Schamanismus bei den Germanen. Thomas Höffgen

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Schamanismus bei den Germanen - Thomas Höffgen

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des Dionysos nennt man „Mänaden“; sie hüllen ihre nackte Haut in Hirschkalbfelle, werfen tanzend ihre Köpfe in den Nacken und empfinden keinen Schmerz – ihr Name deutet auf den Schamanismus (μανία [mania]: „Raserei“). Die männlichen Kultanhänger nennt man Satyrn; sie sind Mischwesen aus Mensch und Tier und transzendieren die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis – „Ekstase“ bedeutet immer auch „das Aus-der-Kultur-Heraustreten“. Die Dionysien dienten als eine Art „Ventil“ und Ausgleich zur gesellschaftlichen (apollinischen) Ordnung; sie waren die gezielt eingeleitete Erfahrung des ‚ganz Anderen‘. Zwar waren die griechischen Mänaden und Satyrn wohl keine Schamanen im engeren Sinne, doch lässt sich am Beispiel der archaischen Dionysien vorzüglich festmachen, wie eine schamanisch strukturierte Kultur aussehen kann.

       Hinter dem Schleier der Natur

      „Die gesellschaftliche Funktion des Schamanen war es, als Dolmetscher und Vermittler zwischen dem Menschen und den Mächten hinter dem Schleier der Natur zu wirken“9, schreibt Joseph Campbell. Hier gilt es zu beachten, dass der Schamanismus per defintionem in Kulturen vorkommt, die von einer Art Allbeseelung oder Alldurchgeisterung des Kosmos ausgehen (Animismus): Die ganze Natur wird als heilig und belebt empfunden, und mit allen Dingen lässt sich – im ekstatischen Bewusstsein – kommunizieren. Denn hinter (besser: in) der materiellen Welt existiert eine dem gewöhnlichen Bewusstsein verborgene Welt der Geister, in der gleichsam die metaphysischen Ursachen für die physischen Zustände und Ereignisse liegen. Als Meister der Ekstase ist es der Schamane, dessen Aufgabe es ist, mit den kosmischen Entitäten in Kontakt zu treten, um Einfluss auf die Wirklichkeit zu nehmen und für das Wohlergehen des Stammes zu sorgen. Ihrer Funktion entsprechend erscheinen ihm die Geister der Natur in personifizierter Form: als Mutter Erde, Herr der Tiere, Himmelsherrscher, Berg-, Baum- oder Flussgeist. In Trance verhandelt der Schamane mit den Geistern, einige sind persönliche Verbündete, andere gefährliche Feinde, und arrangiert sich mit ihnen, um die Heiligkeit und Harmonie des Kosmos zu erhalten.

      Auch heute noch wird Schamanismus praktiziert, nämlich überall dort, wo Menschen noch in einer traditionellen, vermeintlich primitiven Kulturform leben. Das sind die letzten Winkel dieser Erde, in denen die Mechanismen der Zivilisierung noch nicht greifen konnten, im dichten Dschungel oder höchsten Hochgebirge. So haben die archaischen Ekstasetechniken im Regenwald von Südamerika bis heute eine enorme kulturelle Bedeutung, man denke an das stark psychoaktive „Nationalgetränk“ von Amazonien, Ayahuasca, mit dem dort jedes Kind vertraut ist: In nächtlichen Zeremonien singen die Ayahuasqueros (Ayahuasca-Schamanen) die Icaros genannten Heillieder, die sie von den Geistern selbst gelehrt bekamen und die die Ritualteilnehmer in eine Welt voll unfassbarer Visionen führen. Für den Schamanen ist diese Welt die wahre Wirklichkeit, in der die Alltagsrealität spirituell begründet liegt. Hier, hinter dem Schleier der Natur, behandelt er die Ursachen für Krankheiten und Not, weshalb man ihn auch Curandero („Heiler“) nennt.

      Der Schamane, der hinter den Schleier der Natur blickt, ist ein praktischer Philosoph: Er unternimmt eine Seelenreise in die Welt der Ur-Ideen, der platonischen Ur-Bilder, von denen die materielle Welt bloß ein Abbild ist. Dort steht er in Kontakt mit den Dämonen wie schon der weise Sokrates. Die hellenischen Gelehrten hatten sogar einen philosophischen Fachbegriff für diese Sphäre hinter der Natur: „Metaphysik“ (metá „hinter, jenseits“ und phýsis: „Natur“).

       Der Jhankri vom Himalaya

      Auch auf dem „Dach der Welt“ – im Himalaya – ist der Schamanismus noch lebendig. In der Kosmologie der nepalesischen Schamanen, Jhankris, spielt der Weltenbaum eine zentrale Rolle und ist mit dem wichtigsten Ritualgerät verbunden: Der sogenannte Phurba ist ein dreiseitiger, zugespitzter Holzstab, der als „Geisterdolch“ fungiert, den der Schamane bei der Jenseitsreise in den Händen hält, um etwaige Dämonen in die Flucht zu schlagen. Der Phurba symbolisiert die Weltachse, mit seiner Hilfe manövriert sich der Jhankri durch die drei Welten. Deshalb findet sich der Phurba traditionell an der nepalesischen Schamanentrommel: Die beidseitig mit Fell bespannte Rahmentrommel wird im Sitzen gespielt, mit der einen Hand an einem Griff gehalten und mit der anderen mit einem Schlägel geschlagen – dieser „Griff“ ist der Geisterdolch, der Weltenbaum.

      Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit, der séance eines Himalaya-Schamanen vom Stamme der Tamang beizuwohnen, die m. E. mustergültig exemplifiziert, was man sich – zumindest äußerlich – unter der schamanischen Ekstase vorzustellen hat. Der Schamane trug die traditionelle weiße Tracht eines nepalesischen Jhankris, eine mit Pfauenfedern verzierte Kopfbedeckung und schwere Glockenketten um den Körper. Mantras murmelnd warf der Jhankri ein paar Reiskörner auf die Ritualwerkzeuge und Kultgegenstände, die vor ihm auf dem Boden ausgebreitet waren. Er schloss die Augen und begann rhythmisch auf die Trommel einzuschlagen – und zwar viel härter als ich es erwartet hatte. Aus den Mantras wurden lautstarke Gesänge und im Takt der Trommel bewegte sich der Jhankri (im Schneidersitz) heftig auf und ab. Der Schlagrhythmus mutierte immer mehr zu einem monotonen Trommelfeuer, das den verräucherten Raum dröhnend erfüllte wie ein tosendes Gewitter. Klirrender Lärm ging von den Ketten aus, die sich mit den heftigen Bewegungen des Schamanen syn-ästhetisch verbanden; die Gesänge klangen jetzt erhaben-hymnisch, gleichsam urtümlich-naturgewaltig. Das Szenario ließ mich unwillkürlich an die Wilde Jagd denken, jenen germanischen Geisterzug, der unter Peitschenknall und Hörnerblasen lautstark durch die nebeligen Rauhnachtstürme galoppiert. Immer fester schlug der Jhankri auf die Trommel und es sah so aus, als würde er gleich aufspringen, umfallen und sich über den Boden winden. Er hyperventilierte, riss die Augen heftig auf und schien für diese Augenblicke Dinge anzustarren, anzurufen, die nur er allein wahrnahm. Er verdrehte seinen Kopf, gab laute Zischgeräusche von sich und schnalzte mit der Zunge – die Stimmen der Geister. Mit rüttelnden Bewegungen und Zuckungen am ganzen Körper sah der Schamane aus wie einer, der vollkommen den Verstand verloren hat. Und in der Tat, der Mann war völlig außer sich, war in Ekstase. Endlich nahmen Geschwindigkeit und Lautstärke des Trommelrhythmus wieder ab, taumelnd kehrte der verschwitzte Jhankri in die Alltagswelt zurück. Mit letzter Puste sprach er Mantras und warf noch ein paar Reiskörner, bevor er sich erschöpft zurücklehnte und freundlich lächelte.

      Germanischer Werwolf – Schamanentanz zu Ehren Odins. Bronzeplatte aus Torslunda, 6.-7. Jhd

       Der Weltenbaum

       Yggdrasil

      Im Mittelpunkt der germanischen Mythologie steht der Weltenbaum, der älteste und schönste aller Bäume, an dessen Stamm die Götter alltäglich Gericht halten. In der nordgermanischen Überlieferung trägt der Weltenbaum den Namen Yggdrasil und ist eine immergrüne Esche. Im ältesten Lied der Edda beschreibt eine Seherin (Schamanin) den Weltenbaum:

      Eine Esche weiß ich stehen, sie heißt Yggdrasil,

      ein hoher Baum, überschüttet mit glänzendem Nass;

      von dort kommt der Tau, der in den Tälern niederfällt,

      sie steht immer grün über dem Urdbrunnen.

      (Völuspa 19)

      „Die Esche ist der größte und beste aller Bäume. Ihre Äste breiten sich über die ganze Welt aus und erstrecken sich über den Himmel“ (Gylfaginning 15). An den Wurzeln des Weltenbaumes

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