Kempinski erobert Berlin. Horst Bosetzky

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Kempinski erobert Berlin - Horst Bosetzky

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tat es, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und schielte auf die Hände des Kriminalen, ob der schon die Handschellen hervorholte. »Womit kann ich dienen, der Herr?«

      Jetzt kam der entscheidende Augenblick, und Krojanke überlegte, ob er sich kampflos ergeben oder zu einer der Äxte greifen sollte, die vor ihm ausgebreitet lagen. Owieczek niederschlagen und fliehen. Bis zur russischen Grenze war es nicht weit, und Russland war groß.

      »Tja …« Owieczek schien unschlüssig zu sein. »Wie ist Ihr Name?«

      »Karl Krojanke aus Obersitzko.«

      Owieczek lachte. »Obersitzklo, schöner Ortsname. Sie kommen doch viel herum, Krojanke.«

      »Als fliegender Händler muss man viel herumkommen.«

      »Sagen Sie, sind Ihnen diese Individuen hier einmal untergekommen?«

      Damit holte der Kommissarius einen kleinen Stapel von Steckbriefen hervor und hielt sie ihm hin. Krojanke konnte nicht verhindern, dass seine Finger zitterten, als er die Steckbriefe durchging. Wenn er darunter war, dann … Um Owieczek abzulenken, rief er, dass er einen der Männer ganz genau wiedererkennen würde. »Den hier, denn kenne ich, das ist der Brody aus Czarnikau!«

      »Danke!« Erfreut machte sich der Kommissarius Notizen.

      »Und die anderen?«

      »Nie gesehen.« Erleichtert gab Krojanke die übrigen Steckbriefe zurück. Sein Konterfei war nicht darunter.

      »Na, dann …« Owieczek kaufte sich noch eine Nagelschere bei Krojanke, dann ging er weiter, um die anderen Marktleute zu befragen.

      »Herrgott, ich danke dir«, murmelte Krojanke. Er konnte aufatmen. Frohgemut rief er denen, die über den Markt bummelten, seine Botschaften zu. »Neue Messer/ schneiden besser! Nach ’ner Weile/ braucht man auch in Ostrowo neue Beile! Nicht so hastig weitereilen,/ kauft erst noch meine Feilen!« Er war mächtig stolz auf seine Reime. »Bäume an den Wegen/ fallen schnell durch meine Sägen!«

      Plötzlich verstummte er, denn auf den jungen Mann, der da vor ihm auftauchte, hatte er schon lange gewartet. Krojanke hatte, was seine einmal ausgeguckten Opfer betraf, ein phänomenales Gedächtnis, und so wusste er genau, wer jetzt vor ihm stand, um sich ein Taschenmesser zu kaufen: Das war dieser Berthold Kempinski aus Raschkow. Mit einer Schülermütze, die ihn als Unterprimaner auswies. Er hatte noch keinen Plan, um den jungen Mann in die Falle zu locken, aber irgendetwas würde sich schon finden. Hauptsache, man kam erst einmal ins Gespräch. Und da er die Kunst des Aushorchens meisterhaft beherrschte, hatte er bald herausbekommen, dass der Sohn des Weinhändlers am Sonnabend nach Schulschluss von Ostrowo nach Raschkow laufen wollte. Da war der Plan schnell gemacht: Mit dem Fuhrwerk hinterher, ihn ganz zufällig treffen und fragen, ob er nicht mitfahren wolle. Kein Mensch sagte da nein.

      »Proszę mówić nieco wolniej«, sagte Witold Klodzinski so schnell er konnte und lachte dabei schallend.

      Berthold Kempinski verzog das Gesicht. »Was ist denn daran so komisch?«

      »Weil das heißt: Bitte sprechen Sie etwas langsamer.«

      Immer wenn sie mit den Schularbeiten, die sie gern gemeinsam machten, fertig waren, versuchte sich der Freund als Polnischlehrer, denn Berthold fand, dass zumindest Grundkenntnisse in dieser Sprache nützlich waren, wollte man in Posen Geschäfte machen. Sein Vater hatte keine Lust, sie zu erlernen, denn Deutsch, Jiddisch und ein wenig Ungarisch reichten ihm, und sein Bruder Moritz war in dieser Hinsicht mehr als unbegabt. Da machte es sich gut, wenn Polen, die kein Deutsch sprachen, in den Laden kamen und er bei den Kaufverhandlungen zur Hilfe gerufen werden musste.

      Witold Klodzinski war mit seiner Prüfung noch nicht am Ende. »Rotwein?«

      » Wino czerwone.«

      »Sehr gut. Und Weißwein?«

      » Wino białe.« Auch das kam wie aus der Pistole geschossen.

      »Sehr gut, Kempinski! Man könnte Sie für einen echten Polen halten. Und: Geben Sie mir bitte …«

      »Proszę mi dać«

      »Gut.« Witold Klodzinski sah auf die große Standuhr. »Wir sollten gehen, denn mein Vater könnte jeden Augenblick nach Hause kommen.«

      Der sah es nicht gern, wenn Deutsche in seine Villa kamen. Um das auch allen klarzumachen, hing im Flur der Spruch: Póki świat światem, Polak Niemcowi nie bedzie bratem. Nur zögernd war er Berthold übersetzt worden: Solange die Welt bestehen wird, wird der Pole niemals des Deutschen Bruder sein.

      Seine enge Freundschaft zu Witold Klodzinski war das eine, das andere war Berthold Kempinskis Angst davor, dass sich die Polen in Posen eines Tages so gegen die Deutschen erheben würden, wie sie es 1830 und 1846 nebenan in Kongresspolen gegen die Russen getan hatten. Im ersten Falle, dem sogenannten Novemberaufstand, hatte der Sejm den Zaren für abgesetzt erklärt, und auf den Großfürsten Konstantin war ein Attentat verübt worden. Schlussendlich hatte die russische Armee den Aufstand blutig niedergeschlagen. Sechzehn Jahre später hatten sich polnische Intellektuelle in Krakau gegen die Besatzer erhoben, und die Bauern ringsum waren gegen ihre Grundherren vorgegangen. Wieder hatte die russische Armee eingegriffen, und die vormals freie Stadt Krakau war Österreich zugeschlagen worden.

      Witold Klodzinski zeigte Richtung Osten, Richtung Kalisch und Lodz, und senkte die Stimme. »Man flüstert sich zu, dass es drüben bald wieder losgehen wird.«

      Berthold Kempinski erschrak. »Und wird es bis zu uns herüberschwappen?«

      Das Gesicht des Freundes verdüsterte sich. »Eines Tages wird auch Ostrowo wieder eine Stadt in Polen sein«, lautete die Prophezeiung.

      »Das kann mir egal sein, da bin ich schon lange in Breslau.« Berthold Kempinski suchte, die Sache leicht zu nehmen.

      »Jedes Volk hat das Recht auf einen eigenen Staat«, sagte Witold Klodzinski.

      »Wir Juden haben ja auch keinen«, erwiderte Berthold Kempinski. »Man kann auch so glücklich und in Frieden leben.«

      Jetzt wurde der Pole drastisch. »Ja, bis zur nächsten Judenverfolgung.«

      »Nicht in Preußen!«, rief Berthold Kempinski.

      »Nie was von Zionismus gehört?«, fragte Witold Klodzinski.

      »Du meinst: Zynismus?«

      »Nein, Zionismus – dass die Juden um Jerusalem herum wieder einen eigenen Staat haben.« Witold Klodzinski hatte von seinem Vater gehört, dass ein gewisser Moses Montefiore, erschüttert von den grausamen Judenverfolgungen im Russischen Reich, Pläne hegte, in Palästina Land von arabischen Großgrundbesitzern zu kaufen und es verfolgten russischen Juden zur Verfügung zu stellen. »Zionismus spielt an auf Zion, den Tempelberg in Jerusalem, und die Erwartung, dass die nach Babylon vertriebenen Juden wieder heimkehren zum Berge Zion.«

      Berthold Kempinski interessierte das wenig. »Ich bin Deutscher, ich bin Preuße, und ich will nicht in Jerusalem leben, sondern in Berlin.«

      »Ich weiß, als Arzt.«

      »Nein. Seit ich damals den Regierungsreferendarius mit seinem eingeschlagenen Schädel gesehen habe …« Berthold Kempinski schüttelte

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