Aufruhr am Alexanderplatz. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Aufruhr am Alexanderplatz - Horst Bosetzky страница 6
»Een Schlag, und deine Neese sitzt hinten!«
»Ick schmeiß dir an de Wand, dette kleben bleibst und der Criminal-Commissarius dir abkratzen muss!«
Kußmaul wandte sich an Gontard. »Da scheint es endlich mal einen Fall für dich zu geben.«
Gontard wehrte ab. »Nicht doch, du beleidigst mich. Wer da der Täter ist, findet sogar Werpel auf Anhieb heraus, das ist weit unter meinem Niveau.«
Drei
Franz Theodor Kugler saß mit Adolph Menzel am 14. Februar, einem Montag, im Hotel Ruppiner Hof in der Spandauer Straße No. 79. Die beiden verband nicht nur eine innige Freundschaft, sondern auch eine gemeinsame berufliche Erfahrung: Menzel hatte für Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen rund vierhundert Zeichnungen angefertigt und damit zu dem großen Erfolg des Werkes beigetragen. Menzel war es dadurch außerdem gelungen, sich als Künstler einen Namen zu machen und Kontakte zum Hof zu knüpfen. Kugler hatte schon vorher einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, nicht zuletzt durch sein 1830 erschienenes Skizzenbuch mit dem Volkslied An der Saale hellem Strande. Er war Mitglied der Sing-Akademie zu Berlin und der literarischen Vereinigung ›Tunnel über der Spree‹.
»Wie geht es bei dir zu Hause?«, wollte Menzel nun von Kugler wissen.
Kugler lächelte. »Danke, gut, wenn auch manchmal recht hitzig.« Das war eine Anspielung darauf, dass er vor fünfzehn Jahren Clara Hitzig geheiratet hatte, die Tochter von Julius Eduard Hitzig. »Wir haben drei sehr lebhafte Kinder.«
Da schwieg Adolph Menzel. Wegen seiner »Gnomenhaftigkeit« – 1,40 Meter maß er lediglich – war er nicht nur als untauglich für das Militär erklärt worden, sondern wurde auch von allen Frauen übersehen, die ihm gefielen. Die menschliche Wärme fand er bei seiner Mutter und seinen Geschwistern, mit denen er auch zusammenwohnte.
Menzel griff nach seinem Weinglas. »Ich hoffe nur, wir schaffen es zeitlich wie finanziell, in diesem Sommer einmal zu verreisen.«
Kugler legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Warte nur, bis sie deine Bilder überall ausstellen und dich zu allen Vernissagen anreisen lassen.«
»Ja, Dresden, Wien, Paris – das wäre wunderbar!«
»Und Breslau nicht?«, fragte Kugler. Dort war Menzel am 8. Dezember 1815 zur Welt gekommen – wie so viele echte Berliner.
Menzel winkte ab. »Über Breslau habe ich erst letzte Woche mit Borsig geredet, der kommt ja auch von daher.«
»Willst du nicht eine seiner Lokomotiven malen, wie sie durch die Schöneberger Wiesen dampfen?«, fragte Kugler.
Menzel fasste sich an den Kopf. »Gott, Franz, das habe ich doch schon letztes Jahr getan!«
Kugler seufzte. »Dass ich das vergessen konnte! Wie kann ich das nur wiedergutmachen?«
»Ganz einfach. Sorg dafür, dass sie mich aufnehmen in diesen Verein mit dem Namen ›Tunnel über der Spree‹.«
»Versprochen.«
Damit leerten sie ihre Gläser, zahlten die Zeche und nahmen Abschied voneinander. Danach machten sie sich auf den Heimweg, was ein ziemliches Abenteuer war, denn eine elektrische Straßenbeleuchtung gab es in Berlin noch lange nicht, und man musste sich darauf verlassen, dass etwas Licht aus den Wohnungen fiel und die trüben Gaslaternen an den Hauseingängen nicht vom Wind ausgeblasen worden waren. Dazu kam, dass die Bürgersteige nur grob gepflastert waren und zum Fahrdamm hin von einer breiten Rinne gesäumt wurden, durch die das Regenwasser abfließen sollte. Ab und an gab es schmale hölzerne Stege, auf denen man sie überwinden konnte.
Aber Kugler hatte es nicht weit, er wohnte in der Stralauer Straße, gleich hinter dem Molkenmarkt, brauchte also nur die Spandauer Straße hinunterzugehen. Das war eigentlich in ein paar Minuten zu schaffen – und dennoch dauerte es heute eine gute Stunde, ehe er zu Hause war. Denn an der Nikolaikirchgasse stolperte er über einen menschlichen Körper.
»Heh, Wache!«, schrie er in die Dunkelheit. »Hier liegt ein Betrunkener. Kommt den mal holen, sonst erfriert er noch.«
Als der Nachtwächter mit seiner Laterne heran war, erkannte Kugler den Mann: Es war Ferdinand Dünnebier, ein Dienstmann, der ihm schon oft beim Tragen schwerer Lasten geholfen hatte.
»Der is ja gar nich besoffen«, stellte der Nachtwächter fest, nachdem er sich zu Dünnebier hinuntergebeugt hatte. »Der ist tot, dem hamse ’n Schädel einjeschlagen. Sehn Se det Blut hier hinten am Koppe …«
Der Criminal-Commissarius Waldemar Werpel wohnte schon seit einer halben Ewigkeit in der Oberwallstraße. Die begann Unter den Linden, quetschte sich zwischen Kronprinzen und Prinzessinnenpalais hindurch Richtung Süden und endete am Hausvogteiplatz. Direkt neben ihm, im Hause No. 4a, hatte August Neidhardt von Gneisenau gelebt, einer der großen preußischen Heerführer in den Befreiungskriegen, und das erfüllte Werpel, der Preuße durch und durch war, mit nicht geringem Stolz.
Wie an fast allen Abenden langweilte er sich auch an diesem. Seine acht Kinder schliefen schon, ebenso seine Frau. Das war bedauerlich, weil er sich gern wieder einmal als Ehegatte betätigt hätte. Nun war er mit Minna schon seit über zwanzig Jahren verheiratet, und da sie zudem in letzter Zeit sehr in die Breite gegangen war, begehrte er sie eigentlich nicht mehr, doch am Tage hatte er in seiner Amtsstube die Tänzerin Flora Morave zu Besuch gehabt, der man Geld gestohlen hatte, und seitdem war er sexuell derart aufgeladen, dass er es ohne Kopulation kaum noch aushalten konnte. In ein Bordell zu gehen, was das Naheliegendste gewesen wäre, verbot ihm sein Amt. Was tun? So saß er beim Schein seiner Rübenöllampe am Küchentisch, tat so, als würde er Akten studieren, und ließ seine rechte Hand ihr Werk vollbringen. Gerade nahte die Erlösung, da wurde kräftig an seine Haustür gebummert.
»Herr Commissarius, schnell, kommen Sie!«, schrie jemand von der Straße her. »Ein Mord an der Nikolaikirche.«
Werpel fühlte sich um seine Lust betrogen und verfluchte Gott und die Welt. Aber was half ’s? Über allem standen Dienst und Pflichterfüllung. Also knöpfte er eilig seine Hose zu und lief auf den Flur. »Wer ist denn da?«
»Der Kugler.«
»Pardon, ich eile!« Werpel war natürlich nicht entgangen, dass Franz Theodor Kugler beim König ein Stein im Brett hatte. Er öffnete, bedankte sich in blumigen Worten für die Aufmerksamkeit des Schriftstellers und lief dann zur Kammer seines Ältesten. »Johannes, zieh dich an, und lauf zu Constabler Krause! Er soll sich auf der Stelle an der Nikolaikirche einfinden. Wir müssen sogleich herausfinden, um wen es sich bei dem Ermordeten handelt.«
Kugler lächelte. »Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Es ist der Dienstmann Ferdinand Dünnebier.«
Werpel zuckte zusammen. Alle taten so, als wäre er ein Kretin. »Hat Ihnen das der Oberst-Lieutenant von Gontard verraten?«
»Nein – wieso? Der war doch gar nicht an der Nikolaikirche.«
»Gut, dann wollen wir mal!« Er sagte noch schnell seiner Minna Bescheid, die schlaftrunken in den Flur getreten war, dann machte er sich an der Seite Kuglers auf den Weg zur Nikolaikirche. Sie liefen über die Französische Straße zum Werderschen Markt und weiter zum Schloßplatz, um die Spree zu überqueren. Hier stank es fürchterlich, denn die sogenannten Latrinen-Emmas hoben gerade die Fäkalieneimer, die sie in den anliegenden Straßen aufgeladen