Estrichgeschichte. Walter Böhl

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Estrichgeschichte - Walter Böhl

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Braun, 1960).

       2.8 Gipsestrich, Anhydritestrich

      Gipsestrich aus gebranntem Gips und Hochbrandgips, gemischt mit Halbhydrat, gab es noch vereinzelt bis in die 70er-Jahre (z. B. DIARA von den Stuttgarter Gipswerken bis 1979). Estrichgips, der durch das Brennen sein Wasser verloren hat, ist eigentlich nichts anderes als natürlicher Anhydrit. Sulfatisch angeregter Anhydritbinder (Leukolith) wurde bereits ab 1922 in der Umgebung von Berlin als Baustoff eingesetzt. [14]

      Mit natürlichem Anhydrit als Estrichbindemittel konnte man Anfang der 50er-Jahre noch nicht richtig umgehen. [15] In der ehemaligen DDR schreibt Eichler 1952 in der „Schriftenreihe des VEB Verlags Technik Band 68“ nur ganz kurz:

       Soll Anhydrit verlegt werden, so gelten die gleichen Ausführungsregeln wie für Gipsestrich. Empfohlen wird jedoch eine Gesamtstärke nicht unter 50 mm. Die Erfahrungen, die der Verfasser mit basisch und sulfatisch angeregten Anhydrit-Estrichen bei zahlreichen Versuchen gemacht hat, berechtigen leider nicht dazu, diese Ausführung zu empfehlen.

      Das muss sich in der ehemaligen DDR schnell und radikal verändert haben. Schon 1955 beschreibt Eichler die Anhydritbinder Rowid und Pyramid als zwar mit eher nachteiligen Eigenschaften behaftet, aber durchaus brauchbar. Der damals neu entwickelte, kombiniert angeregte Leunit von den Leunawerken wird aber sehr gelobt:

       Der neue Leunafußboden ist in letzter Zeit immer mehr verbessert worden. Seine Unterschicht kann stark mit Sägespänen und Hobelspänen versetzt werden. Auch als schwimmender Estrich ist der Leunaboden mit Erfolg eingesetzt worden.

      Fortan entwickelte sich Anhydritestrich in der ehemaligen DDR zum dominierenden Estrichmaterial.

      In der Bundesrepublik wurde für schwimmende Estriche ab 1958 synthetischer Anhydrit als Sekundärprodukt der Flusssäureherstellung verwendet. Anbieter sind die Farbenwerke Bayer AG, Leverkusen. Die Firma Bayer richtete dazu den Geschäftsbereich Anhydit-Bayer ein, der 2004 zu Lanxess wurde. Ein weiterer Anbieter zum Beginn der Entwicklung ist die Firma Reimers. Synthetischer Anhydrit bewährte sich für Estriche von Anfang an.

      Natürlicher Anhydrit kam in der Bundesrepublik bis in die 80er-Jahre als Estrichbindemittel kaum zum Einsatz. Die Firmenchronik der Firma Knauf [17] berichtet, dass Karl Knauf und Bruno Wandser schon Anfang der 50er-Jahre an einen Anhydrit-Sand-Estrich dachten. Von 1957 an wurde von Knauf auch ein Anhydritestrich aus Naturanhydrit, der in Hüttenheim unter Tage abgebaut wurde, unter dem Namen ISOVAG vertrieben. Dieser erlangte aber nur regionale Bedeutung. Der Martktanteil des Anhydritestrichs aus Naturanhydrit blieb in der Bundesrepublik eher sehr gering. Der Durchbruch kam erst mit dem Fließestrich Mitte der 80er-Jahre und vor allem nachdem nach der Wiedervereinigung die Erfahrungen der ehemaligen DDR einflossen.

      Werbung für synthetischen Anhydrit von Bayer 1965. Manche der Werbeaussagen sollte man heute besser nicht ganz so wörtlich nehmen. (Bild: aus Schütze, „Der schwimmende Estrich“, Bauverlag, 1965)

       2.9 Anreger

      Der wesentlichste Fortschritt ist der Einsatz von Anregern. Ohne dieses Hilfsmittel wäre die bautechnische Anwendung nicht denkbar. Man errinnere sich an die beschriebene Verarbeitung von Hochbrandgips, der mehrere Tage bis zur Erhärtung brauchte, zwischenzeitlich trocknete und Risse bekam, die durch Stampfen oder Schlagen wieder geschlossen werden mussten.

      Als Anreger dienen Sulfate der Alkali- und Schwermetalle, Hydrogensulfate, Weißkalkhydrat, CEM I, CEM III und Hüttensand. [18]

      Da der Abbindechemismus über das Löslichkeitsprodukt läuft, wird die Lage des Gleichgewichts durch jeden löslichen Zusatz im Mörtel verschoben. Die Folge ist, dass keine geschlossene Theorie möglich ist. Bei der Produktentwicklung ist deshalb ein hoher experimenteller Aufwand erforderlich.

       2.10 Kuriosum: Gipser verarbeiten Gips, Estrichleger verarbeiten Calciumsulfat

      Bereits Ende der 50er-Jahre hat sich der Begriff „Anhydritestrich“ durch den in dieser Zeit auf den Markt kommenden synthetischen Anhydrit etabliert. Im Zuge der Normungsarbeit an der DIN 18560 in den 70er-Jahren hat man schließlich den Begriff „Calciumsulfatestrich“ gewählt. Chemisch ist Anhydrit und Hochbrandgips ja eigentlich dasselbe. Das hat auch nicht wirklich technische Gründe, sondern eher verbandspolitische. Damals wurde das Phänomen hochemotional diskutiert. Stuckateure durften nach der Handwerksordnung Gipsestrich verlegen. Dann konnten Estrichleger natürlich Gipsestrich (Anhydritestrich) nicht Gipsestrich nennen, sondern mussten eine andere Bezeichnung finden.

      Handwerksrechtlich hat sich diese Diskussion mittlerweile erübrigt. Das Kuriosum ist geblieben. Stuckateure verarbeiten Gips. Estrichleger verarbeiten Calciumsulfat. Man hat sich daran gewöhnt. Manche Estrichleger muss man allerdings gelegentlich daran erinnern, dass Calciumsulfat eben nun mal Gips ist und nur in trockener Umgebung verlegt werden darf.

      Eventuell dient es dem beseren Verständnis, wenn man genauer betrachtet, welche Formen Gips annehmen kann. [19] In Abhängigkeit von den Rohstoffen und vor allem den Brennbedingungen entstehen im Herstellungsprozess verschiedene Modifikationen des Gipses und des Anhydrits, die auch als Phasen bezeichnet werden. Leistung und Know-how der Gips herstellenden Unternehmen bestehen u. a. darin, die verschiedenen Phasen zielgenau in optimaler Art und Menge zu erzeugen und zu Bindemitteln mit exakt definierten Eigenschaften zu mischen. Das war früher noch nicht so genau möglich, da meistens undefinierte Mischformen vorlagen, die die Verarbeitung erschwerten.

      Umwandlung des Gipses beim Brennen (Bild: In Anlehnung an eine Darstellung aus einem Vortrag von Dieter Altmann).

      Gips und Anhydritphasen [19]

       Calciumsulfat-Dihydrat (CaSO4·2H2O) Natürliches Gipsgestein, auch Rohgips genannt, besteht als Ausgangsstoff der Gipsherstellung aus Calciumsulfat-Dihydrat; ebenso der in technischen Prozessen gewonnene Gips, z. B. REA-Gips. Gleichzeitig liegen alle abgebundenen Endprodukte als Dihydrat vor, also beispielsweise Gipsplatten, Gips-Wandbauplatten, Gipsputze und -spachtelmaterialien. Die Übereinstimmung von Ausgangsstoff und Endprodukt ist eine der Besonderheiten von Gipsbaustoffen.

       Calciumsulfat-Halbhydrat (CaSO4·½H2O)Calciumsulfat-Halbhydrat entsteht im Brennprozess des Gipses, der auch „Kalzinieren“ genannt wird. Technisch relevant sind zwei unterschiedliche kristalline Formen: α- und β-Halbhydrat, die unterschiedliche physikalische Eigenschaften bei gleicher chemischer Zusammensetzung haben. α-Halbhydrat-Gips wird unter Druck in Autoklaven bei Temperaturen im Bereich von 100 °C bis 150 °C hergestellt. α-Halbhydrat bildet einen sehr harten Gips und dient zur Herstellung von Estrichgips. Vor allem in Großkochern und kontinuierlich zu beschickenden Drehrohröfen wird β-Halbhydrat bei Temperaturen von etwa 120 °C bis 180 °C gewonnen

       Anhydrit III (CaSO4)Anhydrit III wird auch als löslicher Anhydrit bezeichnet. Er existiert ebenfalls in zwei Formen, die als α- und β-Anhydrit III bezeichnet werden. Er entsteht im Brennprozess durch weitere Entwässerung des Halbhydrats bereits bei Temperaturen ab 100 °C.

       Anhydrit II (CaSO4)Anhydrit II entspricht in seiner chemischen Zusammensetzung dem natürlich vorkommenden Anhydrit. In der industriellen Produktion entsteht das Material bei der vollständigen Entwässerung von natürlichem oder technisch entstandenem Dihydrat, Halbhydrat

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