Phalansterium. Matthias Falke

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Phalansterium - Matthias Falke

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lang nachrollend und krachend, und es begann zu regnen. Schon während der letzten Tage hatten wir beobachten können, wie sich jeden Tag um die Mittagszeit die Wolken um die Berge ballten, um sich später in schweren Gewittern zu entladen. Bis zum Abend kam in der Regel die Sonne wieder heraus, um dann in melancholischen Untergängen hinter den Westbergen zu verscheiden.

      Die Blitze hatten sich in irgendwelchen Felsklüften versteckt. Man hörte nur das Donnergrollen, satt und berstend, als rissen Fabelwesen die Bergzinnen aus, um mit ihnen zu kegeln. Minutenlang hallte es in der engen Schlucht des Masyan nach, dem wir nun flussaufwärts folgten und der sich hier seinen Weg durch die kilometerhohe Masse des Gebirges gebrochen hatte. Der Regen kam irregulär und versprengt, wie eine in Auflösung geratene feindliche Truppe durch das ölige Blätterdach, das unter seinen Attacken schwankte und taumelte. Aber die Reihe der Laubkronen hielten stand, wie sehr der Gegner auch auf sie einschlug und sie mit seiner nassen Artillerie beharkte.

      Gewaltige Wasserfälle stürzten von den Felswänden herab und überfluteten teilweise den Weg. Ich musste von Stein zu Stein springen und aufpassen, nicht auf zerfetztem Laub auszurutschen. Einmal musste ich durch einen Sturzbach waten, der den Pfad auf einer Länge von zwanzig Metern überschwemmt hatte. Der Regen fiel ohne Unterlass, wie ein Vorhang, und der Wald gebärdete sich wie eine Armee von Trollen, die wütend tobte und gestikulierte, aber nicht einen Schritt dabei gewann. Es wurde immer noch finsterer. Das Wasser war allgegenwärtig und klebrig wie die Nacht. Ohne den Anzug wäre mir der Mut gesunken. So kämpfte ich mich weiter, mit einem Gefühl, als rudere ich unterhalb des Meeresspiegels einen Steilhang hinauf, der von widerspenstigen Wesen bestanden war.

      Der Weg endete an einer Brücke, die von den Wassermassen mitgerissen worden war. Ich unterdrückte den Impuls, die Navigationsfunktion meines Koms zurate zu ziehen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte sie sowieso nicht funktioniert, es gab ja auf dieser Welt keine planetare Netzabdeckung. Außerdem wollte ich Jennifer zuliebe die Herausforderung annehmen und ohne diese Hilfsmittel zurecht kommen. In meinem Kopf entstand der Kalauer, dass ich auf vorsintflutliche Weise in der Sintflut unterwegs war. Ich entdeckte einen schmalen Pfad, der neu ausgetreten zu sein schien und der rechts ab den Hang hinunter führte. Mit einem albernen Grinsen im Gesicht, über das mir der Regen schoss wie über eine defekte Windschutzscheibe, arbeitete ich mich den kaum zu erkennenden Trampelpfad entlang, der dem Wildbach folgte. Weglos, im immer noch undurchdringlicher werdenden Wald, während die steil eingeschnittene Schlucht die Abenddämmerung um mehrere Stunden vorwegzunehmen drohte. Der Gewitterbach war die einzige Orientierung. Irgendwo musste er in den Masyan münden, der dann wiederum die Hauptrichtung vorgab.

      Ein umgetretenes Pflänzchen hier, ein paar abgerissene Blätter dort – das waren die einzigen Hinweise darauf, dass schon einmal Menschen hier gewesen waren. Ab und zu eine Fußspur im knöcheltiefen Morast. Meist waren es die profillosen Sandalen der Eingeborenen, die diese Löcher in den Schlamm getreten hatten. Manchmal erkannte ich aber auch Jennifers charakteristischen Stiefelabdruck und war dann jedesmal wieder erleichtert.

      Der Pfad knickte ein und schickte sich an, den Sturzbach zu überqueren, ehe dieser in einem hohen Katarakt in den Masyan hinunter schoss. Der Waldboden bildete eine Art Canyon, der den Wildfluss fasste, und an einer Stelle ergab sich eine Furt, wo große Felsblöcke es möglich machten, trockenen Fußes auf die andere Seite zu gelangen. Nicht, dass noch ein trockener Faden an mir gewesen wäre!

      Ich kletterte hinunter, und dort, an der tiefsten Stelle, in dieser Schlucht-in-der-Schlucht, auf einem Felsbrocken, der mitten im Bachbett lag und auf allen Seiten von strudelnden Wassermassen umbrandet wurde, dort saß Jennifer.

      Ich stakte, von Stein zu Stein springend, an ihr vorbei, konnte ihren erhabenen Sitz aber nicht erreichen. Der fragende Blick, den ich ihr zuwarf wie ein Lasso einem Ertrinkenden, prallte an ihr ab. Sie saß in Meditationshaltung auf diesem klatschnassen Block. Dabei war sie ganz still. Kein Schluchzen, kein Jammern, keine Bewegung. Wie eine Statue war sie in diese Landschaft aus Wasser und Dämmerung gepflanzt und ließ die Tränen strömen. Die Natur weinte, schien sie sich zu sagen, warum nicht ein bisschen mittun.

      »Geh weiter«, sagte sie, als ich unschlüssig stehen blieb.

      Ihre Stimme klang mechanisch, wenn sie auch nicht aus der Trance zu kommen schien. Inzwischen konnte ich Dutzende Schattierungen und Abstufungen ihrer Versenkung unterscheiden.

      »Ich bin da«, sagte ich.

      Dann ging ich weiter.

      Jennifer hockte im Regen und heulte.

      Auf der anderen Seite ging es steil und pfadlos wieder hinauf. Mehr als einmal steckte ich bis zur Brust im nassen Laub, mit den Armen rudernd wie ein Verunglückter im Treibsand. Endlich gewann ich wieder den Hauptweg. Langsam wanderte ich weiter. Das Gewitter verzog sich. Die Abendsonne kämpfte sich durch die Wolken. Hoch über dem Blätterdach leuchtete eine Felswand im strahlenden Licht, immer noch höher und glühender. Darüber war reiner Himmel. Hier und da tropfte es noch, jeder Schritt schmatzte, alles, wirklich alles war nass. Aber das Wissen, dass es dieses andere gab, reichte aus, die Stimmung wieder zu heben, nachdem die Versuchung schon sehr groß geworden war, die ganze Unternehmung zu verfluchen.

      Irgendwann war Jennifer wieder da. Schweigend holte sie mich ein und ging dann neben mir. Ich sagte nichts. Wir sprachen beide immer weniger.

      Der Weg wurde schmaler und führte auf einem handbreiten Sims dahin, das an der mauerglatten Architektur der Felswände entlang schnürte. Tief unten brodelte der Fluss. Ein totes Muli lag im Masyan, ein Packtier, das zu einer Karawane gehört hatte und weiter oben abgestürzt war. Der Kadaver war an einer Stelle hängen geblieben, wo der Fluss noch einmal breiter, flacher, steiniger wurde und vernehmlich Atem schöpfte, ehe er das Katarakt hinunterbrach. Zwei Langhals-Geier waren bereits zur Stelle und taten sich an dem Muli gütlich. Ein schwarzer Königsgeier hockte drohend auf den Uferfelsen. Der rotbraune Kadaver war an der Flanke geöffnet. Einer der beiden großen Geier, die später gelandet waren, ihren Konkurrenten aber sofort vertrieben hatten, räumte die Innereien aus. Der tote Körper verschmolz fast mit dem rötlichen Gestein der ausholenden Geröllstufe, an der er angelandet war und die vom Fluss in schaumgrauer Furt durchströmt wurde. Der helle Schädel des Tiers sah aus wie einer der Felsbrocken, die aus dem seichten Wasser ragten.

      Wir standen lange da und betrachteten dieses Bild, das von starker meditativer Kraft war, ließen uns selbst von ihm durchströmen.

      »Tod und Vergänglichkeit«, sagte ich leise.

      »Ja.« Jennifer nickte. »Aber eingebettet und durchströmt vom Fluss, vom Ewigen Werden.«

      Ich sah sie an.

      »Der Einzelne«, sagte sie, »ist nur ein Teil des großen Plans, aus dem er hervorgeht und in den er wieder eingeschmolzen wird.«

      Wenig später trat der Wald auseinander. Wir kamen auf eine künstliche Lichtung. Ein winziges Dorf, nur zwei oder drei ärmliche Höfe, und rings herum terrassenförmig dem Gelände abgerungene Felder. Obwohl die Berge hoch über uns noch leuchteten, dämmerte es hier unten schon . Die Felder mussten dieser Tage abgeerntet worden sein. Man verbrannte Laub und Stroh in qualmenden Feuern. Die Rauchschwaden krochen zäh und lauernd am Rand der Siedlung herum. Es schien niemand auf den Wegen zu sein, aber als wir uns näherten, kamen einige Erwachsene und eine unübersehbare Schar von Kindern aus den armseligen Hütten. Sie musterten uns scheu. Wir waren fremd hier. Unsere weißen Anzüge, die Uniformen der Fliegenden Crew für Außeneinsätze, machten uns auffälliger als Aliens. Eigentlich hätten wir sie gegen einheimische Kleidung tauschen sollen, aber dann hätten wir auf die vielen Annehmlichkeiten der integrierten Funktionen verzichten müssen, die ich gerade in diesem Augenblick genoss, die automatische Heizung etwa, die gegen die einsickernde Feuchtigkeit ankämpfte.

      Die

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