Froststurm. Jan-Tobias Kitzel

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Froststurm - Jan-Tobias Kitzel

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Blick des Todes. Er war fast zu spät. »Aber nur fast«, murmelte er, schloss die Hand fester um seine Notizen und ging zügig zu ihr hin. Selbst durch die geschlossene Tür konnte er die Stimme seines Vorgesetzten hören, der ihn gerade auf der Bühne ankündigte. Der Kloß in seinem Hals wurde größer. Der Blick der sofortigen Vernichtung von der Seite half da auch nicht wirklich. »Machen Sie so einen Scheiß nie wieder mit mir!«, zischte ihm Frau Debrischek von der Seite zu, als sie die Tür öffnete und Sebastian in den Bereich hinter der Bühne schubste. Wie unter Trance stieg er die Treppe zur Bühne hinauf. Dort, wo sonst der Bundestagspräsident mit seinen Vizes saß und das Parlament leitete. Seine Beine fühlten sich an wie Blei. Mit gerade einmal Anfang dreißig eine Rede vor einer UN-Konferenz halten. Er musste verrückt sein. Sein Vorgesetzter kam ihm entgegen, lächelte und klopfte ihm auf die Schulter.

      Ohne dass er sich erinnern konnte, weitergelaufen zu sein, stand er schon auf der Bühne. Vor dem Podest. Neben ihm der Teleprompter, vor ihm seine zerknitterten Unterlagen. Für den Notfall. Und vor ihm dreihundert Gäste aus aller Welt, die ihn ansahen. Und sich auf einen weiteren, geistreichen, langweiligen Vortrag freuten. Wie es bei einer UN-Konferenz üblich war. Damit man sich am Ende bedeutungsschwer die Hand schütteln konnte. Und eine Folgekonferenz vereinbarte.

      Sebastian nickte unsicher in die Runde, konzentrierte sich dann auf den Teleprompter und startete ihn durch einen Druck auf das entsprechende Fußpedal.

      »Wir haben versagt.« Er ließ die Worte nachklingen. Die ersten Köpfe wandten sich nach oben, gelangweilte Nebengespräche verstummten. »Wir haben auf der ganzen Linie versagt.« Er trat vom Pult zurück und lief die Bühne auf und ab, vergaß den Teleprompter, vergaß das Drumherum. Nur er und die Zuhörer existierten.

      »Wir hätten handeln können. Vor Jahrzehnten, als die ersten Forschungsergebnisse zur globalen Erwärmung auf unseren Tischen lagen. Und wir sie beiseitegelegt haben, da es dafür noch keine Forschungsbudgets gab, die man durch eine nett klingende, aber wohlweislich hirnlose Beantragung hätte schröpfen können.« Er strich sich unterbewusst die Kleidung glatt.

      »Und dann haben wir erneut versagt. Als endlich die Mittel da waren, vor wenigen Jahren erst. Versagt darin, uns abzusprechen. Jeder forschte lieber für sich allein. Klar, die globale Erwärmung im nationalen Alleingang zu stoppen, verheißt ja auch mehr Ruhm. Und seien wir ehrlich: Vor allem mehr Geld.« Protestierendes Gemurmel aus dem Saal. Sebastian redete darüber hinweg.

      »Lieber bauen wir mit Milliardenmitteln ›gemeinsam‹ den großen Teilchenbeschleuniger oder schicken ein paar Auserwählte ins All, als uns darum zu kümmern, dass unsere nächste Generation die Niederlande nicht nur als nettes Ausflugsgebiet fürs Wochenende kennt. Zum Abenteuertauchen in den Ruinen der untergegangenen Städte.« Einzelnes Gekicher und laute Zwischenrufe in einer kehligen Sprache. »Wenn es überhaupt eine Plattform gibt, die gemeinsame Forschungen zum Stopp der globalen Erwärmung schultern könnte, dann doch Hier und Heute die UN. Wir sind die Forscher. Es ist unsere Aufgabe, zusammen zu arbeiten und unsere nationalen Geldgeber davon zu überzeugen, in den gemeinsamen UN-Forschungsfonds einzuzahlen, damit alle etwas von den Früchten der Arbeit haben. Und sie schneller erreicht werden. Unpopulär sagen Sie? Eine sichere Methode, bei der nächsten Beförderung übergangen zu werden? Ja. Möglicherweise. Aber auch gleichzeitig die einzige, damit wir uns auch morgen noch im Spiegel ins Gesicht schauen können.«

      Sebastian bemühte sich krampfhaft, sein Zittern zu unterdrücken. Erst jetzt merkte er, wie nassgeschwitzt er war. Aber es hatte gesagt werden müssen. Ungläubige Blicke aus dem Publikum, immer mehr Zuhörer verstanden, was er gesagt hatte. Die Simultanübersetzer waren nicht zu beneiden, der Text entsprach nicht gerade der vorher eingereichten Rede.

      Er wandte sich ein letztes Mal an die Teilnehmer, hob flehentlich die Hände: »Lassen Sie uns diese Chance heute nicht vergeuden. Lassen Sie uns konkrete Projekte gemeinsam auf den Weg bringen. Gemeinsam, damit auch die nächsten Generationen noch auf einer Erde leben können, die mehr ist als eine Schreckensvision. Die bewohnbar geblieben ist. Ja, es wird Milliarden über Milliarden erfordern. Wir müssen den Verkehr umkrempeln. Die Industrie. Unsere Lebensgewohnheiten. Aber dies ist ohne Alternative. Denn sonst gibt es bald keine Gewohnheiten mehr, an denen man festhalten kann. Gewohnheiten sterben, wenn das Wetter unsere Welt täglich tiefer ins Chaos reißt.«

      Sebastian wartete nicht auf Applaus oder fliegende Tomaten. Er machte kehrt und ging die Treppe hinunter, hinter die Bühne. Einzelne Klatschgeräusche, vor allem aber vielstimmiges Murmeln begleitete ihn. Und es erwartete ihn der Anblick seines Vorgesetzten, dessen Kopf hochrot angelaufen war.

      »Born!« Er spie den Namen aus wie einen Fluch. »Was haben Sie da gerade verzapft? Das ist nicht die Rede, die Sie halten sollten.«

      »Und dadurch kein Stück weniger wahr«. Sebastian ging einfach an seinem Chef vorbei, der hörbar nach Luft schnappte und zog die Tür zum Gang hinter sich zu. Ungläubige Blicke auf dem Flur. Also auch hier hatten sie seine Rede verfolgt.

      Langsam ging er den Weg zum Foyer hinunter, dann flaute das Adrenalin ab. Und ihm wurde speiübel. Danach erinnerte er sich nur noch daran, wie sein Kopf dumpf auf dem schweren Teppich aufschlug.

      Bio-Logisch

      Eine nichtssagende Seitengasse in der Innenstadt. Schlüsseldienst, Friseur, Asialädchen. Die Straßenlaterne war hier das einzige, was etwas Leben in die Straße brachte. Niemand auf den Straßen, kein Wunder bei dem Wetter. Regina hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen, um dem fiesen, warmen Nieselregen der Vorweihnachtszeit zu entkommen. Unter dem Wintermantel schwitzte sie, da sie ihn aus Gewohnheit angezogen hatte.

      Wo war Hausnummer 33? Ah, neben dem kleinen Asialädchen. Das unscheinbare Schaufenster mit den Sonnenblumen. Klischeehafter ging es wohl kaum. Erinnerte sie direkt an ihre Jugenderfahrungen mit Greenpeace. Idealistische Zeit. Und völlig wirkungslos. Sie blieb stehen. Sollte sie wirklich wieder mit dieser Organisation etwas anfangen? Sie atmete tief durch. Machte einen Schritt zurück. Ballte die Faust in der Tasche. Und drückte auf die Klingel.

      Es dauerte einen Moment, dann wurde der Laden erleuchtet. Eine ältere Frau im ökologisch korrekten Grobleinenoutfit kam an die Tür und lächelte fragend durch die Glasscheibe der Tür. Dann zuckte sie mit den Achseln und öffnete die Tür.

      »Ja?«

      »Ist heute keine Sitzung der Ortsgruppe?«

      »Oh, ein neues Gesicht.« Greenpeace-in-persona machte den Weg frei, legte wie selbstverständlich den Arm um Regina und geleitete sie durch das Dritte-Welt-Lädchen in das Hinterzimmer. Die Perlenkette sandte helle Töne durch den erstaunlich großen Raum. Ein gutes Dutzend Weltverbesserer saßen auf human hergestellten Rattanstühlen, natürlich im demokratisch korrekten Stuhlkreis. Das konnte ja lustig werden. Die Runde wurde komplettiert durch einen kleinen Tisch an der Seite mit einer Mini-Stereo-Anlage, Reissnacks und stillem Wasser. Sphärische Musik bemühte sich, den Raum zu erfassen, scheiterte aber bereits an den Billig-Lautsprechern aus dem Baumarkt und quäkte vor sich hin. Der Geruch nach grünem Tee und Minzplätzchen lag in der Luft.

      Regina nickte in die Runde, nahm sich einen Stuhl und reihte sich in den Stuhlkreis ein. Ein rundlicher Mittvierziger im dunkelbraunen Anzug mit hellgelber Krawatte stand auf und ging er zu Regina, schüttelte ihr die Hand. »Wir kennen uns noch nicht. Ich bin David, Leiter der Ortsgruppe. Und du bist?«

      »Regina. Wollte mal wieder reinschnuppern, meine letzte GP-Sitzung ist allerdings schon ein paar Jahre her.«

      »Um die Welt zu retten, ist es nie zu spät«, sagte David, lachte mit dunkler Stimme und schüttelte sich ein paar Schuppen von der Schulter. Dann setzte er sich auf einen der Stühle und eröffnete die Sitzung.

      »Es

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