Die Farben des Mörders. Miriam Rademacher
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Читать онлайн книгу Die Farben des Mörders - Miriam Rademacher страница 12
»Ach! Sollen wir doch nicht wippen? Das sieht auch schön aus, was Sie da machen«, hörte Colin eine andere Frau sagen. Der flotte Kurzhaarschnitt der Frau war zweifellos eine Perücke, die ein wenig zu eng saß. Sie schien ihn aufmerksam beobachtet zu haben, während er die Bewegungen der Inderin studiert hatte. Und sie hatte seinen Rückfall in alte Gewohnheiten bemerkt.
»Ähm, ja. Das ist nur eine andere Variationsmöglichkeit. Nicht so wichtig«, murmelte Colin entschuldigend.
»Nein, nein, das war hübsch. So ruhig und fließend. Können wir es nicht alle so machen?« Die Frau mit der Perücke sah Colin auffordernd an und er zögerte kaum eine Sekunde.
»Sicher. Aber dafür hätte ich es wohl etwas anders erklären müssen.«
»Erklären Sie es einmal anders. Bitte.«
Colin sah von der einen Frau zur nächsten, direkt neben ihr. Und wieder zur nächsten. Alle sahen ihn erwartungsvoll an. Auch Waldemar, der erneut als einziger Mann dabei war. »Also schön. Dann machen wir es nochmal etwas anders.«
Colin begann damit, die Übergänge des Walzers vorwärts und rückwärts zu erklären. Er tat dies nicht, wie er es in einem normalen Tanzkurs für Anfänger getan hätte. Er tat es, wie er es einem werdenden Tanzlehrer erklärt hätte. Er nahm sich jeden einzelnen Schritt, jedes Gefühl der Bewegung vor. Dies hier nannte sich immer noch eine Tanztherapie. Er wollte, dass sie spürten, was sie da gerade taten. Dass sie es verstanden. Dass sie fühlen konnten, was er fühlte. Die Schönheit eines einzigen Schrittes. Nur für einen Moment. Und er wusste, dass in seiner Stimme nicht nur Begeisterung, sondern auch Sehnsucht mitschwang. Die Sehnsucht nach einem richtig schönen Walzer.
»Können wir das auch mal mit Musik probieren?«, flüsterte die Perückenträgerin neben ihm mit geschlossenen Augen.
Colin trat aus dem Kreis, nahm die letzte CD aus dem Laufwerk und warf sie achtlos zur Seite. Dann legte er einen seiner persönlichen Lieblingswalzer, Still me von Erkan Aki, auf und nahm seinen Platz im Kreis wieder ein. Ruhig und sicher begann er damit, die Gruppe einzuzählen. Eine Weile genoss er nur seine eigenen Bewegungen. Dann sah er sich um. Und er wurde überrascht. Die alten Leute hatten ihm sehr genau zugehört. Konzentriert rollten sie über die Sohlen ihrer Füße, nutzten den ganzen Fuß. Und das in ihrem unförmigen Schuhwerk, Colin konnte es kaum glauben. Einigen schienen die Bewegungen vertraut. Es war, als würden sich ihre Füße erinnern. An längst vergangene Feste und durchtanzte Nächte. An Zeiten und Gefühle, die lang vergangen waren. Anderen schienen die Bewegungsabläufe fremd zu sein. Sowohl Waldemar als auch die Inderin schienen sich zum ersten Mal auf diese Weise zur Musik zu bewegen. Doch sie gaben ihr Bestes und schienen ebenfalls Freude an der Musik und den Schritten zu haben.
Als die letzten Takte verklungen waren, hauchte die Frau mit der Perücke neben ihm noch immer mit geschlossenen Augen: »Das war wunderschön. Können wir jetzt etwas Schnelleres machen? Mit ganz viel Armbewegungen?«
»Sicher«, antwortete Colin zögerlich und fragte sich, ob er rein zufällig seine Macarena-CD dabeihatte.
Nicht weit entfernt, nur einmal über den Flur, bekam Jasper gerade einen ersten Eindruck von Colins Leiden der vergangenen Wochen.
»Veera? Unser Thema heute ist doch die Farbe Blau. Haben Sie das vergessen?«, fragte er die unförmige Alte mit dem verkniffenen Zug um den Mund vorsichtig.
»Ich bin farbenblind«, war die kurze und schnippische Antwort.
»Ach. Sie können orange und blau nicht auseinanderhalten? Erstaunlich«, gab Jasper zu Antwort.
Neben ihm kicherte jemand schrill und albern. »Sie kann es natürlich auseinanderhalten. Aber wenn Veera will, dass Orange Blau ist, dann ist es das auch, nicht wahr, Veera?«
»Halt deinen Mund, Fiona. Mit dir redet überhaupt niemand. Es weiß sowieso niemand, was gerade du in einem Malkurs willst. Du malst doch schon den lieben, langen Tag«, gab die Frau namens Veera zurück, ohne die andere oder Jasper auch nur anzusehen. Ihr Blick klebte unverwandt an der orangen Blume, die sie soeben auf ihr Blatt Papier gepinselt hatte.
»Veera malt eben am liebsten Blumen, nicht wahr, Veera?«, mischte sich nun ein älterer Herr mit seidenem Halstuch und weißem Sakko ein. »Warum sagst du dem netten Pfarrer denn nicht, dass du Blumen am liebsten malst?«
»Blumen können doch auch blau sein«, gab Jasper verwirrt zu bedenken, was Veera ein ärgerliches Schnauben entlockte.
»Ich möchte aber orangefarbene Blumen malen. Ist das denn so schwer zu begreifen? Warum ist überhaupt eine Farbe unser Thema? Warum malen wir nicht etwas Biblisches? Sie sind doch Pfarrer?« Noch immer war Veeras Blick stur auf ihr Papier gerichtet.
Jasper bemerkte, dass ihre Pinselführung zittriger wurde. Das Gespräch schien sie nervös zu machen. Rücksichtsvoll ließ er sie gewähren und wandte sich der Kichererbse namens Fiona zu. Sie war eine auffallend dürre Frau, die ihre grauen Locken mit unzähligen Haarnadeln zu einem seltsamen Gebilde auf dem Kopf zusammengesteckt hatte.
»Das sind aber sehr schöne blaue … Bananen«, meinte Jasper lahm und erntete ein erneutes Kichern der zarten Fiona. Sie kam Jasper sehr alt vor. Möglicherweise war sie die Älteste hier im Raum. Ihre Haut war so runzelig wie der Rücken eines Nacktmulls und dabei von einem blassen Perlmutt.
»Ich mag blaue Bananen besonders gern. Sie auch, Herr Pfarrer?«
»Ich mag nur die blauen«, erwiderte Jasper verunsichert. Wurde er hier gerade hochgenommen oder hatte der eine oder andere Teilnehmer des Kurses wirklich schon seine Gehirnzellen ins Jenseits vorausgeschickt? »Und Sie malen jeden Tag? Aber doch nicht ausschließlich Obst?«
Die Dame kicherte wieder fröhlich und versah ihre hellblauen Bananen mit dunkelblauen Klecksen. »Ich male viele verschieden Dinge. Das liegt an meinem immer schlechter werdenden Gedächtnis, verstehen Sie?«
»Nein«, gab Jasper zu.
Fiona ließ den Pinsel sinken und sah ihn an. »Zuerst habe ich mir zur Erinnerung Notizen auf so kleinen gelben Klebezetteln gemacht. Wie heißen die noch gleich?«
»Post-it?«, versuchte Jasper sein Glück.
»Ganz genau! Das war furchtbar. Überall klebten diese kleinen Zettel. Am Spiegel, am Telefon, am Kleiderschrank! Und überall standen nur wenige Worte drauf. Ich wurde ganz nervös davon. Können Sie das verstehen, Herr Pfarrer?«
»Ich gebe mir Mühe.«
»Da habe ich angefangen, mir meine Notizen zu malen. Das sieht viel hübscher aus. Ich male auf diese kleinen Klebezettel oder einfach auf eine Serviette. So, wie es sich ergibt. Das verleiht meinem Zimmer einen ganz eigenen Charakter.« Das glaubte Jasper ihr sofort.
Nun mischte sich der Toupetträger ein, der Jasper schon am Tage zuvor