Kempinski erobert Berlin. Horst Bosetzky

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Kempinski erobert Berlin - Horst Bosetzky

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sei einem gesunden Mann durchaus zuzumuten und Soldaten marschierten vierzig bis fünfzig Kilometer am Tag, ohne zusammenzubrechen. »Gelobt sei, was hart macht!« Sein Vater hatte zum Glück Mitleid mit Berthold gehabt und überlegt, einen Fuhrmann anzuheuern. Dies wäre aber ungleich teurer gekommen, als das Zimmer bei der Witwe Jastrau zu mieten.

      Berthold Kempinski litt einerseits unter der Trennung von seiner Familie, denn die war sein Ein und Alles, andererseits aber war es auch schön, der Knute seines großen Bruders und dem dauernden Geschrei der kleineren Geschwister entkommen zu sein.

      Wilhelmine Jastrau, die langsam auf die sechzig zuging, hätte man glattweg für eine englische Gouvernante halten können. Sie kam aber nicht aus Lancester, sondern aus dem ostfriesischen Leer, das zur preußischen Provinz Hannover gehörte. Ihr Vater hatte dort ein gehobenes Hotel betrieben und während der Manöver auch gern die Herren Offiziere beherbergt. So hatte Wilhelmine Jastrau ihren Mann kennengelernt. Leider keinen Mann von Adel, aber immerhin. So groß war die Liebe gewesen, dass sie ihm sogar ans Ende der Welt gefolgt war, nach Posen. Nach seinem Tode war sie der Kinder wegen in der Gegend geblieben.

      Gern bekochte sie Berthold, und kam der am frühen Nachmittag aus der Schule, stand schon das Essen auf dem Tisch. Dabei bemühte sich die Offizierswitwe, ein Ambiente zu schaffen, das sie an die Zeiten erinnerte, in denen sie mit ihrem Mann in den ersten Häusern am Platze gespeist hatte.

      »Damals in Berlin … ach ja … die zauberhafte Conditorei von Fuchs, wo die hellen Gaslaternen durch Tausende von facettierten Spiegeln ein Lichtermeer ausgießen … das Delicatessenlocal von Dünnwald am Brandenburger Tor, wo man die erlesensten Weine genießen kann …«

      »Wie ist es denn in Berlin generell mit den Weinen bestellt?«, fragte Berthold Kempinski, während er sich daranmachte, die erste Scheibe seiner gebratenen Blutwurst auf die Gabel zu spießen. War er am Wochenende in Raschkow, konnte er Moritz mit seinem Wissen ein wenig ärgern.

      »Bier ist die Hauptsache, dann kommt der Branntwein und erst an dritter Stelle der Wein. In den großen Delicatessenhandlungen findet man natürlich welchen. Fast jede Weinhandlung hat ihre bestimmten Stammgäste, die dem Charakter der Gegend entsprechen, in der sie liegt. Lutter ist der Sammelplatz der Hofschauspieler, Rähmel sieht großenteils den mittleren Beamtenstand bei sich, der den Aktenstaub hinwegschwemmen muss, Gerold gehört den Aristokraten, für die nur gut ist, was viel kostet, Dedel dem Bonvivant jeder Klasse und Habel dem Geschäftsmann. Als mein Mann in Berlin stationiert war, haben wir Habel bevorzugt, um den großen Devrient leibhaftig vor uns zu haben.«

      Durch Wilhelmine Jastrau wurde Berlin für Berthold Kempinski zu einem El Dorado des Savoir-vivre. Obwohl es ihm schwerfiel, stellte er sich vor, ein großer Arzt an der Charité zu sein. Jeden Abend saß er dann bei Dedel und genoss seinen Schoppen.

      »Von wem haben Sie denn diesen Tokaji Aszú bezogen?«

      »Von Moritz Kempinski.«

      »Dann sagen Sie ihm bitte, dass er dieses fürchterliche Bonbonwasser gleich in den Ausguss schütten möge.«

      Wie er als Junge zu Hause Gastwirt gespielt hatte, so spielte seine Wirtin jetzt feines Hotel und servierte ihm seine Suppe, sein Hauptgericht und seinen Nachtisch wie einem Kommerzienrat.

      »Bei uns zu Hause in Leer haben wir uns immer bemüht, den Gästen das Gefühl zu geben, wir führten eine raffinierte Küche à la française, wie sie in Berlin in den großen Hotels zu finden ist. Die Table d’hôtel bei Meinhardt, im Hôtel St. Petersburg oder im Hôtel du Nord lässt wirklich nichts zu wünschen übrig.«

      Berthold Kempinski fand es herrlich, auf diese Weise verwöhnt zu werden. Das Leben liebte ihn, und er liebte das Leben. Nur manchmal kamen kleine Störgefühle auf, so zum Beispiel, wenn Veitel Ungar auftauchte, um mit ihm zu reden. Doch es war unmöglich, diesen einfach abzuweisen, wenn er bei der Witwe Jastrau vorbeikam, um ihn zu einem kleinen Spaziergang abzuholen.

      »Der Ewige möge mein Elend sehen und mich erretten.« Wie immer sang der Rabbiner seine Klagelieder. »Dauernd säe ich mit Tränen, aber nie darf ich mit Freuden ernten.«

      Berthold Kempinski ärgerte das ewige Jammern über das gottverlassene Posen, das nicht nur bei Ungar, sondern auch bei vielen andern in Raschkow, Adelnau und Ostrowo nie verstummen wollte. Was sollte denn aus der Menschheit werden, wenn alle nach Paris, London und Berlin zogen, dann brach doch alles zusammen! Über den ganzen Erdball mussten sich die Menschen verteilen, wollten sie in Frieden und im Wohlstand leben.

      Als er Veitel Ungar dies vortrug, lachte der nur. »Und selber träumst du ständig von Berlin, oder zumindest von Breslau.«

      »Träumen ist ja etwas anderes.«

      »Im Tagtraum probt man immer Künftiges«, hielt ihm Veitel Ungar entgegen.

      Als sie am Ufer des Olobok saßen und er dem Rabbiner erzählte, dass sie in der Schule gerade den Faust durchnahmen, fragte Veitel Ungar mit leicht inquisitorischem Unterton: »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?«

      Berthold Kempinski war es peinlich, darüber zu reden, und um sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen, flüchtete er sich in das, was Goethe gedichtet hatte: »Der Allumfasser,/Der Allerhalter,/Fasst und erhält er nicht/Dich, mich, sich selbst?« Hier wusste er nicht weiter und musste einige Zeilen überspringen. »Nenn es dann, wie du willst,/Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!/Ich habe keinen Namen/Dafür! Gefühl ist alles.«

      Bei aller Liberalität, das war eine Antwort, die dem Rabbiner nicht so recht gefallen konnte. »Man merkt, dass ihr keine Synagoge habt bei euch in Raschkow. Ich hoffe nur, ihr habt die Bräuche alle eingehalten?«

      »Ja, natürlich«, rief Berthold Kempinski, obwohl dies nur bedingt stimmte. Sie waren als Juden nicht anders als die meisten Christen und ließen, wie Eduard Schlüsselfeld immer sagte, im Allgemeinen den lieben Gott einen guten Mann sein. Pessach, Sukkot, Rosch Haschana, Jom Kippur, die großen Feiertage wurden im Hause Kempinski schon beachtet, ja, aber alles blieb recht oberflächlich.

      Veitel Ungar spürte das genau und zitierte aus dem 1. Psalm: »Heil dem Manne, der nicht wandelt im Rate der Frevler, und auf dem Wege der Sünder nicht stehet und im Kreise der Spötter nicht sitzet, sondern an der Lehre des Ewigen seine Lust hat.«

      Berthold Kempinski schwieg, denn zum Thema Lust fielen ihm nur der Wein seines Vaters und der Leib Luise Liebenthals ein.

      Krojanke biss mit einem so lustvollen Stöhnen in sein Wurstbrot, dass die Leute, die sich in der Nähe seines Standes aufhielten, amüsiert herüberblickten.

      »Na, schmeckt’s?«, fragte der Gendarm, der gerade dabei war, einen Stoffhändler wegen seines übergroßen Tisches zurechtzuweisen.

      »Ja, danke, Blutwurst ist gesund.«

      Warum er das glaubte, verschwieg Krojanke, denn er hatte seine Wurst selbst gemacht – und zwar aus dem Blut und den Innereien eines polnischen Gleisbauarbeiters, der auf dem Weg nach Lissa gewesen war, wo sie mit dem Bau der Eisenbahnstrecke nach Breslau beginnen wollten. Franciszek. Ein wahrer Herkules. Krojanke hatte mit seiner Spitzhacke zweimal zuschlagen müssen, um ihn zu töten. Von hinten auf den Kopf. Aß er von Franciszeks Fleisch, ging dessen Kraft auf ihn über. Er spürte es schon nach dem ersten Bissen.

      Der zweite blieb ihm allerdings im Halse stecken, denn vor ihm stand plötzlich der Kommissarius Wilhelm Owieczek. Dass der ihn in ganz Posen jagte, wusste Krojanke schon lange. Sollte es heute so weit sein? Um Zeit zu gewinnen, griff er zur Wasserflasche. »Mit vollem Mund soll man nicht …«

      »Ja,

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