Aufruhr am Alexanderplatz. Horst Bosetzky

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Aufruhr am Alexanderplatz - Horst Bosetzky

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Dinge und leise vor sich hin fluchend, kehrten Werpel und Krause nun zur Stadtvogtei am Molkenmarkt zurück. Und wer wartete da auf sie? Ferdinand Dünnebier! Mit einem riesigen Verband um den Kopf.

      »Biste nu als Tota hier oda als Lebenda?«, rief Krause.

      »Als Sultan«, antwortete Dünnebier und zeigte auf seinen Turban. »Ick dachte ma, ick melde mir nach allet, wat jestern Nacht passiert is.«

      Werpel nickte. »Da sind Sie uns in der Tat eine längere Erklärung schuldig.«

      »Na, lang isse nich, aber klar wie Kloßbrühe. Ick bin nich jestürzt, et hat mir wirklich eena niederjeschlagn. Ick war wohl ooch ’ne Weile weg. Als ick dann wieda zu mir jekommn bin, da dachte ick, bloß weg von hier, und bin ab zu’m Freund von mir, dem Liepe.«

      »Wer ist Liepe?«

      »Gottlieb Letschinski.« Mit dem habe er sich neulich um die schöne Auguste geprügelt, Auguste Gärtner, aber man habe sich längst schon wieder versöhnt. »Sie wissen doch, Herr Commissarius: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.«

      »Nun ja …« Werpel mochte dem nicht widersprechen.

      »Aber was meinen Sie denn nun, wer Sie in der Nikolaikirchgasse niedergeschlagen hat?«

      Da war Dünnebier um eine Antwort nicht verlegen.

      »Ick vamute mal, det det der Auguste ihr Bräutigam jewesen is.«

      »Und wer ist das?«

      »Der Watzlawiak is det, der Franz. Den finden Se bei Borsig draußen in’t Feuerland.«

      Ein Feuerland gab es 1848 nicht nur am südlichen Ende Südamerikas, sondern auch am nördlichen Rande Berlins, gleich vor dem Oranienburger Thor. Zuerst wurde hier 1804 die Königlich Preußische Eisengießerei in Betrieb genommen, dann hatten sich etliche Fabrikherren mit ihren Eisengießereien und Maschinenbauanstalten niedergelassen, so Franz Anton Egells (1826), August Borsig (1837), Friedrich Adolf Pflug (1839) und Johann Friedrich Ludwig Wöhlert (1842). Inzwischen zählte das Handelsministerium 33 Firmen mit über dreitausend Beschäftigten im Feuerland. Da alle Betriebe für ihre Produktion Eisen schmelzen, gießen oder bis zur Glut erhitzen mussten, brannten überall Feuer und aus unzähligen Schornsteinen stiegen Rauchschwaden in den Himmel, so dass im erfindungsreichen Berliner Volksmund das Areal bald den Namen Feuerland bekam.

      Der König vom Feuerland war eindeutig August Borsig, geboren 1804 in Breslau und 1823 nach Berlin gekommen. Begonnen hatte sein Aufstieg mit der Produktion von Kleineisenteilen für den Gleisbau, dann hatte er englische und amerikanische Lokomotiven repariert, und schließlich baute er selbst welche. 1841 hatte die Borsig 1 auf der Strecke Berlin—Jüterbog eine Wettfahrt gegen eine Maschine des großen George Stephenson gewonnen, und schon 1846 war Borsigs hundertste Lokomotive aus der Halle gerollt. Wer bei Borsig arbeitete, war stolz darauf und rief gerne aus: »Ich bin kein Proletarier, ich bin Maschinenbauer!«

      Einer dieser Maschinenbauer war Franz Watzlawiak. Er bediente eine der Drehbänke, an denen die Pleuelstangen der berühmten Borsig’schen »Schnellläufer«-Lokomotiven entstanden. Ringsum kreischten die Bohrer, dröhnten die Schmiedehämmer, in den Werkstätten nebenan flackerten die Schmelzöfen. Schlagartig aber brachen die Geräusche ab, als einer der Meister »Feierabend!« gerufen hatte. Es war Sonnabend, und ein jeder strebte voller Vorfreude auf das Wochenende seiner Wohnstatt entgegen. Watzlawiak hatte sich bei der Witwe Grimnitz in der Linienstraße eingemietet und eilte nun mit einer Geschwindigkeit durch das Oranienburger Thor, die die Wache denken ließ, hier sei ein Verbrecher auf der Flucht. Ein kleines Stück ging es die Friedrichstraße entlang, dann musste er nach links in die Linienstraße abbiegen. Die zog sich ewig an der nördlichen Berliner Peripherie entlang, erst hinter der Alten Schönhauser Straße war er am Ziel. Nur schnell aus den alten Klamotten raus, die er bei der Arbeit trug, sich waschen, etwas Anständiges anziehen, und dann ab zu Auguste. Er liebte es, sich als ganzer Mann zu geben, und so stand er auch Ende Februar an der Pumpe unten im Innenhof, die vor ein paar Tagen noch eingefroren war, und ließ sich das eiskalte Wasser über den nackten Oberkörper rinnen.

      Über ihm wurde das Fenster aufgerissen, und die Witwe Grimnitz oben am Fenster begann zu zetern. »Sie, det is unschickllich!«

      Watzlawiak lachte. »Sie müssen ja nicht hingucken. Weg vom Fenster, gleich wasche ich mich in den unteren Regionen!«

      Das wagte er natürlich nicht, dennoch kreischte die Grimnitz und drohte wieder einmal, ihm zu kündigen. Er war sich aber sicher, dass sie ihre Drohung nicht wahr machen würde, denn er hatte den Ruf, ein gewalttätiger Mensch zu sein. Und darauf war er auch stolz. Als er mit seiner Wäsche fertig war, nahm er dennoch eine Rose aus Papier, die er bei einem Maskenball erbeutet hatte, und trat an, sich bei ihr zu entschuldigen.

      Sie rollte mit den Augen. »Ihnen kann man auf Dauer nich böse sein …« Seufzend nahm sie die Papierblume entgegen und gestattete ihm sogar, in ihrer Vossischen zu blättern und nachzuschauen, was Berlin am 19. Februar 1848 an Amüsements im Angebot hatte. Es war eine Menge.

      Im Königlichen Schauspielhaus gab es ein Lustspiel von Gustav zu Putlitz mit dem langweilig klingenden Titel Ein Hausmittel. Nein, das war nichts für seine Auguste. Eher wäre sie noch ins Königsstädtische Theater gegangen, wo die Compagnia Italiana gastierte, aber da fiel die angekündigte Oper wegen einer Unpässlichkeit der Signora Fodor heute aus. Schade.

      Groß waren die Programme der Circusse angekündigt, zum Beispiel:

       Circus von Alessandro Guerra

       Große Damen-Vorstellung mit neuen Abwechselungen

       Zum Schluß: Grand Steeple chase, geritten von 8 Damen der Gesellschaft

       Anfang: 7 Uhr abends

      Das klang nicht schlecht, aber wie immer war Watzlawiak knapp bei Kasse, und beim Kauf zweier Eintrittskarten hätte er sich wieder etwas von der Witwe Grimnitz borgen müssen. Ausgeschlossen! Weiter im Text. Einige Etablissements priesen Interessantes an. Nicht ganz klug wurde er aus dem, was die Erste Corso-Halle zu bieten hatte: Fortsetzung der eingeübten fahrenden Bedienung, wobei Prell’sches Bier in neuem Costüm verabreicht wird. Kamen da die Serviererinnen mit einer Draisine an die Tische? Kroll’s Garten kündigte für sieben Uhr abends schon den vorletzten Bal Masqué an: Der Königl. Tänzer Hr. Sergeois leitet die Tanzordnung. Die Herren Noack und Hoffmann werden eine vollständige Maskengarderobe aufgestellt haben. Angelangt bei Krumhorn’s Caffeehaus, bekam er das große Gähnen: Große Abendunterhaltung mit Gesang. Launige Vorträge von dem jetzt mit vielem Beifall aufgenommenen Herrn von Bergen nebst Kapelle. Das Maaß’sche Lokal und Sommer’s Salon boten auch nichts Aufregendes. So blieben für Auguste und ihn nur noch zwei Attraktionen:

       Bude auf dem Alexanderplatz

       Die 7 Wunder der Welt in sieben Bildern

       5 großartige Gemälde von J. Lera

       Die außerordentliche Naturerscheinung, ein 15 Jahr altes, lebendes Mädchen, welchem Theile eines zweiten Kindes angewachsen sind

       Eldorado (Thorstraße 12)

       Grand Bal masqué et paré

      

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