Eine verborgene Welt. Alina Tamasan
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Er lief wieder los. Jetzt hielt er nur noch nach Nüssen Ausschau, aber seine Suche blieb ergebnislos! Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, musste er sich murrend eingestehen, dass er seine ganze Zeit damit vergeudet hatte, nach besonders dicken Raupen zu suchen, obwohl es auf Baum und Boden von anderen nur so wimmelte. Auf dem Weg zu Hiara sammelte er noch einige ein. Dann bestieg er die Krone des höchsten Baums im Wald, kletterte bis in den letzten Wipfel und wartete dort. Eine sanfte Brise kam auf und wiegte sanft die Spitze des Mitteltriebs, an den er sich klammerte.
„Komm schon“, rief der Gniri leise, „hier oben ist kein Ort für einen wie mich. Besäße ich Flügel, wäre es was anderes und … hm, selbst dann nicht. Ich liebe nun mal die Erde und den dicken, stabilen Ast eines Baums, das Geschaukel macht einen ja vollkommen …“ Er konnte seinen Satz nicht mehr beenden. Hiara war da.
Als Bodenbewohner bekam man selten solche Wesen zu sehen, geschweige denn, dass sich mit einem von ihnen ein Gespräch ergab, denn sie lebten hoch in den Lüften bei den Vögeln. Er aber, als Barde und Putzmann, der Blatt und Boden von Schädlingen befreite, hatte häufig Kontakt zu ihr, denn sie schätzte seine Raupen.
„Ich hoffe, deine Vögel mögen sie“, sagte Rangiolf und hielt ihr den geöffneten Beutel hin. Hiara, die von Weitem leicht mit einer hellen Wolke verwechselt werden konnte, schwebte näher heran. Ihre großen silbernen Augen wanderten interessiert über den Inhalt und ihr rundes milchig weißes Gesicht formte sich zu einem zufriedenen Lächeln.
„Ja“, antwortete sie. Ihre Stimme klang wie der Wind. Dann formte sich aus ihrem Wolkenkörper ein Arm mit einer zartgliedrigen Hand.
„Die!“ Sie zeigte auf die dicke Raupe, die sich auf dem weichen Lager, das die anderen bildeten, genüsslich hin und her räkelte. „Die ist was Besonderes, selten anzutreffen und für Vögel äußerst schmackhaft.“ Nun sah sie den Gniri an und ihm war, als blicke sie in sein Herz. „Mach’ dir keine Sorgen, alles löst sich. Sieh die Raupe als Zeichen. Du bist was Besonderes, Finilya ist was Besonderes, eure Ehe ist besiegelt.“
„Du musst schön sein für die Zeremonie“, Irukye kämmte Rìa vorsichtig das Haar. „Das macht einen guten Eindruck! Und wenn Pythera sieht, was für ein ordentlicher Mann du bist, wird sie vielleicht auch etwas für Rangiolfs und Finilyas Hochzeit spenden.“ Der alte Gniri schüttelte den Kopf.
„Hochzeit, du immer mit deiner Hochzeit. Du weißt genau, dass Finilya noch viel zu jung ist. Außerdem: Was will ein reisender Ovate mit einer Frau?“
„Was will er nicht mit einer Frau?“, gab Irukye zurück. „Hat uns Pythera zu Rangiolfs Ovatenweihe eingeladen oder nicht, he? Das will was heißen! Und überhaupt, Ovaten müssen nicht reisen, nicht wahr, Finilya?“ Sie sah zu ihrer Tochter, die sich ebenfalls das Haar kämmte. Die Gniri zuckte erschrocken zusammen und sie erinnerte sich an die Worte der Heilerin, ihnen Bescheid zu geben – über alles! Was wusste Pythera über ihren und Rangiolfs Weg, was Finilya selbst nicht wusste oder nur ahnte?
‚Alles‘, kam ihr in den Sinn, ‚sie kann hellsehen, das ist einfach so.‘
„Finilya?“ Irukye riss sie aus ihren Gedanken und sah sie groß an.
„Also“, hüstelte die Gniri zögerlich, „komm, Mama, setz dich bitte einen Augenblick zu Rìa, ja?“
„Ich muss noch deinen Vater zu Ende kämmen.“
„Bitte, Mama.“ Irukye hielt inne. Ihre Tochter setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand. „Du hast recht. Pythera wird vermutlich etwas drehen, sodass wir heiraten können. Rangiolfs Eltern werden ihre Entscheidung achten müssen. Aber Ovaten, Mama, die reisen viel. Das bedeutet einerseits, dass Rìa keine Mitgift entrichten muss, andererseits aber auch, dass ich euch mit Rangiolf verlassen muss.“ Während sich Irukye noch unschlüssig war, ob sie nun mit Freude oder Trauer reagieren sollte, stand Rìa die Enttäuschung deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Ich weiß, dass du enttäuscht bist, Papa, aber Rangiolf ist ein guter Mann, er wird auf mich aufpassen.“
„Ja“, murmelte der Alte und senkte den Blick. „Genauso wie ich es damals Irukye versprochen habe.“ Er sah sie mit müden Augen traurig an.
„Oh“, rief Rangiolf auf einmal bestürzt, „ich wollte doch meinem Vater Bescheid sagen, wegen der Weihe! Das habe ich ganz vergessen, er wartet schon seit heute Morgen!“
„Dann gebe ich dir die Steine und du kannst schnell zu ihm“, antwortete die Ràktsia und zog einen Beutel aus ihrem Wolkenkleid. „Schau“, sagte sie bekräftigend, „ich habe eine gute Mischung für dich zusammengestellt.“ Sie hielt Rangiolf den geöffneten Beutel hin.
„Das sind genau die Richtigen, für jedes Wehwehchen. Ich danke dir. Wann kommst du wieder?“
„Wenn Retasso kommt“, antwortete Hiara.
„Retasso?“ Rangiolfs Miene verriet aufrichtiges Erstaunen. „Kommt er uns etwa besuchen?“ Hiara nickte lächelnd und verabschiedete sich.
„Hey, warte“, rief ihr der Gniri hinterher. „Wann kommt er denn?“
„Bald“, hörte er sie noch antworten, ehe sie in den Wolken verschwand. Rangiolf starrte noch eine Weile ins Leere, dann besann er sich, kletterte den Baum hinab und eilte zu Gabra. – Der saß vor ihrem Heim auf einem Stein und blickte versonnen in die sonnenbeschienenen Kronen der Bäume.
„Bin da, bin da“, keuchte Rangiolf und blieb vor ihm stehen, „tut mir leid, ich hatte ganz vergessen …“
„Ist schon in Ordnung.“ Gabra machte eine wegwerfende Handbewegung und seufzte leise. „Ich sehe schon, deine Raupen waren dir wichtiger als dein alter Herr, hm?“ Er sah seinen Sohn forschend an.
„Also, Papa, die gute Nachricht ist“, begann Rangiolf sogleich, um Gabra aufzumuntern, „deine Borsten haben dich nicht getäuscht, heute Nacht, wenn der Mond hoch am Himmel steht, ist die Weihe. Pythera sagt, ich soll euch beide mitbringen.“
„Ehrlich? Das hat sie gesagt?“ Gabras Augen wurden groß und rund. Erstaunen und Freude paarten sich darin. „Das muss ich Yhsa sagen!“ Er erhob sich und war schon dabei, den Stamm der Eiche hochzuklettern, als ihn sein Sohn zurück hielt.
„Warte!“ Gabra drehte sich um und sah Rangiolf an. Nackte Angst sprach aus seinem Blick.
„Weißt du, mein Junge“, lächelte sein Vater, „ich lebe mit meinem Weib nun schon länger zusammen als du und ich kann dir sagen: Sie ist stolz auf dich, auch wenn sie es nicht zugibt! Und nun lass mich zu ihr gehen und ihr die gute Nachricht überbringen, und du …“, er sah seinen Sohn eindringlich an, „solltest uns mal über die holde Dame aufklären, wegen der du dich so häufig nachts aus dem Hause schleichst.“
„Ähm … ich …“
„Nein, keine Ausreden, mein Junge. Ich rede jetzt mit deiner Mutter und hole ich