Estrichgeschichte. Walter Böhl
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Anhydrit I (CaSO4) Werden die Brenntemperaturen noch weiter erhöht, bildet sich ab etwa 1180 °C Anhydrit I, das historisch auch als „totgebrannter Gips“ bezeichnet wurde.
Mehrphasengips Moderne Brenntechnik und die genaue Kenntnis der ablaufenden Prozesse erlauben heute in Rostbrandöfen oder Trägergas-Brennanlagen die Herstellung von Mehrphasengips, bei dem die verschiedenen Phasen in den jeweils gewünschten Anteilen schon beim Kalzinieren entstehen.
2.11 Bindemittel für Calciumsulfatestriche heute
[19] Heute besteht das Bindemittel für Calciumsulfatestriche überwiegend aus reaktiven CaSO4 -Phasen in Form von Anhydrit aus natürlichen Vorkommen oder aus technischen Prozessen wie der Rauchgasentschwefelung (thermischer Anhydrit) und Flusssäureherstellung (synthetischer Anhydrit). Es liegt aber auch in Form von CaSO4·½H20 bzw. Mischungen verschiedener Ca-SO4 -Phasen vor. Diesem Binder, der mindestens 85 % CaSO4 enthalten muss, können Zusatzmittel wie Anreger, Verzögerer oder Fließmittel zugesetzt sein.
Daneben gibt es heute auch Mischungen mit anderen Bindemitteln, sogenannte Compositbinder (Compoundbinder). Diese bestehen aus dem CaSO4 -Binder und Zusatzstoffen wie Puzzolanen, Kunstharz oder Zement. Der CaSO4 -Anteil der Compoundbinder muss mindestens 50 % betragen.
2.12 Fließestrich
Der Calciumsulfatfließestrich wurde Ende der 60er-Jahre durch Emil Höllfritsch entwickelt. Höllfritsch meldete im Zusammenhang mit dieser Idee eine große Zahl von Patenten an. Diese betreffen auch Hohlraumböden, Nivellierlehren und andere Hilfsmittel im Zusammenhang mit Fließestrichen. Der richtige Durchbruch stellte sich ab 1970 durch die Entwicklung eines Melaminharzverflüssigers der Süddeutschen Kalkstickstoffwerke (SKW) in Trostberg ein. Hierüber finden sich mehrere Patente aus den Jahren 1970 bis 1971.
Werbung der Firma Bayrisches Duramentwerk, Vollmann & Höllfritsch (Bild: Anzeige aus Schütze „Der schwimmende Estrich”, 1965)
Man sollte meinen, dass die Estrichleger über diese Arbeitserleichterung glücklich gewesen wären und sie begeistert eingesetzt hätten. Der Markt nahm die Erfindung von Höllfritsch aber nicht gerade mit großer Begeisterung, sondern sehr zurückhaltend, eher skeptisch auf. Erst 1982 konnte man allmählich von einer breiteren Anwendung sprechen.
Fließestrichmaschine 1981 an einer Baustelle der Firma Walter E. Kramer Fußbodenwerk in München. Der Mischer ist ein Freifallmischer, der in eine Exzenterschneckenpumpe entleert wird (Bild: Innung Estrich und Belag Wüttemberg).
Erst 1981 machte die Estrichlegerinnung Württemberg eine Exkursion nach München, um sich über diesen neuartigen, selbstverlaufenden und selbstglättenden, aber noch weitgehend unbekannten Estrich zu informieren. Dort erklärte Roland Schmidtchen von der Firma Kramer die Geheimnisse des Fließestrichs. Die Verwendung eines Freifallmischers wurde dadurch erklärt, dass damit weniger Luft in die Mischung geschlagen wird. Auch dem Ausschütten in die Pumpe wurde eine Entlüftung zugesprochen.
Roland Schmidtchen (Bildmitte) von der Firma Kramer in München erklärt im Jahr 1981 Estrichlegern aus Baden Württemberg, wie Fließestrich funktioniert. Schmidtchen war langjähriger Obmann des Arbeitskreises Sachverständige im BEB und Begründer der Sachverständigentagung (Bild: Innung Estrich und Belag Wüttemberg).
2.13 Anhydrit-Fließestrich in der ehemaligen DDR
1972 erhielten das Institut für Baustoffe, Weimar, und die Bauakademie der Deutschen Demokratischen Republik den Auftrag, einen Fließestrich zu entwickeln.
In diese Entwicklungsarbeit waren eingebunden: die Leuna Werke „Walter Ulbricht“, das Gipswerk Niedersachswerfen, die Fluor-Werke Dohna und die Stickstoffwerke Piesteritz, die den Verflüssiger „Viskomin“, ein sulfitmodifiziertes Melaminharz, entwickelten.
Die Einführung des Calciumsulfatfließestrichs in der ehemaligen DDR geschah im Gegensatz zur Bundesrepublik außerordentlich heftig, wie man an nachstehender Statistik zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung erkennen kann. An der Intensität dieser „Überleitung“ genannten Markteinführung kann man auch den Unterschied der Wirtschaftssysteme erkennen.
Marktdurchdringung von Calciumsulfatfließestrich im Jahre 1989 (Bild: Walter Böhl, Daten: Heinz-Dieter Altmann)
Am 30. 11. 1975 berichtete „Neues Deutschland“ über einen Vortrag von Paul Straus (Mitglied des Zentralkomitees der SED) auf der 16. Tagung des Zentralkomitees, in dem er neben vielen anderen Punkten auch über die „Überleitung“ (wir würden heute Markteinführung sagen) eines freifließenden Anhydritestrichs referierte (Bild: Archiv Neues Deutschland).
Die Technologie des Einbaus von Fließestrich hinkte der Entwicklung etwas hinterher. [20] Zunächst griff man auf die Faßtechnologie zurück, die von anderen Materialien bekannt war. Dabei wurden Wasser, Plastifikator, Anhydritbinder und Sand zunächst in den zu belegenden Raum geschafft, in einem Faß gemischt und ausgegossen. Mit der Einführung des Verfahrens im Jahr 1975 wurden Membranpumpen (Steinacher Pumpe), kombiniert mit einem Freifallmischer, eingesetzt.
„Faßtechnologie“ (Bild: Heinz-Dieter Altmann).
Fließestrichmaschine in der ehemaligen DDR, Freifallmischer mit Steinacher Pumpe MMPH 3 (Membranpumpe, Förderleistung ca. 4 m3/h) (Bild: Heinz-Dieter Altmann).
Die großen Baukombinate nutzten später die polnische Pumpe AT 60, ebenfalls eine Membranpumpe, die mit einem 250 l- oder auch 500 l-Freifallmischer kombiniert wurde. Die Förderleistung lag bei 6 m3/h. Somit waren damit Tagesleistungen bis zu 700 m2 möglich.
In der ehemaligen DDR wurden nur Baustellenmischungen hergestellt. Wasser, Plastifikator, Anhydritbinder und Sand wurden an der Baustelle gemischt. Der Anhydritbinder wurde bis zu 80 % als Siloware geliefert. Ein Problem stellte die Dosierung dar. Die Betriebe mussten sich mit Volumen-Markierungen an den Maschinen behelfen.
Dipl.-Chem. Heinz-Dieter Altmann war an der Entwicklung des Fließestrichs in der ehemaligen DDR wesentlich beteiligt. Altmann war später als Sachverständiger tätig und leitete viele Jahre den Arbeitskreis Sachverständige im BEB (Bild: boden wand decke).
Der Mangel an verfügbarer Technik