche Botschaft aus dem Ausland könnte im gefürchteten schwarzen Postkabinett bemerkt und aufgehalten werden, worauf sie und der Vater mit einem unangenehmen Polizeibesuch rechnen mussten.

      Auch der junge Doktor Heidenreich neigte gelegentlich zu unbedachten Äußerungen über die Obrigkeit. Oder vielmehr zu wohlbedachten, denn er wusste sich stets geschickt herauszureden. Dennoch war und blieb er in Albertines Augen ein echter Gelehrter, ein wenig weltfremd und dadurch in mancherlei Hinsicht gefährdet. Allzu oft hatte sie ihm in letzter Zeit zu später, mitunter sogar zu frühester Stunde die Haustür geöffnet, worauf er mit ihrer Hilfe hinauf in seine Stube im zweiten Stock gestolpert war. Albertine bezweifelte, dass ihn der im Übermaß genossene Branntwein auf die Dauer über den Liebeskummer hinwegtrösten würde, und sie argwöhnte, dass er sich im trunkenen Gespräch zu unbedachten Bekenntnissen würde hinreißen lassen.

      Außerdem belästigte das nächtliche Gepolter die Hausbewohner, insbesondere ihren Vater August Knoppe, der vor dem Königsthor eine nicht eben üppig florierende Cichorienfabrik betrieb, die sein frühes Aufstehen erforderte. Ihm gehörte das einst solide, inzwischen ein wenig heruntergekommene Haus mitten in der Neustadt, das sich nahezu seit deren Gründung im Familienbesitz befand.

      Früher hatte Albertines Mutter Martha Knoppe, die aus Heidenau bei Dresden gebürtig und dem Dialekt der sächsischen Heimat noch immer verfallen war, das Haus und den Garten dahinter gepflegt und sogar einen Mittagstisch für die Herren Studenten unterhalten. Seit einigen Jahren aber folgte sie jeden Morgen ihrem Mann in die Fabrik und überließ der Tochter die Hausarbeit und allen Kummer mit den Mietern und der greisen Großmutter, die im zweiten Stock das vordere Zimmer zur Straße bewohnte. Das erste Geschoss hatte einige Monate leer gestanden, ohne dass der Vater sich bereit gefunden hätte, den Mietpreis herabzusetzen oder die Stuben an einzelne Studenten zu vermieten. Er sollte recht behalten. Gerade erst war es der Mutter gelungen, einem aus süddeutschen Landen zugereisten Mediziner die Beletage mit allen Nebenräumen zu einer ansehnlichen Jahresmiete zu überlassen.

      Albertine hatte sogleich einen guten Eindruck von dem Doktor Henricus Bächerle gewonnen, einem dunkelhaarigen, nicht unansehnlichen Mann von aufrechtem Wesen und Blick, dessen Barttracht die Einschätzung seines wahren Alters ebenso erschwerte wie seine wohlgesetzte Redeweise. Alt war er jedenfalls nicht, wie sie ihrem heimlichen Schützling Heidenreich

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