Wildnis Nordkanada - Paradies und Hölle. Ralf Dobrovolny
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Wären noch die Raubkatzen zu erwähnen. Dass sich der herrliche braungefleckte Luchs in Kanadas Norden heimisch fühlt, dürfte selbstverständlich sein. Den Puma hingegen hält nichts in dieser Zone. Dieser Jäger bevorzugt das Rotwild in den Bergwäldern als Speise.
Dennoch wird der Buschgänger enttäuscht sein, wenn er, ob der ungemeinen Tiervielfalt, manchmal tagelang so gut wie kein Wild beobachten kann. Dies liegt daran, dass die Tiere, entsprechend dem Nahrungsangebot, das Revier wechseln. Da die Arten stets voneinander abhängig sind, erscheinen dann ganze Landstriche wie leergefegt.
Letztendlich nicht zu vergessen allgegenwärtige Lebewesen: die Mücken, ein sehr wichtiges Glied der Nahrungskette. Weil in diesen Breiten derart massenhaft vertreten, nennt man sie sprichwörtlich „Pest des Nordens.“ Jeder Outdoor weiß ein Lied davon zu singen. Die Moskitoplage tritt vornehmlich im Frühling auf, etwas abgeschwächt im Sommer. Die großen Horseflies (Bremsen) sind auch nicht zu verachten. Besonders in der wärmsten Jahreszeit aber greifen die winzigen Blackflies an. Sie finden jede undichte Stelle der Kleidung und suchen den Weg bis zur nackten Haut, wo deren Bisse dunkel gefärbte, entsetzlich juckende Schwellungen verursachen.
Ein paar Worte zur Geschichte.
Zunächst waren es die abenteuerlichen Expeditionen eines Samuel Hearne, ehemaliger Marineoffizier der englischen Krone, der schon 1771-73 das Landesinnere der Tundra vom Südosten her bis Coppermine am Eismeer durchforschte. Dieser legendäre, knochenharte Abenteurer war in Begleitung des berühmten Chipewyan-Häuptlings Mattanobee, sowie vieler seiner Stammesbrüder.
Später (um 1820) führte das Oberhaupt der Yellowknifes, Akaitscho, den namhaften Polarforscher Sir John Franklin vom Großen Sklavensee aus, den Heimatfluss (Yellowknife River) des Stammes hinauf. Ihr Weg ging weiter über die Gegend um den Winterlake, wo viele seiner Begleiter den Tod fanden. Dann am Ostufer des Großen Bärensee entlang und weiter durch die nördliche Taiga bis zum Coronation Gulf. John Franklin dürfte der erste Weiße gewesen sein, der seinen Fuß in den inneren Busch setzte.
Den größten Einfluss auf die Erforschung und Besiedlung des subarktischen Festlandes im kanadischen Nordwesten brachten jedoch die Unternehmungen des Schotten Mackenzie. Im Juli 1789 befuhr er mit Unterstützung von Indianern und französischen Voyageurs auf Kanus vom Lake Athabasca den Slave River entlang Richtung Norden, überquerte den Großen Sklavensee und trieb seine Expedition den mächtigsten Fluss Kanadas, der heute würdigerweise seinen Namen trägt, hinab bis zum Polarmeer. Während 44 Tagen äußerster Strapazen, legte Mackenzie dabei die unglaubliche Strecke von nahezu 3.000 km zurück und erreichte das riesige Delta an der Einmündung in die Beaufort See. Er selbst nannte seinen Wasserweg „Fluss der Enttäuschung“, weil dieser nicht, wie er hoffte, als Ost-West-Verbindung in den Pazifik mündete. Seiner Route entlang, allerdings nur bis Norman Wells, führt heute immer noch das einzige Straßennetz der Northwestterritories. Alle Punkte fernab dieser Strecke können für den Normalreisenden ausschließlich per Flug erreicht werden.
Es waren Pelzhändler und deren verwegene Voyageure, die in den beiden letzten Jahrhunderten auf ihren Kanus den Mackenzie River, sowie seine vielen Seitenarme befuhren und so nach und nach den Norden, entlang des großen Flusses, für sich eroberten.
Doch auch das Goldfieber brachte immer wieder unzählige Weiße in das Land. Wer kennt nicht die abenteuerliche, für Abertausende mit fatalen Folgen endende Geschichte um den Klondike im benachbarten Land,dem Yukon.
Es bewohnen immer noch Reste von Indianerstämmen den inneren Busch. An beutereichen Gewässern jagen sie und stellen Fallen, retten zum Teil die Kultur ihrer Vorväter in unsere Zeit herüber. So in Fort Franklin, der einzigen Siedlung am Bärensee, nördlich davon in Colville Lake, zum Sklavensee hin in Snare Lakes, Rae Lakes und Indian Village, um die wichtigsten Orte zu nennen. Sie liegen teils hunderte Meilen voneinander entfernt. Keine Straße führt hin, kein Weg. Dort findest du aber vor den Hütten noch die Rudel der blauäugigen Schlittenhunde, wie sie sehnsüchtig auf ihre winterlichen Jagdausflüge warten.
Doch die meisten Ureinwohner sind der Zivilisation des weißen Mannes gefolgt. Sie leben mit letzteren zusammen, oft in überwiegender Mehrheit, hauptsächlich in den Dörfern entlang des hier alles bestimmenden Mackenzie Rivers. Kaum anderswo in Kanada trifft der Fremde noch auf so viele rassenreine Indianer, wie in Fort Smith, Hay River, Fort Providence, Fort Simpson und Fort Norman. Flussabwärts schließen sich Norman Wells, Fort Good Hope, sowie Arctic Red River an. Die meisten dieser Orte entstanden während der Pionierzeit von Anfang bis Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Sie zählen auch heute, von Fort Smith abgesehen, nicht mehr als wenige hundert Einwohner.
Die erste nördliche Handelsniederlassung, gleichzeitig ältestes Dorf (1786) der Northwestterritories, ist das an der Einmündung des Slave River in den gleichnamigen See gelegene Fort Resolution. Jüngste Besiedlung ist die erst 1954 für die Inuit entstandene Retortenstadt Inuvik, nahe dem Polarmeer. Sie zählt knapp 4.000 Seelen. Weitaus größte Ansiedlung (20.000 Einwohner) ist freilich Yellowknife am Nordufer des Slave Lake, Verwaltungshauptstadt der Territories. Letztere wurden 1999 neu geteilt und es entstand die autonome Verwaltungseinheit namens „Nunavut“ mit 41.000 Ew., welche direkt der kanadischen Bundesregierung unterstellt ist. Yellowknife wurde erst vor etwa 60 Jahren besiedelt und gewann relativ spät an Bedeutung. Zuvor hatten allerdings bereits Goldschürfer ihre Camps in näherer und weiterer Umgebung.
Berücksichtigt man, dass die weitaus überwiegende Mehrheit in den größeren Ansiedlungen lebt, werden die unermesslich menschenleeren Weiten fühlbar. Man muss sich vergleichend vorstellen, auf einem Drittel der Fläche von Europa leben gerade so viele Menschen, dass man lediglich ein mittelgroßes Fußballstadion füllen könnte. Northwestterritories ist aber auch dasjenige kanadische Gebiet, wo sich die Urvölker noch halbwegs gut behaupten konnten. So teilt sich hier die Gesamtbevölkerung auf knapp 40% Inuit (Eskimo), etwa 20% Dené (Indianer), der Rest sind Eurokanadier.
Zusammenfassend möchte bemerkt werden:
Wer auch je dieses Land der tausenden namenlosen Seen durchquert hat – nur außergewöhnlich zähe und harte Männer konnten derartige Leistungen vollbringen. Insbesondere war der einzelne Buschgänger gefordert – in dieser faszinierenden Wildnis, einer Mischung von schwierigstem Gelände, schier undurchdringlichen Wäldern, romantischer Gewässer, gefährlicher Schluchten und Wasserfällen.
Trotz einer vielfältigen Tierwelt, in einer Region extrem schwankender Witterungsverhältnisse, fällt der Wanderer nicht selten hungrig und erschöpft in den Schlaf. – Und nicht Wenige mussten mit dem Leben bezahlen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Dennoch zieht es immer wieder vereinzelte Abenteurer hinaus in das Herz von Kanadas Nordwesten, in den rauen Busch, in diese unendliche, menschenleere Weite. Er fühlt sich auf den Spuren der Indianer und Eskimos, in einem Land von überraschenden, unvergesslichen Schönheiten, jedoch auch voller lauernder Gefahren.
Ein Land zugleich wie Paradies und Hölle!
Vorwort zum Tagebuch
1987 - Ein total verregneter Herbsttag.
Wir hocken im Boot beim Angeln auf dem Altrhein bei Speyer. Zwei blutjunge Burschen, erfüllt von Tatendrang und Träumen. Und so reden wir wieder mal, wie so oft, über unser lange gehegtes Vorhaben. Schwärmerisch beflügelt man gegenseitig die Phantasie. Nach wohlüberlegtem Ausloten der Möglichkeiten, stand fest: