Eine verborgene Welt. Alina Tamasan
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Читать онлайн книгу Eine verborgene Welt - Alina Tamasan страница 22
„Was hast du im Wald erlebt?“, fragte Martin mit einer Mischung aus Neugier und Mitleid. Noromadi sah auf, sie gewahrte seine Skepsis.
„Bitte, Martin, so glaube mir doch!“, flehte sie. „Ich habe Kontakt zu sehr hellen Lichtwesen. Sie bestehen aus buntem Licht und ich … ich nenne sie Engel, weil sie sehr freundlich sind und mir wertvolle Ratschläge erteilen.“ Ihr Freund runzelte die Stirn. „Normalerweise höre ich ihre Stimmen in meinem Kopf und nehme sie als innere Bilder wahr. Aber als ich neulich im Wald war, da ist mir ein solches Wesen erschienen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich es leibhaftig vor mir gesehen und nicht nur im Kopf. Du hättest das sehen sollen: diese Farben, dieses Licht und diese unglaublich warme und volltönende Stimme. In dem Moment fühlte ich mich wie im Himmel – sicher und geborgen. Das Wesen stellte sich vor und erzählte mir die unglaublichste Geschichte meines Lebens!“
„Wie lange geht das schon, dass du so was siehst?“ Martin vermied es geflissentlich, das Wort wieder zu benutzen.
„Ah, schon lange“, Noromadi machte eine wegwerfende Handbewegung, „ich wollte es eigentlich niemandem erzählen, aber es war so schön, zu schön, um es für mich zu behalten. Und außerdem … na ja, es ist ja nicht nur das, vor allem ist es die Geschichte, die mir der Engel erzählte. Seitdem ich die kenne, war ich nicht mehr im Wald!“
„Was für eine Geschichte war das denn?“
„Er erzählte mir vom Weltenbruch. Er sagte, früher hätte es eine Welt gegeben, in der jeder Jeden sehen konnte. Da sahen wir Menschen die Lichtwesen und Wesen der Natur. Und dann, sagte er, wäre die Welt wie ein Kuchen in drei Teile zerborsten, und deshalb gäbe es nun drei voneinander getrennte Welten: die der Menschen, die der Naturwesen und die geistige Welt der Lichtwesen. Wir Menschen hätten mit der Zeit vergessen, dass es die Welten der anderen gibt, deswegen sähen wir sie nicht mehr. Damit gehe es uns nicht gut, und auch die Naturwesen litten darunter, dass sie den Kontakt zu den Lichtwesen und uns verloren haben. Das alles bekommt natürlich auch der Erde nicht, denn alles, was eigentlich zusammengehört, ist entzweigebrochen. Dann erzählte mir der Engel von einer Prophezeiung. Nämlich, dass eines Tages ein Mischwesen erscheine, das zum Einen aus dem Naturvolk und zum Anderen aus dem Volk der Menschen stamme, und das diese Welten vereine. Dabei sah er mich ganz eindringlich an, weißt du? Ganz so, als sollte ich das sein! Ich zitterte am ganzen Körper. Aber er strich mir durchs Haar und sagte: ‚Es ist ganz wichtig, dass du dich nicht fürchtest, mein Kind.‘“ Noromadi wollte fortfahren und erklären, was der Engel ihr von diesem fremden Volk geweissagt hatte, aber sie schluckte die Worte hinunter, Martins Aura gefiel ihr gar nicht.
„Du glaubst also, du bist diese Auserwählte?“, er sah sie skeptisch an.
„Ich … ich“, stammelte sie, „ich weiß es nicht. Ich meine, es ist etwas Spezielles, solche Dinge zu sehen, und es ist umso unheimlicher, auf einmal da mit hineingezogen zu werden. Ich weiß es nicht … Sieh mich doch mal an, Martin, und dann sieh dich an. Ich bin dir nicht geheuer, zu Recht, denn ich bin nicht von dieser Welt.“ Sie schluchzte und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Die Leute an den Nachbartischen starrten herüber, das war dem jungen Mann sichtlich unangenehm.
„Na, komm schon“, flüsterte er, „hör auf zu weinen.“
„Ach“, schluchzte sie, „vielleicht hast du recht, vielleicht ist dieser ganze Kram der reinste Psycho-Unsinn. Am liebsten würde ich alles stehen und liegen lassen und mich verkrümeln. Irgendetwas fände sich schon …“
„Für was?“, bohrte Martin nach. „Sag nicht, du möchtest dich mal wieder umbringen!“, setzte er mit einem leisen Anflug von Panik hinzu. „Hat dir das eine Mal nicht gereicht? Musst du wieder damit anfangen? Warum, in Herrgottsnamen, beschäftigst du dich nicht wie andere Frauen mit normalen Dingen, Partys, Kino und was weiß ich alles?!“
„Ich kann doch nichts dafür!“, schluchzte Noromadi hilflos. „Ich will das doch gar nicht. Ich will normal sein, so wie du und die anderen Frauen, wie meine Eltern und wie alle Menschen.“
„Gut!“ Martin beruhigte sich und legte seinen Arm um sie. „Versprich mir, dass du nie wieder an solchen Unsinn denkst, hast du verstanden?“ Er sah sie eindringlich an. „Ich liebe dich, hörst du? Und ich will dich nicht an irgendwelche Psychoklempner verlieren, die dich wegsperren und mit Medikamenten vollpumpen, bis du nur noch ein Schatten deiner Selbst bist!“
„Du erzählst es niemandem, ja? Versprich es mir!“
„Okay, okay, ich verspreche es! Und nun wisch dir die Tränen aus dem Gesicht und setz dich wieder gerade hin, wir werden hier noch zum Gespött der Leute. Du trinkst jetzt deinen Kaffee aus, gehst nach Hause und legst dich etwas schlafen. Hast du verstanden?“ Noromadi nickte ergeben. Insgeheim fühlte sie sich jedoch wie ein kleines Kind zurechtgewiesen und verraten. Nicht nur, dass er sie nicht ernst nahm, er hielt sie wirklich für verrückt. – War sie es? Wut keimte in ihr auf, aber sie sagte nichts, sondern tat, wie ihr geheißen. Bei der Verabschiedung umarmte sie ihn matt, sein Kuss fühlte sich kalt und herzlos an.
Auf dem Weg zur Haltestelle fragte sie sich, ob Martin wirklich der Richtige für sie war. Bisher hatte sie ihn immer als eine Art „Realitätsanker“ gesehen, der sie am Boden der Tatsachen hielt und ihr aufzeigte, wie „Normal-Sein“ funktionierte. Natürlich wollte sie normal sein, aber es ließ sich immer weniger leugnen, dass sie es nun einmal nicht war.
‚Er braucht eine Frau, die so ist wie er. Eine, für die nur der Verstand zählt, eine strebsame junge Naturwissenschaftlerin aus gutem Hause, die Manieren hat und weiß, was sich gehört. Mit ihr kann er sich dann über die logischen Zusammenhänge der Welt unterhalten und eineinhalb Kinder zeugen.‘ Noromadi schüttelte den Kopf. ‚Sei nicht so gehässig‘, fuhr sie sich an. ‚Hättest du dir einen Typen geangelt, der so ist wie du, meine Güte, dann wärt ihr beide irgendwo im rosafarbenen Nirwana verschwunden. Also sei froh, dass du Martin hast!‘ – Sie seufzte und stieg in den Bus. Als sie zu Hause ankam, war sie froh darüber, dass ihre Eltern noch nicht da waren. Sie ging auf ihr Zimmer und legte sich ins Bett. ‚Ich muss aufhören zu denken‘, dachte sie, ehe sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Doktor August betreute Noromadi seit sie vor gut drei Jahren aus der geschlossenen Anstalt entlassen worden war und sie besuchte seine Sprechstunde wöchentlich. Die vielen Sitzungen hatten zu dem gewünschten Ergebnis geführt. Mit Stolz blickte der Psychiater auf seine Patientin, die nach dem gelungenen Schulabschluss nun aufs Studium wartete. Sie mochte zwar nicht überragend gescheit sein, aber sie hatte sich durchgebissen und war zu einer durch und durch integrierten jungen Frau geworden. Was ihm ihre Eltern kürzlich über sie berichtet hatten, konnte daher kaum möglich sein. Als Freund der Familie lag ihm das Schicksal des Mädchens sehr am Herzen.
Als Noromadi den Raum betrat, bemühte er sich, seine innere Erregung nicht anmerken zu lassen. Er erwiderte ihren Gruß und bat sie, Platz zu nehmen.
‚Irgendetwas ist heute anders‘, schoss es Noromadi durch den Kopf. ‚Seine Aura flackert so merkwürdig und ist von tiefem Blau.‘
„Womit wollen wir beginnen?“, eröffnete sie die Sitzung. Dr. August rieb sich nervös die dünnen Hände und räusperte sich umständlich.
„Was für eine Farbe hat meine Aura?“ Die junge Frau zuckte überrascht zusammen, ihr Kinn klappte auf und wieder zu.
„Wie bitte?“, fragte sie unsicher.
„Meine Aura, Noromadi, welche