Aufruhr am Alexanderplatz. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Aufruhr am Alexanderplatz - Horst Bosetzky страница 8
»Dafür wäre ich dir sehr zu Dank verpflichtet. Und so bald wie möglich!«
Damit machte er sich auf den Weg zu seinem Bureau im Kriegsministerium, das an der Leipziger Straße lag und in den letzten drei Jahren ausgebaut und um ein Stockwerk erhöht worden war. Es war ein großartiges, palastähnliches Gebäude. Die beiden Portale in der Fassade waren mit lebensgroßen Figuren eines Garde-Kürassieres, eines Garde-Infanteristen und eines Husaren geschmückt, die man aus sogenannter Chaussée-Masse gefertigt hatte.
Im Treppenhaus traf er auf seinen Vorgesetzten, den Kriegsminister Ferdinand von Rohr, mit dem er ein wenig über den Krieg zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten von Amerika redete. Der bot in diesen Tagen am meisten Gesprächsstoff.
»Es erreichen uns immer mehr Details«, begann Randersacker seinen Bericht. »Generalmajor Robert Patterson hat mehrere seiner Soldaten wegen begangener Kriegsverbrechen hinrichten lassen.«
»Interessant«, murmelte von Rohr.
»In Huamantla haben Mexikaner einen amerikanischen Major ermordet, und daraufhin hat der Brigadegeneral Joseph Lane seine fast zweitausend Mann starke Truppe auf die Bevölkerung losgelassen. Sie haben geplündert, die Stadt zerstört, vielfach gemordet und die Frauen geschändet.«
»Fürchterlich! Und undenkbar in Deutschland.« Randersacker nickte. »Fürwahr! Außerdem wird von vielen Desertionen berichtet. Der Dienst in der amerikanischen Armee ist beschwerlich, nicht hochangesehen und schlecht bezahlt. Es sollen viele Soldaten, insbesondere Katholiken und Neu-Einwanderer, zu den Mexikanern übergelaufen sein.«
Der Minister seufzte. »Das könnte auch für uns ein Problem werden, wenn es zum Krieg zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland kommt, was mir unausweichlich erscheint.«
»Nachdem die Amerikaner die nächsten Schlachten gewonnen hatten, haben sie die Rädelsführer der Deserteure hängen oder erschießen lassen. Richtig so!«
»Und wie wird es weitergehen?«, wollte der Kriegsminister wissen.
»Man sitzt jetzt in einem Nest mit dem schönen Namen Guadaloupe beisammen und verhandelt über einen Friedensvertrag. Es heißt, Mexiko werde fast die Hälfte seines Staatsgebietes an die Amerikaner abtreten müssen.«
Ferdinand von Rohr geriet ins Träumen. »Stellen Sie sich einmal vor, Randersacker, wir führten Krieg gegen Österreich, Bayern und Sachsen, gingen daraus als Sieger hervor und hätten dann unser Guadaloupe …«
Damit verabschiedete er sich von Randersacker. Der verbrachte die nächsten Stunden in Vorfreude auf das erhoffte private Vergnügen. Und wirklich, als er dann nach Hause kam, konnte Jacques ihm ins Ohr flüstern, dass Flora Morave ihn erwartete.
»Und wo?«
»Im ›König von Portugal‹.«
»Sehr gut.«
Dieses Lob bezog sich darauf, dass besagtes Hotel in der Burgstraße No. 16 zu finden war – und man nur drei Häuser weiter die Kriegsakademie untergebracht hatte, in der Randersacker mehrmals in der Woche preußische Offiziere unterrichtete. Und so konnte er jetzt seiner Magdalene zurufen, dass er schnell noch einmal in die Burgstraße müsse, ohne dabei rot zu werden.
Die Burgstraße zog sich am östlichen Spreeufer entlang und durchquerte das Heilig-Geist- und das Nikolaiviertel. Neben dem »König von Portugal«, dessen Fassade von keinem Geringeren als Karl Friedrich Schinkel gestaltet worden war, und der Kriegsakademie gab es hier noch weitere Glanzpunkte preußischer Baukunst: das alte Posthaus, das Palais des Grafen von Wartenberg und das Palais Itzig. Die Gegend war so belebt, dass Randersacker nicht besonders auffiel.
Bereits erregt ob dessen, was ihn erwartete, betrat er das Hotel. Ein in die Hand gedrücktes Goldstück, ein kurzes Flüstern und schon wies ihm der Portier den Weg. »Dritter Stock, Zimmer 310, mit Spreeblick.«
Randersacker stieg die Treppen so schnell hinauf, wie es ihm in seinem Alter noch möglich war. In der dritten Etage angekommen, verschnaufte er erst einmal ein wenig, um nicht sofort Floras Spott herauszufordern. Er orientierte sich kurz und fand heraus, dass ihr Zimmer am Ende des Ganges gelegen war. Zwanzig Schritte noch … Er konnte es kaum mehr erwarten und ging noch ein wenig schneller. Da ging vor ihm eine Tür auf, und ein Mann trat ihm entgegen. Maskiert und mit einer Pistole in der Hand.
Der Portier unten in der Empfangshalle hörte einen Schuss und einen Schrei.
Criminal-Commissarius Waldemar Werpel und sein Constabler waren weiterhin nach Kräften bemüht, das Rätsel um den angeblich erschlagenen und dann wieder von den Toten auferstandenen Arbeitsmann Ferdinand Dünnebier zu lösen.
Krause hatte schon eine Idee. »Wir müssen ihn bloß mal fragen, wie det allet jekomm is.«
Werpel fasste sich an den Kopf. »Um ihn zu befragen, müssen wir ihn erst einmal haben, aber er ist und bleibt nun mal verschwunden.«
Der Constabler feixte und zeigte nach oben. »Vielleicht issa doch aufjefahr’n gen Himmel.«
»Dann passen Sie nur auf, dass er nicht wieder runterkommt und Ihnen uff ’n Kopp fällt!«
Werpel überlegte, und das ging nicht so schnell, weil es für ihn Schwerstarbeit war. Natürlich war Dünnebier nicht in den Himmel aufgefahren. Es blieben drei Möglichkeiten. Erstens: Der Mörder war zurückgekommen und hatte Dünnebier mitgenommen, um die Spuren seiner Tat zu beseitigen oder um den Arbeitsmann nun endgültig totzuschlagen. Zweitens: Dünnebier war wieder zu sich gekommen und hatte sich, betrunken wie er war, davongemacht. Es konnte ja sein, dass gar niemand versucht hatte, ihn um die Ecke zu bringen, und er in seiner Trunkenheit nur gestürzt und mit dem Kopf auf die Stufen der Kohlenhandlung aufgeschlagen war. Drittens: Es hatte wirklich ein Fremder Dünnebier die Kopfverletzung zugefügt – dass es die wirklich gegeben hatte, war von Kugler und dem Nachtwächter bestätigt worden –, aber der Verletzte war wieder zu sich gekommen und hatte sich davongemacht.
Während Werpel noch all dies gegeneinander abwog, wurde Krause langsam ungeduldig. »Watt is’n nu, Herr Commissarius, wen soll ick’n festnehm?«
»Den Dünnebier.«
»Wieso’n ditte?«
Werpel tat amtlich. »Weil er eine Straftat vorgetäuscht hat.« Das war eine weitere Variante, die ihm eben erst eingefallen war. Dünnebier hatte die Obrigkeit hinters Licht führen wollen.
»Jut, wenn Se mir zeigen, wo a is, nehm ick ihn ooch fest«, erklärte Krause. »Aba wo issa?«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Krause?«
»Gerne, wenn det ’n Befehl is.« Er setzte wirklich an, den Commissarius hochzuheben, und da Werpel sich wehrte, konnten die umstehenden Berliner ein kleines Schauspiel genießen.
Als sich beide wieder voneinander gelöst hatten, machten sie sich auf den Weg zur Nikolaikirchgasse, um mit dem Kohlenhändler Wilhelm Wenzel und seiner Frau zu reden. Aber die konnten ihnen auch nicht mehr berichten, als dass sie in die hinteren Räume gelaufen waren, um Wasser und Verbandszeug zu holen, nachdem ihnen der Nachtwächter und ein Bürger den vermeintlich toten Arbeitsmann auf die Treppen zu ihrem Kohlenladen gelegt hatten.