Froststurm. Jan-Tobias Kitzel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Froststurm - Jan-Tobias Kitzel страница 3
»Und warum nicht dabei geblieben?«
»Das übliche: Jungs, wenig Zeit durch Abi und Ausbildung. Etc.«
Gut zwanzig Sekunden Pause. Dann tauchte ein Link im Chatfenster auf.
»Die Greenpeace-Gruppe in deinem Stadtteil. Sitzung ist immer dienstags. Geh doch morgen mal hin.«
Regina lachte auf. Das tat gut.
»Dein Google-Fu ist stark, junger Padawan.«
»;-)«
»Ich überlegs mir.«
»Tue das. Dann geh ich mal so langsam ins Bett, muss morgen früh raus.«
»Tschö mit ö.« Susannes Chat-Blume erlosch. Regina legte den Laptop beiseite. Greenpeace. Sie seufzte. Nun gut, dann mal wieder auf zu den Ökos. Aber wenn irgendeiner der Müslifresser sich über ihren ökologisch inkorrekten Technikwahn beschwerte, würde sie ihre Erinnerungen an die Karate-Zeit ausgraben. Noch so ein Hobby, das sie ausprobiert und zu den Akten gelegt hatte. Aber zu einem herzhaften Tritt in die Eier reichte es immer noch.
Forscher Forscher
Sebastian stapfte missmutig durch den feinen Nieselregen, der seit Tagen über Berlin niederging. Die Einkaufsstraße zu seiner Rechten, bahnte er sich den Weg durch die Massen an Weihnachtseinkäufern. Verrückt, am zwanzigsten Dezember noch Einkäufe zu machen. Noch dazu an einem Freitag. Zu diesem Zeitpunkt sollte man bereits alles erledigt haben. So wie er: Gut geplant, bereits Ende November mit allen Einkäufen für die Familie und Freunde durch. Er öffnete im Gehen seinen Anorak. Macht der Gewohnheit, überhaupt einen anzuziehen. Bei 18 Grad nicht wirklich notwendig. Verrücktes Wetter. Die Schneewahrscheinlichkeit für die Feiertage lag bei null Prozent. In Norwegen. Der Rest von Europa hätte noch darunter gelegen, wenn dies mathematisch möglich gewesen wäre. Die warmen Monate gingen weiter. Was ihm Angst machte. Und Arbeit brachte.
»Eine kleine Spende?« Ein dicker Mann im Weihnachtsmannoutfit hielt Sebastian eine dem Scheppern nach prallvolle Klingeldose unter die Nase. Der Fahne nach zu urteilen, hatte der »liebe Onkel« schon mehr als einen Glühwein getrunken, um die stupide Arbeit etwas erträglicher zu machen. Sebastian kramte in seiner Tasche, holte ein Zwei-Euro-Stück hervor. Dann hielt er inne. »Wofür sind die Spenden?«
Der Weihnachtsmann schaute ihn an, als ob er von einem anderen Planeten kommen würde. Auch zu Weihnachten hatte er nichts zu verschenken.
»Tierheime, Kindergärten, such es dir aus, Mann.«
Sebastian steckte die Hand zurück in die Tasche und ging zügigen Schrittes weiter.
»Arschloch«, klang es ihm laut hinterher.
Sebastian zuckte mit den Schultern. Man konnte keinem trauen. Erst recht nicht diesen Spendensammlern. Wenn er einer Organisation etwas Gutes tun wollte, dann nur für Forschung. Darin lag die Zukunft. Tiere waren Ablenkung. Und um Kindergärten kümmerten sich die Kollegen vom Familienministerium ganz gut. Die brauchten nix nach der Bildungsoffensive 2013. Natürlich kurz vor der Wahl lanciert. Sebastian lachte auf. Das Politikspiel hatte sogar ihn, den angestellten Meteorologie-Forscher vom »Bundesministerium für Bildung und Forschung« eingefangen. Auch wenn er sich immer noch dagegen sträubte, Gefallen nur gegen Retouren zu tun und immer über die Schulter zu schauen, wer gerade zuhörte.
Ein schneller Blick auf die Uhr. Mist, er hatte über den Stadtbummel in der Diskussionspause die Zeit vergessen. Hektisch schaute er sich um. Natürlich. Die Straße war brechend voll. Aber kein Taxi in Sicht. Sebastian seufzte auf, machte den Mantel wieder zu und eilte schnellen Schrittes zurück zum provisorischen Ausweichgebäude des Bundestags.
Die Gummisohlen seiner Anzugsschuhe quietschten unbarmherzig laut auf dem edlen Steinboden des Foyers. Köpfe drehten sich zu ihm um, Sebastian duckte sich unwillkürlich. Hektisch schaute er sich um, bemühte sich, Dr. Roberts zu entdecken. Um ihm auszuweichen. Plötzlich, von der Seite: »Herr Born. Wie sehen Sie denn aus?«
Sebastian ließ alle Hoffnung fahren und drehte sich um. Regen tropfte aus seiner Kleidung auf den Boden, auf den letzten Metern hatte natürlich auch noch sein Schirm versagt. Scheiß Hauptstadtwind. Was für ein Tag.
Sebastian senkte demütig den Kopf. »Entschuldigen Sie die Verspätung, Dr. Roberts.«
Seinem Gegenüber entfuhr ein lautes Lachen, das sogar im vollbesetzten Foyer gut zu hören war. Dieselben Köpfe wie vorhin drehten sich zu ihnen um. Impertinent!
»Welche Verspätung, Herr Born?« Dann schlug sich der alte Mann mit gespieltem Erstaunen vor die kahle Stirn. »Ach ja, ist ja ihre erste Konferenz. Hören Sie. Wenn hier jemand sagt »Eine halbe Stunde Pause«, dann können Sie das locker verdoppeln. Politiker und freie Buffets. Nichts bringt Zeitpläne mehr durcheinander.«
Da musste selbst Sebastian schmunzeln, spürte dann aber den tadelnden Blick seines Vorgesetzten. »Ich habe Sie nicht wegen der zeitlichen Lage angesprochen, sondern wegen Ihrer Kleidung. Sie tropfen hier gerade den Boden voll. Und Sie wollen gleich einen Vortrag halten? Guter Gott. Gehen Sie sich bitte frisch machen. Und trocken, wenn es geht.«
Sebastian nickte, ballte die Faust in der Jackentasche und ging schnellen Schrittes zur Treppe, die hoch zum Garderobenbereich und zu den Toiletten führte
»Und kommen Sie gleich pünktlich«, schallte es ihm noch hinterher.
Unglaublich, wie dieser Mann so die Massen überschreien konnte. Und kein bisschen peinlich. Jedenfalls nicht für ihn. Sebastian kochte innerlich. Knibbelte an seinen Daumen herum, genoss den kurzen, spitzen Schmerz, als die Haut riss. Warum hatte er nicht auf die Zeit geachtet? Und einen vernünftigen Schirm mitgenommen?
Zehn Minuten Gehampel unter dem Handfön und ungezählte Papierhandtücher später fühlte sich Sebastian wieder halbwegs wie ein Mensch. Äußerlich wirkte er unauffällig wie eh und je. Die meisten anderen übersehen Menschen wie ihn: Durchschnittlich groß, durchschnittliche fünf Kilo zu viel auf den deutschen Rippen, kurze, nichtssagende Frisur, randlose Brille. Der Durchschnittstyp in der U-Bahn, der Mieter von nebenan. Aber heute war er jemand, der etwas zu sagen hatte. Das war mehr, als der Durchschnitt wagen würde. Und er hatte den Mumm. Endlich. »Du hast es drauf. Du wirst sie überzeugen. Du kannst das!«, murmelte er vor sich hin, als er die Toilette verließ. Die einschlägigen Psycho-Kolumnen mochten mit ihren »Sprich mit dir«-Tipps vielleicht sogar Recht haben. Er fühlte sich wirklich etwas selbstsicherer. Nicht, dass das sonst seine große Stärke gewesen wäre.
Er eilte die Treppe hinunter, sah gerade noch, wie die letzten Gäste zurück in den Saal gingen. Wenigstens kam er jetzt pünktlich. Er bog vor der Einlasstür links ab, ging den Gang schnell hinunter, zückte vor der Security des Bundestags seinen Ausweis und wurde in den hinteren Bereich vorgelassen. Hier sah alles improvisiert aus. Kisten stapelten sich, kleine Büros waren besetzt mit drei oder mehr Beamten der Verwaltung. Überall lungerten Sicherheitsleute herum. Das Kongresszentrum war vor gut sechs Monaten über Nacht zum provisorischen Bundestag geworden. Durch eine Nacht des Feuers, des deutschen Dschihad. Sebastian schüttelte den Kopf und verdrängte die Gedanken, die ihm wie so vielen Deutschen auch nach Monaten noch fest im Kopf saßen. Der Glaube an die eigene Unverwundbarkeit. Weggebombt. Und er lief mit quietschenden Schuhen in einem als edles Kongresszentrum erbauten Gebäude herum und war drauf und dran, eine Rede zu halten. Nein, nicht eine Rede. Die Rede. Die Rede seines Lebens.
Dort hinten. Die Seitentür