Eine verborgene Welt. Alina Tamasan
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„Oh, danke!“, murmelte Finilya gerührt. Sie hatte zwar von den Gästen schon einen Rock bekommen, aber an diesem hier hatte ihre Mutter mitgearbeitet, das machte ihn zu etwas Besonderem. Gabra nickte lächelnd und verließ den Raum.
„Halt mal still, ich will mir den Streifen ansehen“, murmelte Rangiolf und betrachtete eingehend den Bauch seiner Frau. „Gestern Nacht konnte ich es nicht sehen, nur fühlen und heute … ah, das ist schön.“ Der Gniri grinste über das ganze Gesicht. „Lass uns jetzt aufstehen!“ Sie zogen sich eilig an und gesellten sich zu den anderen.
„Siehst gut aus, Finilya“, gurrte Yhsa und reichte der Gniri einen kleinen Tiegel, in dem sich mehrere Raupen wanden. Finilya steckte sich ein paar davon in den Mund und kaute bedächtig darauf herum.
„Danke, ich freue mich sehr darüber, meine Mutter hat daran mitgearbeitet.“
„Ich auch!“, brüstete sich Yhsa.
„Tatsächlich? Oh, danke!“, Finilya reichte den Tiegel mit den Raupen an Rangiolf weiter und umarmte die alte Frau herzlich.
„Wie schön du bist!“, erwiderte Yhsa stolz.
„Wir müssen raus!“ Rangiolf unterbrach die sentimentale Begegnung zwischen den beiden. Er stopfte Finilya den Rest der Raupen in den Mund, ergriff ihre Hand und rannte mit ihr zur Tür. Vor dem Baum warteten schon viele Gniri auf sie. Als die beiden ins Freie traten, brach ein Jubel aus. Kaum, dass das Paar unten angekommen war, wurden sie von Leuten umringt. Sie brachten ihnen Glückwünsche entgegen, tätschelten ihre Schultern und beschauten sich voller Neugier und Faszination Finilyas Bauch. Hin und wieder zupfte einer Finilyas Haare auseinander, um den Streifen für jeden deutlich zu machen. Für das Volk am Eichenhain war jede Schwangerschaft eine Besonderheit. Das erste Kind aber wurde mit besonders großem Triumph aufgenommen! Vor allen Augen segnete die Heilerin das Ungeborene.
„Herzlichen Glückwunsch“, freute sich Retasso und reichte dem Paar die Hand. Während Finilya verlegen zu Boden blickte und nur ab und an einen zögerlichen Blick in die Menge wagte, schien Rangiolf in der Anerkennung förmlich zu baden. Stolz und glücklich zog er seine Frau hinter sich her und zeigte sie allen Anwesenden.
„Ja, das ist mein Zäb-zäb“, lachte er immer wieder. „Schaut, wie schön sie ist!“ Als alle das Paar bestaunt und beglückwünscht hatten, gingen sie wieder ihren Tagesgeschäften nach. Finilya und Rangiolf aber machten sich für den Aufbruch bereit. Die Vorbereitungen gingen bis in die Abendstunden. Retasso, der sein Gepäck lange verstaut hatte, wartete geduldig.
Dann war es so weit. Da Finilya nun schwanger war, mussten sie auf viel Gepäck verzichten und eine Menge der Geschenke zurücklassen. Die Gniri wehrte sich lange dagegen und warf ein, dass sie durchaus in der Lage sei, einiges zu tragen. Als jedoch Retasso und Pythera ihr versicherten, dass sie an ihrer Schwangerschaft und hernach an dem kleinen Kind genug zu tragen haben würde, gab sie schließlich nach.
„Glaube mir, es geht schneller als du denkst“, sagte die Heilerin und legte ihre Hand auf Finilyas Bauch. Irukye, die dabei stand, nickte.
„Sie hat recht“, sagte die alte Frau. „Wenn das Kleine da ist, musst du es lange tragen, bevor es alleine läuft. Es wird zwar bald kräftig werden, aber auch nicht so schnell.“ Finilya sah ihre Mutter an. Tränen standen der alten Gniri in den Augen, sogar Rìa schaute betrübt drein.
„Pass auf dich auf, mein Kleines“, sagte er und tätschelte seiner Tochter die Wange, „und du auch, hüte sie! Sie ist noch jung, sie braucht dich“, wandte er sich an Rangiolf. Der nickte. Dann blickte er zu seinen Eltern hinüber und wurde selbst traurig. Zeit seines Lebens hatte er sich vor seiner Mutter Yhsa gefürchtet und Gabra für einen albernen alten Mann gehalten, nun vermisste er beide jetzt schon! Er verabschiedete sich von seinen Eltern und den Geschwistern mit einer innigen Umarmung.
„Viel Glück!“, sagte sein Bruder Brafar und drückte ihn an seine Brust. „Pass auf dich auf! Die Welt da draußen, die ist irgendwie … krank.“
„Wird schon gut gehen“, meinte Rangiolf. Finilyas Schwester Mèfai hielt Pindra hoch, damit Finilya ihn noch einmal küssen konnte.
„Pass gut auf ihn auf“, sagte die zu ihrer Schwester. „Er braucht dich, nun bist du die Älteste!“ Pythera sah dem Abschied zu. Ab und an wanderte ihr Blick suchend über den Himmel, Retasso wusste warum.
„Kommt sie?“, fragte er.
„Ja“, antwortete die Heilerin und zeigte auf einen Punkt, der von Weitem wie eine Wolke aussah. „Da!“ Der Punkt näherte sich und brachte einen kräftigen Windstoß mit, der den Anwesenden das Haar zerzauste. Viele hatten in ihrem ganzen Leben noch nie eine Ràktsia gesehen und so war deren Ankunft für sie ein besonderer Moment.
„Ich glaube“, hauchte Hiara während der Landung und formte aus ihrem Wolkenkörper eine den Waldbewohnern ähnelnde Gestalt, „das ist meine erste Ankunft auf den Gefilden der Erde seit …“, ihre runden silbernen Augen bekamen einen nachdenklichen Zug. Dann sah sie Rangiolf. „Guten Abend, mein Freund!“, lächelte sie und gab ihm ihre zarte weiche Hand. „Finde dich selbst und finde die Menschen, dann kehre wieder.“ Sie überreichte ihm ein Säckchen mit Heilsteinen. Der Gniri verbeugte sich und nickte. Er verwahrte Hiaras Worte wohl in seinem Herzen. Nun wandte sich Hiara an Finilya.
„Es wird kräftig und gesund“, sie legte ihre Hand auf den Bauch, „genau wie du!“
„Was ist es denn? Mädchen oder Junge?“, fragte die junge Frau zaghaft.
„Was fühlst du?“ Hiara sah sie aufmerksam an.
„Ich denke, ein Mädchen.“
„So ist es!“ Noch ehe Finilya etwas erwidern konnte, wandte sich Hiara an Retasso. „Nicht alles erfüllt sich, wie du es erwartest.“ Nun sprach sie zur Heilerin. „Meine liebe Freundin, wir kennen uns schon sehr lange.“ Pytheras Miene wurde melancholisch. „Löse dich vom Kummer der Vergangenheit und Neues wird dir zustreben.“ Sie blickte zu Retasso, die Heilerin verstand. „Vertraue auf deine innere Führung und lass dich nicht zermürben, gehe deinen Weg. Hilfe wird kommen, wenn du es am wenigsten erwartest.“ Dann legte sie ihre Hände nacheinander auf die Köpfe der Anwesenden und entließ sie mit ihrem Segen in den Schutz der Dunkelheit.
In der Psychiatrie (Giri-ù thra-ha)
Ihre Eltern waren nicht zu Hause, und das war auch gut so. Keiner sollte sie in diesem aufgelösten Zustand sehen, das würde nur unangenehme Fragen