Bastis Welt. Moni Rehbein
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Ich vermute, er hätte liebend gern mit handlich kleinen Atombömbchen nach mir geworfen, wenn ich ihn nicht wöchentlich mit Nudeln, Milch und all den anderen Dingen versorgen würde, die er mir aufträgt. Ganz zu schweigen von seinem Taschengeld.
»Hast du gesehen, was DEIN Drecks-Bush im Irak wieder macht?« Natürlich war er »MEIN Drecks-Bush«, immerhin ist er Mitglied derselben Kirche, der auch ich angehöre, was mich allerdings zu keinem Zeitpunkt stolz gemacht hat.
Ich war jetzt nicht in der Stimmung, mich über die Weltpolitik zu unterhalten, immerhin hatte er mir schon oft genug klargemacht, dass ich und meine Kirche schuld seien an der weltpolitischen Lage und dass man es nur der Schachelite zu verdanken hätte, wenn die Welt noch nicht völlig zerstört worden ist.
Ich unterbrach also seine Ausführungen und versuchte, mir Gehör zu verschaffen, indem ich nun auch meine Stimme erhob: »Und was hast du mit dem Telefon gemacht, als Bush versucht hat, dich abzuhören?«
»Das war nicht nur Bush …«, seine Stimme fing an sich zu überschlagen und sein Gesicht hatte eine ungesunde lila-rote Farbe angenommen, »unsere Drecksregierung steckt doch mit denen unter einer Decke und du …«, ich wich geschickt dem Zeigefinger aus, der plötzlich mit Wucht auf mich zuschoss, »… hast diese Schweine auch noch gewählt.«
»Ich habe gar nicht …«, wollte ich mich verteidigen, doch seine violett-rote Wut ließ keine andere Stimme zu.
»Jawohl, mit deiner Dreckskirche, IHR …« Diesmal war ich nicht schnell genug und der Zeigefinger traf meine linke Schulter »… IHR, IIIIHHHHHR seid doch alle für diesen Bush mit seiner Drecksregierung und IHR seid auch schuld, dass unser Telefon kaputt ist, anders kann man sich als anständiger Bürger ja schließlich nicht wehren.« Beim letzten Satz hatte er sich umgedreht und mit einem zornigen Knall die Tür hinter sich zugeworfen.
Ich wusste Bescheid. Das Telefonmysterium war endlich geklärt und ich atmete erst mal erleichtert die Luft aus, die ich seit der Zeigefingerattacke unbewusst angehalten hatte.
Am nächsten Tag marschierte ich dann zum hoffentlich letzten Mal zur Telekom. Der Berater war sehr freundlich zu mir und schien sich auch noch gut an mich zu erinnern. Kein Wunder, ich hatte den Laden wohl schon allein mit der Anzahl meiner Telefone saniert und ihm den Arbeitsplatz erhalten.
Ich erklärte ihm die Situation und bat ihn um eine neue Nummer. Ich muss sagen, die Telekom ist wesentlich besser als ihr Ruf, denn ich erhielt bereits am nächsten Tag eine Geheimnummer, die Lauschangriffe von Seiten der Elektrofachgeschäftskunden hörten auf und das Telefon ging nie wieder auf mysteriöse Weise kaputt.
KLEIDUNG
Ein Autist will keine Veränderung. Alles Neue, sei es ein Ortswechsel, ein Wechsel der Bezugsperson, eine andere Klobrille oder auch nur frische Bettwäsche, alles bringt seinen Alltag richtig durcheinander. Neuerungen verursachen Beklemmungsgefühle bis hin zu wahrer Angst. So verwendet Basti zum Beispiel nur »seine« Tassen. Ich habe ihm einen Satz von blauen Glühweintassen gekauft und er verwendet ausschließlich diese und keine andere Person darf daraus trinken. Er trinkt alles daraus: Kaffee, Tee und auch kalte Getränke. Er verwendet keine Gläser, sondern für jedes Getränk seine Tassen. Niemals trinkt er aus einem anderen Behältnis, es sei denn, er trinkt aus der Flasche. Dann darf aus dieser Flasche jedoch kein anderer trinken oder getrunken haben.
Besonders schrecklich ist es für ihn, sich an neue Kleidungsstücke zu gewöhnen. Ich bekam ihn schon als kleines Kind wesentlich leichter zum Zahnarzt als in einen Kleiderladen oder zum Frisör. Meist kaufe ich die Kleidung allein, um sie mit nach Hause zu nehmen und sie ihn in Ruhe anprobieren zu lassen. Ein wenig anstrengend ist das natürlich, ich muss die Kleidungsstücke, die ich in verschiedenen Größen mitnehme, zunächst einmal bezahlen, um sie dann einige Tage später, wenn sich rausgestellt hat, welche nicht passen, wieder in den Laden zurückbringen und mir mein Geld wieder ausbezahlen lassen.
Seine Schuhe trägt er meist so lange, bis sie so viele Löcher haben, dass sich die Sohle löst und er nicht mehr damit gehen kann. Ähnlich verhält es sich für die übrige Kleidung. Und weil er sich so schlecht an Neues gewöhnen konnte, kaufte ich ihm vor Jahren noch immer jeweils vier bis fünf identische Kleidungsstücke. Heute hat sich seine Einstellung zu neuer Kleidung etwas entspannt, aber als er sich noch im Wachstum befand und öfter neue Sachen brauchte, weil er rausgewachsen war, war es jedes Mal eine Katastrophe für ihn, etwas Neues anziehen zu müssen. Dann konnte es vorkommen, dass er tagelang splitterfasernackt durch die Wohnung lief, bis er am Freitagabend in seinen geliebten Schachklub wollte und ihm nichts anderes übrig blieb, als die neuen Kleider anzuziehen.
Während seiner Schulzeit kam es oft vor, dass er sich unterwegs, besonders wenn ihm fremde Personen begegneten, die neuen Kleidungsstücke auszog und wegwarf. Ich hatte manchmal Mühe, Lehrer oder Betreuer davon zu überzeugen, dass ich meinen Sohn im tiefsten Winter nicht barfuß und mit nacktem Oberkörper auf den Schulweg geschickt hatte. Bald war ich bei den Lehrern, der Schulbehörde, dem Jugendamt, Ärzten und Psychologen als »Rabenmutter erster Klasse« verschrien und es kam mehr als einmal vor, dass ich von irgendeiner Behörde vorgeladen wurde, um Stellung zu Bastis fehlender Kleidung zu nehmen. Manchmal schickte man mich dann zu einem Psychiater oder einem Psychotherapeuten, weil ich ja nicht richtig ticken konnte. Diese fragten mich dann ausgiebig aus, um anschließend wohl formulierte Briefe mit vielen exotisch anmutenden Begriffen und irgendwelchen Kürzeln ans Jugendamt zu schreiben und mehrfach die Empfehlung auszusprechen, meinen Sohn in eine Pflegefamilie zu geben, was aber nie geschah, denn ich weigerte mich hartnäckig und eine wirkliche Vernachlässigung konnte mir nicht nachgewiesen werden.
Bastian trägt auch seit Jahren keine Socken mehr, sondern schlüpft barfüßig in seine Halbschuhe, die er bei jeder Witterung trägt.
Eines Freitagabends, ich musste länger arbeiten, sollte mein Vater Basti in den Schachklub fahren. Es war Winter und bitterkalt, wie es bei uns auf der schwäbischen Ostalb nicht selten der Fall ist.
Als ich an diesem Tag von der Arbeit nach Hause kam, fing mich mein Vater ab. Er war sehr aufgebracht.
»Bastian wollte keine Socken anziehen. Also habe ich ihn wieder nach oben geschickt, weil ich ihn so nicht fahren wollte. Was denken denn die Leute, wenn er ohne Socken im Schachklub ankommt?«
Mir war es zu diesem Zeitpunkt schon herzlich egal, was andere Leute dachten, ich schluckte aber einen Kommentar hinunter. Meinem Vater war unser Ansehen bei anderen Leuten immer sehr wichtig und ich würde das nicht mehr ändern können.
Ich ging also hoch in unsere Wohnung, um den sockenlosen jungen Mann selbst die sechs Kilometer zum Schachklub zu fahren. Bereits als ich unsere Wohnung betrat, rief ich ihn: »Basti, komm, ich fahre dich zum Schach!« Ich erhielt keine Antwort und betrat sein Zimmer. Er war nicht da. Weder in seinem Zimmer noch in allen anderen Räumen unserer Wohnung konnte ich ihn finden. Mir schwante nichts Gutes und so ging ich wieder hinunter zu meinem Vater.
»Basti ist nicht da«, klärte ich ihn auf. »Was hast du denn genau zu ihm gesagt?«
Mein Vater dachte einen Augenblick lang nach, bevor er antwortete: »Ich hab zu ihm gesagt, dass ich ihn nicht fahre, wenn er keine Socken anzieht und dass er wieder gehen soll. Er muss also wieder hoch gegangen sein, aber das weiß ich nicht sicher.« Mein Vater klang ziemlich ärgerlich, sein Gesicht war rot angelaufen und so sagte ich gar nichts mehr, sondern ließ ihn in seinem Wohnzimmer sitzen und ging wieder in meine Wohnung. Ich konnte mir gut denken, was vorgefallen war und meine Befürchtungen bestätigten sich, als Basti gute zwei Stunden später anrief und mich bat, ihn abzuholen. Ich setzte mich gleich