Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Eine verborgene Welt - Alina Tamasan страница 21

Eine verborgene Welt - Alina Tamasan

Скачать книгу

und sah in den Spiegel gegenüber. Große schwarze Augen blickten sie aus einem kleinen runden Gesicht mit hohen Wangenknochen an. Ihre Haut war dunkel, das pechschwarze Haar fiel in dicken, widerspenstigen Locken über ihre schmalen Schultern. Manchmal, so schien es ihr, fühlte sich ihr Schopf an, als bestünde er aus lauter Borsten, die sich kaum bändigen ließen. Sie sah auf ihre Hände, die klein und schmal waren wie sie selbst, aber auch irgendwie spitz, fand sie – fast wie Pinzetten. Noromadi fand ihr Aussehen unnatürlich, einfach nicht normal!

      Sie zweifelte an sich und fragte sich zum wiederholten Mal, wie so jemand wie sie, die Tochter dieser Eltern sein konnte? Ihr Vater war großgewachsen und blond, ihre Mutter etwas kleiner, sie hatte hellbraunes, leicht rötlich schimmerndes Haar. Es waren ganz normale ehrbare Menschen mit einem gut bezahlten Job, einem Eigenheim und kleinen Garten. Was also hatte jemand wie sie bei solchen Menschen zu suchen? Tränen sammelten sich langsam in ihren dunklen Augen.

      „Ich muss es jemandem erzählen“, flüsterte sie mit heiserer Stimme, „sonst platze ich! Aber wem? Wem soll ich es sagen? Nicht, dass sie mich wieder in die Psychiatrie stecken, wie damals, als ich mich umbringen wollte. Dabei hatte ich doch nur diesen Engel gesehen, der war so wunderschön. Ich wollte zu ihm, fort von diesem schrecklichen Ort auf der Erde, fort von diesen normalen Menschen …“ Die junge Frau stockte und rieb sich aufgeregt die kleinen, spitzen Hände. „Noromadi, lass den Unsinn, du musst zur Vernunft kommen“, ermahnte sie sich. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und dachte angestrengt nach. „Martin! Martin wird mich verstehen. Er ist doch mein Freund. Er liebt mich. Er wird mir zuhören und mich in den Arm nehmen, mich unterstützen … – Halt, stopp! Ist Martin wirklich der richtige?“ Martin war seit zwei Jahren ihr Partner: ein großer schlanker Mann mit dunkelbraunem kurzem Haar und wachen grauen Augen. Er studierte Informatik und war auf gewisse Weise brillant! Binnen kürzester Zeit konnte sein scharfer Verstand eine Fülle komplexer Zusammenhänge erfassen und zusammenfügen. Ein waschechter Naturwissenschaftler eben. In seiner Welt gab es nichts, was nicht logisch erklärbar wäre. Alles, was er erlebte, konnte er beweisen und begründen. Noromadi sah bei sich das Problem, weil sie das nicht konnte.

      „Nicht mit dem, was ich erlebt habe. Das ist einfach nicht begründbar, nicht beweisbar, außer mir, sieht es ja keiner“, schluchzte sie. Trotzdem erhob sie sich, wankte zitternd zum Telefon und wählte Martins Nummer. Am anderen Ende klingelte es: ein Mal, zwei Mal … die junge Frau spürte, wie ihr das Herz bis in den Hals klopfte.

      ‚Er ist bestimmt nicht zu Hause‘, dachte sie und wollte schon auflegen, als sich Martin meldete.

      „Hallo Schatz“, hörte sie ihn sagen, „ich bin gerade zur Türe rein und wollte dich anrufen, ob du Lust hast, mit mir einen Kaffee zu trinken. Es ist so herrliches Wetter.“ Die kleine Frau strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schluckte die Verzweiflung hinunter.

      „Das ist schön“, bemühte sie sich, in einem heiteren Ton zu antworten, „der Sommeranfang lässt grüßen!“ Eigentlich hatte sie gar keine Lust, ihr Thema mit ihm an einem öffentlichen Ort zu besprechen. Andererseits, wo sollten sie hin? Hier, in ihrem Zimmer, wollte sie nicht reden, und die kleine Studentenbude, in der er wohnte, schien ihr auch nicht geeignet zu sein. Wenn sie es recht bedachte, gab es für solche Gespräche überhaupt keinen rechten Ort – und auch keine rechte Zeit.

      ‚Vielleicht beruhige ich mich auf dem Weg, dann behalte ich es einfach für mich‘, schoss es ihr durch den Kopf, ehe Martin sie aus den Gedanken rief.

      „Also! Möchtest du?“, hörte sie ihn ungeduldig nachhaken.

      „Ähm … ja, gerne.“

      „Dann treffen wir uns in einer halben Stunde in unserem Lieblingscafé. Ich spendier dir auch ein Eis, wenn du möchtest.“

      „Ja, gerne … bis dann“, antwortete sie und legte auf.

      ‚Noromadi, du dummes Ding‘, schimpfte sie sich, ‚du musst den Mund halten. Diese Dinge sind nicht für seine Ohren bestimmt. Er wird dich für verrückt halten. – Aber irgendwem muss ich es doch erzählen.‘

      „Ach, ich schau mal!“, sagte sie sich laut und verließ das Haus. Es war in der Tat ein schöner Tag. Die Sonne schien schon ziemlich warm und nur ein paar harmlose Schleierwolken zogen über den Himmel. Die Vögel zwitscherten und es duftete nach frischem Gras und fruchtbarer Erde. Es war zweifelsohne ein Segen, dass ihr Haus so nah am Wald lag. Noromadi blickte sehnsuchtsvoll zur kleinen Allee, die in das grüne Reich führte. Schon als Kind hatte es sie in den Wald gezogen. Er gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, das sie sonst vermisste.

      „Nein, jetzt nicht!“, ermahnte sie sich. Sie drehte dem Wald den Rücken zu und stapfte entschlossenen Schrittes zu der einzigen Haltestelle des kleinen Ortes. Der Bus kam pünktlich und sie stieg ein. Im Inneren war es heiß und stickig, zum Glück fuhren nur wenige Fahrgäste mit, dicht gedrängte Menschenmassen machten ihr Angst. Nach einigen Minuten stieg sie erleichtert aus und sog tief die frische Luft ein.

      ‚Nicht so rein wie bei uns draußen, aber für eine Stadt ganz in Ordnung‘, dachte sie, während sie dem Café entgegenhastete. Sie fühlte sich schon viel ruhiger, doch sobald sie an das Ereignis dachte, das sie seit Tagen beschäftigte, überfielen sie sofort heftige Emotionen und Zweifel nagten in ihr. Sie spürte mehr denn je den Druck, diese Gefühle mit jemandem zu teilen. Von Weitem schon sah sie Martin an einem Tisch vor dem Café sitzen und Cappuccino schlürfen. Als sie auf ihn zukam, erhob er sich von seinem Stuhl, umarmte sie herzlich und gab ihr einen kurzen Kuss auf den Mund.

      „Da bist du ja!“, sagte er erfreut. „Ich dachte schon, du bist unterwegs verschollen!“ Dann sah er ihr in die Augen und stutzte. „Was ist? Hast du geweint?“ Noromadi betrachtete gedankenverloren das bunte Wechselspiel seiner Aura – Farben, die nur sie sah. „Noromadi, ich rede mit dir, was ist los?“ Martin rüttelte sie leicht, sie schrak aus ihren Gedanken und sah ihn mit großen Augen an. „Ich hab doch schon am Telefon gemerkt, dass etwas nicht mit dir stimmt. Was ist passiert?“

      „Ich … ich …“, stammelte sie und schon rannen ihr wieder Tränen über die Wangen, „ich muss dir was erzählen.“ Sie bestellte sich einen Kaffee und trank in kleinen hastigen Schlucken, derweil Martin gespannt wartete. Sie war hin und her gerissen, sollte sie es ihm sagen oder nicht? Doch nun konnte sie nicht mehr zurück. Sie atmete tief ein und begann:

      „Ehrlich gesagt, habe ich ein wenig Angst, es dir zu erzählen.“

      „Aber warum?“, fragte der junge Mann perplex.

      „Weil du mich dann sicher für verrückt hältst.“ Martins Augen verengten sich, ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn. Irgendetwas war an dieser Frau, das er nicht verstand. Etwas Unheimliches ging von ihr aus. Trotzdem, es konnte doch unmöglich etwas geben, was sie ihm aus Angst verheimlichte. War es ein anderer Mann?

      „Nein, nein, kein anderer Mann“, sagte sie und rieb sich zerstreut die Schläfen. Martin erschrak. Hatte sie etwa seine Gedanken gelesen?

      „Was ist es dann?“, fragte er unsicher. Noromadi seufzte.

      „Bitte, halte mich nicht für verrückt, und … erzähl es niemandem, ja?“ Sie sah ihn eindringlich an. „Versprich es mir!“

      „Ja, ja, okay, ich verspreche es“, antwortete Martin unsicher und neugierig zugleich.

      „Wahrscheinlich hast du in deinen Naturwissenschaften schon herausgefunden, dass es Dinge gibt, die man nicht erklären kann, zumindest nicht mit dem logischen Verstand.“ Martin fürchtete, dass dieses Gespräch wieder auf ihre Halluzinationen abzielte und wollte schon aufspringen, aber er hielt sich zurück, er wollte ihre Geschichte

Скачать книгу