ironisch Short Stories. Mark Jischinski
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Frau Köpfe schob mir den Teller vor mein Gesicht und ein wunderbarer Duft stieg in meine Nase.
»Oh, das riecht toll! Der schmeckt sicher auch so, oder?«
Gerade als ich das gute Stück greifen wollte, zog sie es zu sich heran und blinzelte verschwörerisch. »Natürlich schmeckt der Kuchen. Und das Kompott ist ein Traum, für den man sterben möchte. Und überlegen Sie sich diesen Satz aus dem Mund einer alten Frau! Doch umsonst gibt es nichts im Leben, glauben Sie mir! Sie könnten mir im Gegenzug einen kleinen Gefallen tun.«
Was tut man nicht alles für ein Stück Kuchen und für ein Schälchen Kompott, die an Kindheit, Heimat und Geborgenheit erinnern?
»Womit kann ich denn dienen?«, fragte ich deshalb.
Als wäre dies der Startschuss für einen Crosslauf, sprang sie über die Türschwelle, umkurvte gekonnt das Bücherregal im Flur und steuerte so routiniert in mein Wohnzimmer, als würde sie dies jeden Abend nach Arbeitsschluss tun. Nicht zuletzt meisterte sie alles mit Kuchen und Kompott. Wahrscheinlich war sie in ihrer Jugend die absolute Göttin im Eierlaufen. Ich folgte ihr und begann zu stottern:
»Ähm, Frau Köpfe, was machen Sie da?«
»Ich will es mir nur ein wenig bequem machen!«
Sie saß in meinem Sessel und durchmaß den Raum mit kritischem Blick.
»Sie sollten mal wieder einen Staubwedel in die Hand nehmen. Und lüften wäre auch nicht schlecht. Aber deshalb bin ich ja nicht hier.«
Endlich stellte sie den Kuchen und das Kompott zu mir. Ich hatte mich ihr gegenübergesetzt.
»Also, mein Sohn ist ja nun leider schon ausgezogen. Er kann mich auch nicht so einfach mal besuchen, dafür wohnt er zu weit weg. Es ist aber so, dass ich nur noch ihn habe und sonst niemanden. Wissen Sie eigentlich, dass er Programmierer bei SAP ist?«
Mein Hirn schaltete um auf den Erinnerungsmodus und vor meinem geistigen Auge entstand das Bild eines blassen Langweilers, der bei Mama wohnte und der sich von Tiefkühlkost ernährte, seitdem er bei ihr ausgezogen war. Seine sozialen Kontakte beschränkten sich auf das Internet und der Besuch beim Friseur war die einzige Möglichkeit, in die Nähe von weiblichen Händen zu kommen.
»Ja, ich erinnere mich an ihn! Zu schade, dass er weggezogen ist!«, log ich, während ich den ersten Bissen des Kuchens genoss. Dass die bei SAP einen solchen Vollpfosten genommen hatten, konnte ich kaum glauben.
»Jedenfalls unterhalten wir uns jeden Tag!«, sagte sie ganz aufgeregt und selbst durch die starken Brillengläser konnte ich sehen, dass in ihren Augen mütterlicher Stolz blinkte.
»Ach nein, Frau Köpfe! Dann haben Sie aber eine dicke Telefonrechnung!«
»Wie kommen Sie denn darauf? Wir skypen und mailen uns. Ich habe sogar eine eigene Email-Adresse. Doris Punkt Köpfe äd Tee minus Online Punkt De Ee! Und Köpfe mit oe.« Sie sah mich an, als wäre sie Cortez und hätte mir Eingeborenen soeben glänzende Perlen geschenkt.
»Nein!«, erhob ich erstaunt die Stimme, »was Sie nicht sagen, Frau Köpfe! So richtig mit Email und dem Internet sind Sie mit Ihrem Sohn verbunden. Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut!«
»Tja, ich bin nicht so rückschrittlich, wie ich in Ihren Augen aussehe. Von wegen, die alte Schrulle glotzt nur auf die Hausordnung und liest die Apothekenrundschau! Unterschätzen Sie uns alte Menschen nicht. Nun aber zur Sache, junger Mann! Den Kuchen und das Kompott bringe ich ja nicht einfach so mit. Ich habe ein technisches Problem und mein Sohn ist leider nicht erreichbar. Könnten Sie bitte mal ein Auge auf meinen Computer werfen, damit ich wieder mit meinem Kleinen sprechen kann?«
Gerade hatte ich das letzte Stück Kuchen eingeworfen und bereits die ersten beiden Löffel Kompott intus. Deshalb fühlte ich eine gewisse Verpflichtung Frau Köpfe und ihrem Wohlergehen gegenüber.
»Klar doch. Ich helfe ihnen.«
Wir gingen gemeinsam im Schneckentempo nach oben. Frau Köpfe verwies auf ihr künstliches Hüftgelenk und das Wasser in ihren Beinen. Sonst fühle sie sich aber noch fit.
Der Computer war ein High-End-Gerät mit einem 24-Zoll-Bildschirm.
»Alle Achtung, Frau Köpfe! Eine irre Hardware haben Sie da!«
»Mag ja sein, aber der Computer ist auch nicht schlecht! Schauen Sie sich vor allem einmal den Fernseher an! Riesig, oder?«
Ich sagte gar nichts und schaltete das Gerät ein. Der Computer fuhr hoch und ich versuchte, die Verbindung ins Internet herzustellen. Es ging nicht.
»Haben Sie schon alle Kabel untersucht?«
»Welche Kabel? Ich dachte, ich bin im Internet?« Sie schaute mir mit ihren riesig wirkenden Augen direkt ins Gesicht.
»Sie haben da übrigens noch Kompott am Kinn.«
Sie reichte mir ein Taschentuch und ich wischte mir ihr Geschenk aus dem Gesicht.
»Vielen Dank, Frau Köpfe. Ich schaue jetzt trotzdem einmal nach den Kabeln.«
Der erste Blick unter den Tisch genügte. Das DSL-Kabel steckte nicht im Rechner. Ich behob den immensen Schaden, kam wieder unter dem Schreibtisch hervor und klickte auf die Internetverbindung.
»So, nun müsste es wieder gehen.«
Ein Fenster nach dem anderen ploppte auf.
»Huch, was haben Sie denn da?«
Frau Köpfe wurde rot. »Ach das!? Nichts weiter. Nur ein kleiner Zuverdienst. Wissen Sie, meine Rente ist ja nicht so üppig.«
Dann wurde ich rot. Über dem letzten Fenster stand es deutlich: Chat4U, Username »wild_vampire«. Darunter unser Chat von letzter Woche.
Wir waren bloß wegen eines dämlichen Kabels so lange getrennt. Und das Treffen in Echtzeit hatte ich nun endlich auch.
Der Kunde ist König!
Noch eine Viertelstunde länger und ich wäre geplatzt. Endlich sehe ich das Schild mit dem Hinweis auf eine Raststätte in fünf Kilometer Entfernung. Ich trete das Gaspedal durch, keinen Gedanken an die Umwelt, denn jetzt geht es um mehr. Es geht um mich und mein Wohlergehen. Meine Blase drückt bereits an den Gurt und ich überlege kurz, ob ich den Gürtel meiner Hose öffnen sollte. Doch ich lasse es sein, weil ich ihn beim Aussteigen wieder schließen müsste und das könnte seltsam auf andere wirken. Ich setze den Blinker und bremse ab. Auf der Abbiegespur fahre ich noch hundert Sachen, den Weg zum Parkplatz bringe ich mit einer runden sechzig hinter mich. Das Auto steht, ich steige aus, schließe ab und renne in die Raststätte. Eine kurze Unterbrechung zur Orientierung und schon weiß ich, wohin ich gehen muss. Im Keller finde ich eine hochtechnisierte Anlage, bei der ich zunächst siebzig Cent in einen Schlitz stecken muss, bevor ich ein Drehkreuz passieren kann. Nach wenigen Schritten erreiche ich eine Box, gehe hinein, schließe die Tür, reiße mir Hose und Slip runter und setze mich. Von lebensbedrohender Körperspannung zur puren Erleichterung sind es manchmal nur Sekunden. Ich atme noch etwas schnell, weil ich rennen musste,