Froststurm. Jan-Tobias Kitzel

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Froststurm - Jan-Tobias Kitzel

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ähnlich. Deshalb hatte sie den kleinen Klops auch so gern. Möglichst wenig Aufwand bei maximaler Futterausbeute.

      Eine Stunde später lag Regina satt und träge auf der durchgelegenen Couch vor dem Fernseher. Talkshow, zapp. Musikvideo, zapp. Pokern. Sie überlegte kurz, legte die Fernbedienung zur Seite und griff erneut in die Tüte Chips Oriental. Irgendwie musste sie ihre Kilos ja auch halten. Schwere Arbeit. Sie nahm eine Handvoll. Befriedigende Art der Bewegung. Bobo hatte sich zu ihren Füßen hingelegt und sägte einen halben Wald ab.

      Das Pokerspiel lief im Hintergrund. Was machte sie hier auf der Couch? Wieso fühlte sich ihr Leben so unendlich leer an? Gut, sie hatte nicht allzu viele Freunde. Aber die, die sie hatte, waren dafür enge Gefährten. Auch wenn sie sie hauptsächlich über das Internet kennengelernt hatte und persönliche Treffen selten waren. Aber waren virtuelle Freundschaften denn schlechter als reale? War Sorgenteilen etwas anderes, wenn man sie jemandem mailte anstatt sie ihm direkt zu sagen?

      Regina schüttelte den Kopf, aber die düsteren Gedanken verschwanden nicht so leicht. Wie schon seit Monaten, eher sogar Jahren. Sie war mit ihren 22 Jahren noch jung. Direkt nach dem Abi hatte sie eine Ausbildung zur Systemadministratorin gemacht und sofort die Stelle beim Müller Versand bekommen. Aber den wirklichen Sinn ihres Lebens hatte sie noch nicht gefunden. Regina schaute zur Wand herüber, an der einige Urkunden hingen. Aus ihrer Zeit beim Schachclub Essen. Sie war eine vernünftige Strategin. Aber beim Schach waren nur Voll-Nerds, Menschen, die nun wirklich in ihrer eigenen Welt lebten. Da hatte sie sich nicht wohl gefühlt, auch wenn sie gut gewesen war. In einem Regal neben den Urkunden stand der Ordner mit den BWL-Unterlagen. Fernstudium. Angefangen, aber nie wirklich durchgezogen. Sie war nicht der Studientyp. Und gerade mal gut 1.000 Euro Studiengebühren waren für diese Erkenntnis doch wirklich ein Schnäppchen, oder nicht?! Sie lachte kurz auf.

      Bläuliches Licht erfüllte das Appartement. Regina saß im Schneidersitz auf der Couch, ihr Laptop wärmte wie so oft die Oberschenkel. Doch sie schenkte dem keine Beachtung, da sie zu sehr in ihrem Element war. Fast unkörperlich rasten ihre Finger über die Tastatur, das Netz lag »Däumli« zu Füßen, ihrem Online-Pseudonym seit so vielen Jahren. Behände klickte sie sich durch mehrere Browserfenster des Laptops. Sie war noch unschlüssig, was heute Abend ihr Ziel sein sollte. Das Hacken hatte sie vor ein paar Jahren als Zeitvertreib angefangen, und merkte dann, dass sie dafür eine echte Begabung hatte. Eine, die sie über die einsamen Stunden am Abend rettete. Wenn wieder mal keiner ihrer paar Freunde Zeit hatte. Und auch kein Mann an ihrer Seite war. Was angesichts der vergangenen Jahre auch eine echte Ausnahmesituation gewesen wäre. Sie schnaubte kurz auf, dann klickte sie auf das Singleportal ihrer Wahl. Ihr Profil musste mal wieder upgedatet werden, aber das konnte sie auch von der Arbeit aus machen. Heute wollte sie auf die Jagd gehen. Nach Informationen, die eigentlich nicht für sie bestimmt waren. Ein paar Mausklicks später lag die Anmeldeseite vor ihr. Sie öffnete ein weiteres Fenster und ließ »Hellhound«, die von ihr geschriebene Hackingsoftware auf das Singlenetzwerk los. Datenströme zogen grün auf schwarz an ihrem Auge vorbei. Bobo schnaubte neben ihr und drehte sich zur anderen Seite. Sie griff hier und dort ein, veränderte Variablen, startete Brute-Force-Angriffe, koordinierte Abfragen und sorgte dafür, dass sie ihre Spuren verwischte. Stasi 2.0 zum Dank musste man sich ja darum 2014 einige Gedanken machen, selbst als fast legaler Computerprofi. Sie verdankten es dem Anschlag auf den Reichstag im letzten Sommer, dass Anti-Terror-Gesetze in Kraft getreten waren, die ihre früheren Ausgaben wie Papiertiger wirken ließen. »Login acquired« blinkte es vor ihr auf. Zufrieden kraulte sie Bobo hinterm Ohr, was diesen nur zu einem müden Seufzer animierte. Faul durch und durch. Mein Schatz.

      Sie loggte sich mit dem von ihr aufgespürten Admin-Zugang in das Singleportal ein und griff auf die Datenbank zu. Wollen wir doch mal sehen, bei welchem Mann in meiner Nähe die Angaben im Profil zur Realität passen. Name an Name scrollte an ihr vorbei. Bankverbindungen, biographische Angaben, Querverweise zu privaten Webseiten. Regina schmiss ein weiteres Programm an, sie hatte es »Dating-Snoop« getauft. Die Software saugte sich die offiziellen Angaben der Aspiranten, führte parallel Google-Abfragen durch und verglich sie mit den Angaben, die die Männer bei ihrer Anmeldung im Singleportal gemacht hatten. Dort, in der Anmeldemaske, wo sie ihre Vorlieben angeben mussten, um ein passendes Weib präsentiert zu bekommen. Wo die wenigsten logen, denn das ergab wenig Sinn, dafür war der Anbieter hier einfach zu teuer.

      Eine halbe Stunde später lagen zehn Ausdrucke vor ihr auf dem leicht zugemüllten Wohnzimmertisch. Sie gehörten zu drei Männern, die auf ihr Suchprofil passten. Genauer, als es jede »offizielle« Single-Suchmaschine gekonnt hätte. Wenn der dazugehörige Hack nicht so illegal wäre, hätte sie die Ergebnisse gut vermarkten können. Regina grinste und nahm einen Schluck Cola. Aber dann wäre es auch nur halb so aufregend. Wenigstens etwas Adrenalinträchtiges in ihrem Leben.

      Regina schlurfte in die kleine Wohnküche ihres Appartements, zwei leere Chipstüten in der Hand. Sie trat gegen den Mülleimer und der aufspringende Deckel offenbarte einen überfüllten Eimer. Der Müll musste mal wieder runter. Sie stopfte die Tüten irgendwie hinein. Ein weiterer Kick, der Deckel flog zu. Morgen.

      Ein leises Klingeln vom Beistelltisch. Eine Chatnachricht auf ihrem Laptop. Nach wenigen Schritten durch ihre kleine Wohnung war sie schon da, viel Fläche brauchte sie nun wirklich nicht. Das gesparte Geld steckte sie lieber in neue technische Spielereien. Wie ihren Laptop, der sie zu Kunststücken befähigte, bei denen der Staatsmacht angst und bange werden würde. Wer wollte denn da quasseln? Die Chat-Blume von Susanne leuchtete auf. Aha, also mal wieder Beziehungsstress mit Kevin? Oder schwere Shopping-Entscheidungen, die sie ihrer langjährigen Freundin erleichtern sollte? Sie schwang sich den Laptop auf die Knie und setzte sich im Schneidersitz auf die Couch, während im Hintergrund ein hässlicher Pokerspieler mit viel zu großer Sonnenbrille einen Flush hinlegte.

      »Hiho, Süße. Was läuft bei dir?«

      Regina grinste. Also nur Labern.

      »Soylent Grün ist Menschenfleisch! *g* Grün, total grün hier. Und bei dir?«

      Die Folgenachricht erschien binnen Sekunden auf dem Schirm.

      »Auch. Sogar Kevin gibt Ruhe. Kein Wunder, ist ja auch mit seiner Klasse auf Klassenfahrt. Der Oberlehrer. Und bei dir? Auf der Arbeit viel zu tun?«

      »Der war gut. Nein, wie immer nix los. Ich langweile mich zu Tode. Und bin irgendwie depri.«

      »Och, Kleine. Warum?«

      »Dasselbe wie letztes Mal. Also wie immer. Ich weiß einfach nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Soll das hier alles sein? Langweilige Arbeit, keine Geldsorgen, aber nix wirklich zu tun. Und jetzt komm mir nicht wieder mit ›Such dir ein Hobby‹, das hab ich schon ein paar Mal probiert. Und nur Date an Date kann es auch nicht wirklich sein.«

      Ein kurzes Zögern. »Hör mal, ich bin deine Freundin. Und so gut vorbereitet wie du geht keiner zum Rendezvous, das weiß ich. Aber zum einen hab ich dir schon hundertmal gesagt, dass man es mit dem Infos sammeln auch übertreiben kann, auch Überraschungen sind schön. Und zum anderen: Wenn du nur die Hälfte der Datensammel-Zeit im Fitnessstudio verbringen würdest, hätten deine Dates möglicherweise mehr Erfolg.«

      Regina schaute an sich runter und zuckte mit den Achseln. »Ja, ich bin keine Pamela Anderson. Schon klar. Aber war da nicht mal was mit inneren Werten und so?«

      »Trotzdem. Erster Eindruck und so. Aber ich will dich nicht ärgern. Anderes Thema: Deine Langeweile. Hast du denn irgendwas, woran dein Herz hängt? Politik? Umweltschutz? Tierschutz? Irgendwas, wo du dich engagieren könntest? Sowas frisst viel Zeit, ist sinnvoll. Und man lernt quasi nebenbei nette Jungs kennen.«

      Reginas Blick strich durchs Zimmer und blieb an der Kiste mit ihren Jugendklamotten hängen, die sie aus nostalgischen Gründen nicht wegwarf. Und aus Faulheit nicht in den Schrank einordnete.

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