Phalansterium. Matthias Falke

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Phalansterium - Matthias Falke

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Diese betrachteten uns schweigend, aber mit offenen, abwartenden Gesichtern, während die bärtigen Männer eine Phalanx der Abweisung bildeten. Lediglich die Kleinen kamen auf uns zu. Sie stellten sich am Rand des Weges auf, wo dieser zwischen den Häusern hindurch führte, und bildeten ein Spalier des Lachens und der Fröhlichkeit. Wie sie es sich bei durchkommenden Pilgerzügen angewöhnt hatten, streckten sie die Hände vor. Es war mehr ein Spiel als echte Bettelei. Sie standen da, kicherten und stießen sich gegenseitig mit den Schultern. Dabei starrten sie vor Schmutz und Ungeziefer. Ihre schwarzen Haare waren steif vor Dreck. Wenn nicht eine natürliche, ungezwungene Fröhlichkeit wie ein bunter Vogelschwarm um sie geflattert wäre, hätte der Anblick niederschmetternd sein müssen.

      So versuchten wir uns auf den spielerischen Charakter des Ganzen einzulassen. Wir kramten alles aus den Tornistern, was wir an Obst und Süßigkeiten mit uns führten. Jennifer veranstaltete ein Quiz und drehte es so, dass jeder einmal der Sieger war, der dann eine Banane oder einen Schokoriegel zugesteckt bekam. Dabei brachte sie noch Einiges aus den Kleinen heraus. Wie das Dorf hieß, wie weit es auf dieser Route zu den Klöstern war und anderes mehr. Als sie, eine Tafel Energienahrung in der Rechten, fragte, ob auch schon andere »Astronauten« durchgekommen waren, schritt einer der Väter ein und ermahnte uns, die Kinder in Ruhe zu lassen. Wir steckten auch ihm noch etwas zu und gingen weiter. Den Gedanken, hier um Obdach zu bitten, verwarf ich angesichts des schreienden Elends dieser Behausungen aus Bambusmatten und Bast, der mit Lehm und Dung beworfen war. Wir fragten, ob wir am Rande der kleinen Lichtung, auf einem der abgeernteten Felder, unser Zelt aufschlagen konnten. Das wurde uns bewilligt. Wir bezahlten dem Eigentümer des Platzes einen Obolus und verabschiedeten uns von den Kleinen, die vom finsteren Auftritt des Dorfältesten nicht im geringsten eingeschüchtert waren.

      Einen Steinwurf unterhalb der Häuser fanden wir eine ebene Fläche auf einer der Terrassen. Das selbstaufblasende Zelt stellte sich in wenigen Augenblicken auf. Ich warf die Schlafsäcke hinein, die sich ebenfalls automatisch entrollten. Unsere Anzüge, die mit selbstreinigenden Nanomeren beschichtet waren, hatten sich inzwischen getrocknet und gesäubert. Im Vorzelt streiften wir die Stiefel ab, die als einzige Ausrüstungsgegenstände noch die Spuren dieses Marsches trugen. Ansonsten war alles wieder wie aus dem Ei gepellt. Es gab mir einen Stich, als ich zum offenstehenden Zelteingang hinaussah: oben standen die Kinder, aufgereiht auf einem Mäuerchen, und schauten zu uns herab. Sie lebten hier, während wir, von hermetischen Imprägnierungen geschützt, nur vorbeigingen. Wir gingen durch den Regen, ohne nass zu werden, und wir betrachteten die Armut, ohne ihr ausgesetzt zu sein. Wir blieben Astronauten, die von einer Welt zur anderen schritten wie ein Wanderer über die Trittsteine einer Furt. Auch wenn wir so taten, als ob wir stehen blieben, machten wir uns nicht schmutzig.

      Es war zu spät geworden, um noch richtig zu kochen. Wir verzehrten eine der selbsterhitzenden Fertigmahlzeiten, die zur Grundausstattung der interstellaren Exploration gehörten. Dann streckten wir uns auf den Schlafsäcken aus, ohne hineinzukriechen. Die Anzüge hatten wir abgelegt. Das sensorielle Unterzeug war angenehm warm und trocken.

      »Das war schön heute«, sagte Jennifer.

      »Was meinst du?«

      »Alles, der ganze Tag. Die Wanderung.«

      »Mhm.«

      »Hat es dir nicht gefallen?«

      »Doch.«

      »Du magst keinen Regen!«

      »Es geht schon.« Ich sah zu ihr hinüber. »Wenn es dich entspannt.«

      »Es geht mir gut.« Sie lächelte.

      Wir schwiegen und sahen zum Zelteingang hinaus, der immer noch offen stand. Der Wind blätterte die Plane hin und her wie ein Leser die Seiten eines Buchs, in dem es einfach nicht voran ging. Draußen war es dunkel. Die Nacht war plötzlich von den Bergen herabgestürzt wie ein schwarzer Block und hatte sich polternd über dem Tal verklemmt. Wir sahen die fahlen gelben Lichter der Hütten, vermutlich Öl- oder Butterlampen. Hier oben gab es nichts mehr. Keine Elektrizität, kein fließendes Wasser, keine medizinische Versorgung. Ein vereiterter Zahn oder ein verstauchter Knöchel konnte über ein Leben entscheiden, und kaum eines der Kinder, die wir gesehen und mit denen wir gespielt hatten, würde je Lesen und Schreiben lernen.

      Dass es so etwas noch gab!

      »Du bist schwermütig«, sagte Jennifer.

      Immer mehr gelangte ich zu der Auffassung, dass sie Gedanken lesen konnte, zumindest meine Gedanken. Manchmal war es unheimlich, wie gut wir uns kannten, wie sehr wir aufeinander eingespielt waren. Ob es die Hantierungen beim Zeltaufbau oder die Absprachen während einer stundenlangen Wanderung waren, wir verstanden uns blind, jeder wusste immer schon vorher, was der andere tun oder sagen würde. Ihre Hände gehorchten meinem Willen genauso wie meine eigenen und umgekehrt. Wir waren ein Wesen, das nur zufällig auf zwei verschiedene Körper verteilt war und das auf zwei verschiedene Namen hörte. Im Grunde waren wir eins.

      Laertes fiel mir wieder ein und seine Äußerung angesichts der kuLau.

      »Es geht mir gut«, sagte ich. Das war der Satz, den sie während der letzten Tage am häufigsten gebraucht hatte. Aber hatte sie deswegen ein Anrecht darauf? »Verrätst du mir, was du vorhin hattest?«

      Sie tat, als höre sie nicht.

      »Am Bach?«

      Immer noch schwieg sie. Nach einer Weile schlüpfte sie in den Schlafsack, der sich daraufhin bis zur Taille um sie schloss.

      »Eingang schließen«, sagte sie. Das Zelt versiegelte sich.

      Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, als sie sich doch noch zu einer Antwort aufraffte.

      »Mir war einfach danach. Ich wollte weinen. Vielleicht wäre es gut, wenn man den Rest des Lebens weinen könnte.« Sie räusperte sich im Dunkeln. Es kam nicht oft vor, dass Jennifer Ash verlegen war. »Es ist ein Druck in mir, da ist so viel angestaut. Ich muss es einfach irgendwie herauslassen.«

      »Es war ja auch kein Vorwurf. Ich will es nur verstehen.«

      »Ich weiß.«

      »Wenn ich dir irgendwie helfen kann ...«

      »Es ist gut. Du warst wunderbar!«

      Ich sah ihr Lächeln vor mir. Der Klang ihrer Stimme projizierte es an die Leinwand der Zeltplane, die eine Armlänge über mir in der Finsternis hing und leise im Nachtwind flappte.

      »Du warst wunderbar!«, sagte ich.

      »Was meinst du?«

      »Wie du mit den Kids gespielt hast! Woher kannst du sowas?«

      Die Stille veränderte ihren Klang. Ihr Schweigen nahm eine tiefere Färbung an. Schwarz.

      Ich wollte ihr helfen und bohrte zielsicher den Fingernagel in eine klaffende Wunde, die ich doch kaum ahnte.

      »Vielleicht wäre es besser, wenn man Kinder hätte.« Damit drehte sie sich auf die andere Seite.

      Ich lag im Dunkeln und lauschte den Geräuschen der Nacht. Jennifers Atemzüge hatten sich rasch vertieft. Sie konnte eine leichte Trance benutzen, um sich in den Schlaf hineinzuschieben. Das war praktisch, vor allem wenn man viel um die Ohren hatte, aber trotzdem auf ein Mindestmaß an Ausgeruhtheit angewiesen war. Sie hatte immer wieder versucht, mich in die Mysterien des Prana-Bindu-Ordens einzuführen, etwa während unseres langen Fluges in dem gekaperten

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