Estrichgeschichte. Walter Böhl

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Estrichgeschichte - Walter Böhl

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Catal Hüyük. Es handelt sich um Lehmbauten, die innen sowohl einen Gipsputz als auch einen Gipsestrich auf Vorlagesteinen aufweisen (Bild: GNU Ziggurat).

      Eine Archäologin legt den Unterbau aus Vorlagesteinen des Gipsestrichs von Catal Hüyük frei (Bild: Alamy).

       2.2 Baustoff Gips, historisch

      Gips, geologisch auch Gipsspat genannt, ist ein sehr häufig vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der Sulfate mit der chemischen Formel Ca[SO4]·2H2O. Wird Gipsstein erhitzt, geht das Kristallwasser verloren. Es entsteht zuerst ein Hemihydrat (auch Halbhydrat, gebrannter Gips bzw. Bassanit genannt) mit der chemischen Formel Ca[SO4]·½ H2O. Bei weiterem Wasserverlust entsteht schließlich Anhydrit CaSO4. Durch Zugabe von Wasser läuft der Vorgang rückwärts, und es bildet sich wieder Gips Ca[SO4]·2H2O.

      Die damaligen Menschen haben das durch Erfahrung gelernt. Sie könnten Gipssteine um ein Feuer gelegt haben. Am Tag darauf haben sie dann festgestellt, dass sich die Steine leicht zu einem Pulver zerschlagen lassen. Wenn es dann geregnet hat, ist dieses Pulver wieder zu einem Stein erhärtet. Sie haben auch erkannt, dass das Pulver von Steinen, die näher am Feuer lagen und dadurch stark erhitzt wurden, sehr langsam, oft erst nach Tagen, wieder erhärtete. Der Stein wurde dadurch aber sehr hart. Das Pulver von Steinen, die weiter weg vom Feuer lagen, erhärtete sehr schnell, blieb dafür aber ziemlich weich. [7]

      Im Laufe der Zeit beherrschte man diese Vorgänge immer besser. Man unterschied entsprechend der Brenntemperatur Produkte mit stark unterschiedlichen Eigenschaften.

      Der Hochbrandgips, gebrannt bei Temperaturen bis 900 °C, eignet sich besonders für stark beanspruchte Bauteile, also auch für Estriche, da er sehr hart wird. Er hat aber den Nachteil, dass er Tage braucht, um zu erhärten. Hochbrandgips, grob gemahlen und mit wenig Wasser angemacht, wurde nicht nur für Estriche, sondern auch als Mauermörtel verwendet.

      Zum Verputzen von Wänden kann man den schnell erhärtenden Stuckgips verwenden, der eher weich ist.

      Auch Außenputze sind noch bis ins 19. Jahrhundert (Frankreich) damit hergestellt worden.

      Diese Verfahren haben sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Mit unterschiedlichen Brennverfahren lässt sich Gips, bzw. die einzelnen Phasen des Gipses, mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften mittlerweile gezielt herstellen.

       2.3 Estrichherstellung mit Gips, historisch

      In der Regel wurde der Estrich ca. 4 cm dick auf einer Sandschüttung oder einer Steinvorlage verlegt. Das Problem war, dass die Erhärtung von Estrichgips Tage dauerte, da Anreger noch nicht bekannt waren. Durch Trocknung (während der Abbindung) schwindet der Estrich und bekommt Risse. Nach ca. einem Tag (oder länger) wurde er mit einem Stampfer oder Schlegel so lange geschlagen, bis die Risse geschlossen waren und die Oberfläche wieder feucht wurde. [7] Danach wurde die Oberfläche mit Stahlkellen, Stahlklingen, Messern, Ziehklingen oder Hobeln abgezogen, gehobelt und geschliffen.

      Schlegel zum Schlagen des Gipsestrichs (Bild: Böhl nach einer Darstellung von Rolf Wihr). [7]

      Trotz der schweren Verarbeitung entstanden Kunstwerke. Man unterschied bei der Herstellung von dekorativem Gipsestrich, abgesehen von der Bemalung, die schon bei den Ägyptern bekannt war, zwei Verfahren: die Inkrustationstechnik und die Skagliolatechnik.

       Inkrustationstechnik

      Bei der Inkrustationstechnik werden im noch nicht ganz oder im bereits erhärteten Estrich Muster ausgekratzt. Diese werden später mit anders eingefärbtem Gips wieder ausgefüllt. Die Einfärbung konnte man mit Ziegelmehl oder Holzkohle herstellen. Später wurden auch andere Pigmente verwendet. Noch erhaltene Schmuckböden dieser Art aus dem 12. bis 13. Jahrhundert finden sich z. B. in Hildesheim, Helmstedt, Erfurt, Isenburg und Quedlinburg. [7]

      Gipsestrich aus Hochbrandgips in Inkrustationstechnik, Stiftskirche Bassum 13. Jahrhundert (Bild: Evangelische Kirchengemeinde Bassum).

      Die Böden wurden meist auf eine kapillarbrechende Steinvorlage auf dem Baugrund verlegt. Es gibt aber auch Funde mit einer Sandbettung.

      Inkrustationstechnik, Klosterkirche Isenburg; 12. Jahrhundert (Bild: Denkmalpflege Mühlhausen Huschenbeth GmbH & Co. KG).

      Gipsestrich von unten. Man erkennt die Verlegung auf eine Steinvorlage. Es finden sich aber auch ein Nagel sowie Getreide und Holzstücke (Bild: Denkmalpflege Mühlhausen Huschenbeth GmbH & Co. KG).

       Skagliolatechnik

      Die Skagliolatechnik entstand im Zeitalter des Barock (1575 – 1770). In Italien werden diese Böden auch Marmorino genannt. Der Begriff Kunstmarmor ist zwar zutreffend, da man früher Marmor damit preisgünstig imitieren konnte. Heute ist das allerdings nicht mehr so. Gipsböden in Scagliolatechnik sind so ziemlich das Teuerste, was man heute finden kann. Die Herstellung ist auch eine ganz besondere Kunst. Der Scagliola-Boden kann es sicher nicht mit der Verschleißfestigkeit und Beständigkeit von Marmor aufnehmen. Er hat jedoch eine ganz besondere, schmeichelnde und warme Haptik.

      Kombination von Inkrustationstechnik und Skagliolatechnik. Fußboden im Spielzimmer des Faforite Schlosses in Rastatt. Kunstgeschichtlich werden solche Darstellungen von scheinbar zufällig herumliegenden Dingen wie dem Schachbrett und den Spielkarten als „ungekehrter Boden“ bezeichnet. Man beachte auch die Kakerlake (unten rechts) und den Schmetterling (rechter Rand) (Bild: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg).

      Diese Böden werden mit einem hohen Anteil von Pigmenten eingefärbt. Aus der Mischung aus Gips und Pigmenten formt man Knödel oder kleinere Riebeln, indem man die Masse durch ein grobes Sieb drückt. Die Knödel und Riebeln von unterschiedlicher Einfärbung werden so miteinander gemischt, wie die spätere Farbwirkung gewünscht wird. Einzelne Knödel können auch mit einer Mischung aus Gips und Pigmenten gewälzt (paniert) werden. Dadurch entstehen dünne Adern, wie sie auch beim Naturstein vorkommen.

      Die Masse wird dann zu einer Art länglichem „Brotlaib“ zusammengeschoben und fest zusammengedrückt. Dabei kann man den Laib auch flach drücken oder verdrehen. Von diesem Laib schneidet man dann mit einem Messer, Draht oder Blech Scheiben in der gewünschten Estrichdicke ab. Diese Scheiben werden nebeneinander auf die Sandschüttung oder eine Unterschicht verlegt. Dabei verschmiert das beim Abschneiden zunächst noch sichtbare Muster.

      Das Muster kommt wieder zum Vorschein, wenn die Oberfläche abgehobelt, geschliffen und poliert wird. Die Oberfläche wird dann in mehreren Arbeitsgängen mit Leinöl eingelassen und schließlich gewachst. [7]

      Mischen von Gips und Wasser (Bild: Maurizio Feliziani Skagliola).

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