Eine verborgene Welt. Alina Tamasan
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Читать онлайн книгу Eine verborgene Welt - Alina Tamasan страница 10
„Sie heißt Finilya“, sagte er schließlich langsam, „und ist die Tochter von Rìa und Irukye. Also nicht gerade das, was du dir, Mama, unter einer idealen Ehefrau vorstellst, denn es fehlen ihnen die Ressourcen. Aber ich liebe sie, und ich möchte sie heiraten.“ Während er die Worte aussprach, sah er seine Eltern aufmerksam an. Beide wollten dazwischenreden. „Hört mir zu“, fuhr Rangiolf unvermittelt fort. „Ich werde meine Ovatenweihe erhalten, wie es dir am Herzen liegt, Papa. Und ich werde reisen, wie es ein Ovate tut – aber mit meiner Frau Finilya.“ Eigentlich wusste er gar nicht, ob Finilya mit seiner Entscheidung einverstanden war. Das Gefühl der Zuversicht in seinem Herzen machte ihm jedoch Mut, diese Worte auszusprechen. „Wir werden euch nicht zur Last fallen. Also müsst ihr von Rìa keine Mitgift verlangen, denn er kann sie euch nicht geben. Hiara sagte heute, die Ehe sei besiegelt, und ich möchte ihr glauben. Ich möchte auch, dass ihr heute Nacht zur Weihe erscheint.“ Er sah Yhsa an. Diese rieb sich nervös ihre Hände und blickte zur Seite. Dann nickte sie.
Während Irukye aufgeregt auf der Kralle ihres Zeigefingers herumkaute, rieb sich Rìa nervös die Hände. Finilya zupfte an ihrem weichen Haar herum. Pythera stand bei ihnen und im Gegensatz zu ihrem sonst schlichten Aufzug, trug sie nun ihr Baumgewand, wie es die Leute ihres Volkes nannten. Es war ein festliches Gewand aus einem dunkelgrünen und braunen Material, verziert mit Eichenblättern, Rindenteilen und Wurzelwerk, die niemals vergingen. Die Gniri erzählten sich, dass sie es einst, als die Bäume noch gesprächiger und beweglicher waren, von einer mächtigen Eiche geschenkt bekommen hatte. Wann und wo das gewesen sein soll, darüber spekulierten sie mehr als über den Namen dieses holden Baumes, der ihr angeblich einst diese hohe Ehre erwiesen hatte.
Finilya konnte sich daran nicht satt sehen. Wenn Pythera dieses Gewand trug, glich sie einem Falter, der Mimikry betreibt: Sie verschmolz nicht nur mit ihrer Umgebung, sondern auch mit dem Kleid selbst. Sie wurde unsichtbar – und blieb doch sichtbar. Die Gniri trat näher an sie heran und betrachtete die langen schlanken Eichenblätter, die in ihr Kleid eingearbeitet waren. Sie waren frisch und grün und so zart, dass sie einfach nicht an deren Unvergänglichkeit glauben mochte. Dann sah sie an sich herunter und seufzte leise. Ihre eigene kindlich anmutende Nacktheit war eines solchen Anlasses wirklich nicht würdig, aber sie war nun einmal noch nicht verheiratet. Als hätte Pythera ihre Gedanken erraten, griff sie in eine der vielen verborgenen Taschen ihres Gewandes und holte eine kleine Kette hervor. Wie das Kleid selbst bestand sie aus feinem Wurzelwerk und vielen Eichenblättern. In der Mitte prangte als Anhänger eine wunderschöne goldgelbe Eichel.
„Hier“, sagte sie und hängte sie der jungen Gniri um.
„Danke“, flüsterte Finilya gerührt. – Als Rangiolf mit seinen Eltern kam und sah, dass nicht nur die Heilerin auf sie wartete, blieb er abrupt stehen, sodass Gabra in ihn hineinlief. Yhsa blieb verwirrt stehen.
„Finilya …“, flüsterte der junge Mann fast unhörbar. ‚Wer hat ihre Eltern eingeladen?‘, fragte er sich erschrocken.
„So was habe ich mir schon fast gedacht“, brummte Gabra und kratzte sich seine Armborsten, „schau nur, Yhsa, das sind ihre Eltern.“ Er deutete auf Rìa und Irukye. „Ich glaube“, er leckte sich schmunzelnd die Lippen, „die Auserwählte Rangiolfs ist auch die Auserwählte der Heilerin. Sie will, dass die beiden heiraten.“ Er kicherte leise hinter vorgehaltener Hand. „Also, mein Junge, mach dich auf deine Weihe und auf ein Hochzeitsarrangement gefasst, und du, Yhsa, auch!“ Nun lachte er meckernd.
„Siehst du? Siehst du? Sagte ich doch!“ Sie kniff ihrem Mann sanft in die Seite. Rìa lächelte spitzbübisch, derweil er die Ankömmlinge neugierig musterte. Dann wanderte sein Blick ebenfalls zur Heilerin.
„Du bist … eine Spitzbübin!“, rief er ihr zu.
„Ich weiß“, grinste sie, „ich weiß! Darf ich vorstellen?“, Pythera trat zwischen die beiden Parteien, „Gabra, Rangiolfs Vater und Rìa, Finilyas Vater. Dann Yhsa, Rangiolfs Mutter und Irukye, Finilyas Mutter. Ich habe euch eingeladen, um der Weihe Rangiolfs beizuwohnen und das Arrangement der Ehe zwischen eurem Sohn und eurer Tochter mit einem Handschlag zu besiegeln.“ Endlose Minuten herrschte Totenstille. Rangiolf schluckte trocken. Hilfesuchend sah er zunächst Finilya und dann Pythera an. Die Augen der Heilerin glänzten voller Zuversicht. Gabra und Rìa sahen sich in die Augen und nickten einander zu – und dann kam die lang ersehnte Geste, welche die Ehe offiziell bestätigte.
„Auf Grund besonderer Umstände sollen die Ressourcen gestiftet werden“, fuhr Pythera fort, „von Rangiolfs Familie, mir selbst und denen, die freigiebige Gemüter sind und etwas dazugeben möchten, damit es ein schönes Hochzeitsfest wird. Dafür, Rìa, gibst du deine Tochter in die Obhut dieses jungen Mannes“, sie zeigte auf Rangiolf, „und du, Gabra, gibst deinen Sohn in die kundigen Hände dieser jungen Frau“, sie wies auf Finilya. „Nach der Eheschließung möge sich das Paar entscheiden zu gehen oder bei uns zu bleiben. Ihr beide …“, sie sah nun die Väter an, „erklärt euch bereit, alles in eurer Macht stehende zu tun, damit sie, im Falle ihres Hierbleibens, nicht heimatlos werden, denn das verdient niemand … Ressourcen hin oder her.“ Die Männer besiegelten Pytheras Bedingungen mit einem Handschlag.
„Und nun lasst uns zum Zeremonienplatz gehen.“ Sie ging voraus und alle folgten ihr.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass Pythera dich und deine Eltern eingeladen hat?“, fragte Rangiolf als sie außer Hörweite waren.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du deine Eltern mitbringst?“, stellte Finilya die Gegenfrage.
„Weil ich nicht wusste, dass du kommst!“, antwortete er etwas patziger als er es beabsichtigt hatte.
„Pytheras Wege sind oft unergründlich“, schmunzelte Finilya und kniff ihm sanft in die Wange, „aber nun wird alles gut, du wirst Ovate und die Ehe ist besiegelt!“
„Die Ehe ist besiegelt“, wiederholte Rangiolf mechanisch, „genau so hat es Hiara gesagt, die Ràktsia.“
„Welche Ràktsia?“
„Ah, nicht wichtig!“
„Wir sind da!“, hörten sie Pythera. Finilya blickte auf und musste unwillkürlich lachen. Auch ihr Gefährte konnte seine Überraschung nicht verbergen. Sie standen auf jener Wiese, auf der sie sich nachts heimlich getroffen hatten.
„Hier war das also“, grinste Gabra, der die Reaktion der beiden bemerkt hatte.
„Ja, hier haben wir die Baumsämlinge gepflanzt“, ergänzte Rìa, „nachdem klar war, dass sie im NUTZWALD nicht gut aufgehoben sind.“ Pythera hörte es und lächelte.
„Dann ist dies genau der richtige Ort für deine Weihe, Rangiolf“, sagte sie und trat in die Mitte des Platzes. „Komm! Finilya, du auch. Rìa, du stellst dich vier Schritte hinter Rangiolf in den Norden und du Gabra, stellst dich hinter Finilya in den Süden. Yhsa, stelle dich bitte vier Schritte in westlicher und du, Irukye, in östlicher Richtung auf.“ Nun bildeten alle einen Kreis mit Pythera, Rangiolf und Finilya als dessen Zentrum. Pythera wandte sich an Rangiolf und Finilya.
„Eure Hochzeit“, begann sie und legte jedem von ihnen eine Hand auf die Schulter, „werden wir noch feiern – mit einer gebührenden Zeremonie. Betrachtet Rangiolfs Ovatenweihe nicht nur als das, was sie ist, sondern zugleich als einen Bund, der uns alle eint. Rangiolf und Finilya: Es ist sehr, sehr wichtig, dass ihr beide eure Heimat niemals vergesst,