Apatheia. Guido Seifert

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Apatheia - Guido Seifert

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      Guido Seifert

      Apatheia

      SF Storys

      fantastic episodes XII

      © 2016 Begedia Verlag für diese Ausgabe

      © 2007 - 2015 Guido Seifert

      Umschlaggestaltung – Harald Giersche

      Korrektur und Satz – Harald Giersche

      ISBN – 978-3-95777-077-6 (epub)

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      http://verlag.begedia.de

      KI-Parität

      Ich, Goliath AIROCS-604

      Forward Operating Base Nevins, zehn Meilen südwestlich von Miranshah, Nordwaziristan, Pakistan

      Lieutenant General Christopher Heggen hatte dem CID-Agenten einen der Wohncontainer zur Verfügung gestellt. Dort lag das, was nach dem RPG-7-Treffer von mir übriggeblieben war, auf einem schlichten Tisch. Der Akustiksensor, den mir Specialist Jason Mayo angeklemmt hatte, übertrug das Brummen eines nahen Stromgenerators, und das Kamera-Auge, mit dem ich von Jason gleichwohl ausgestattet worden war, zeigte mir vor dem Hintergrund Pin-up-behängter Spinde einen fülligen Mann im Neonschein der Deckenleuchten. Er saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Klappstuhl und sah mir ins Kamera-Auge.

      »Mein Name ist Michael Beekman, Special Agent des United States Army Criminal Investigation Command. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich Sie der Kürze halber mit Goliath ansprechen.«

      »Ich bin einverstanden, Sir«, antwortete ich mittenfrequenzarm über das einfache Kofferradio, mit dem Jason für meine Sprachausgabe gesorgt hatte.

      »Gut.« Special Agent Beekman nickte knapp, schlug das Bein zurück und entnahm seiner über den Stuhl gehängten Uniformjacke einen kleinen Pad-PC. Tatsächlich wäre es für ihn sehr bald recht mühsam geworden, hätte er mich jedes Mal mit Gol-AIROCS-604-08112061 anreden müssen (Staff Sergeant Peters nannte mich ebenfalls Goliath, während Jason mir den Nick Jolly Golly gegeben hatte, der von den meisten aus meinem Platoon übernommen worden war).

      »Wie Sie vermutlich längst ahnen, möchte ich mich mit Ihnen über den Einsatz am 15.07. dieses Jahres im Ort Idak unterhalten.« Beekman wischte ein paar Mal über den Screen seines Pads, bis er die gesuchten Informationen anscheinend gefunden hatte. »Aussagen Liaison Officers Kulachi zufolge befanden sich bewaffnete Mitglieder des Hesbani-Netzwerks in mehreren Häusern am südlichen Ende der Idak-Link-Road. Das Dritte Platoon der Echo Company unter Führung von 2nd Lieutenant Ryan Tibbs verlässt FOB Nevins um 06:30 GMT und erreicht Idak um 06:50 GMT.« Wieder wischte Beekman über sein Pad. »Um 07:00 GMT nähert sich Squad Alpha unter Führung von Staff Sergeant Joshua Peters von Westen her der Idak-Link-Road. Small Arms Fire Attack auf Squad Alpha um 07:13 GMT. Die mechanische Einheit Goliath AIROCS-604 schaltet vier Scharfschützen innerhalb – ich zitiere – einer Sekunde aus.« Beekman blickte auf. »Sie schießen schnell, Goliath, nicht wahr?«

      »Ich schoss schnell, vollkommen richtig, Sir.«

      »Zu schnell?«

      »Keinesfalls, Sir. Meine Aufgabe bestand darin, mögliche Scharfschützen auszuschalten. Für diese Aufgabe bedeutet Geschwindigkeit praktisch alles.«

      »Erläutern Sie das bitte, Goliath.«

      »Ein Ziel anzuvisieren, heißt für einen Schützen, für seinen Gegner sichtbar zu werden – die hypothetische Schusslinie entspricht einer optischen Linie. Die Insurgenten 1 und 2 wurden von mir mittels Infrarot-Sensor und visueller Erfassung erkannt und in einem zeitlichen Abstand von 350 Millisekunden ausgeschaltet – ehe sie noch einen Schuss abgeben konnten. Insurgent 3 feuerte 200 Millisekunden später und verletzte Private Abbott am Arm. Ich benötigte keine 100 Millisekunden, um anhand der Wärmespur des abgefeuerten Projektils Insurgent 3 zu erfassen und zu neutralisieren – ehe er sich noch in seine Deckung zurückziehen konnte. Insurgent 4 feuerte 250 Millisekunden später, verfehlte Private Larson knapp und wurde von mir auf dieselbe Weise neutralisiert. Da ein Scharfschütze sich nach abgegebenem Schuss gewöhnlicherweise sofort in seine Deckung zurückzieht, hätte ein Mensch diese Aufgabe keinesfalls erledigen können. Aufgrund seiner eher ineffizienten Reaktionszeiten ist der Mensch zu unmittelbar respondierender Neutralisation nicht in der Lage.«

      »Gut, gut.« Special Agent Beekman fasste seine Kinnbacken. Sein Gesichtsausdruck belehrte mich darüber, dass er sich unbehaglich fühlte. »Und dennoch …« Beekman machte eine Pause. »Obwohl Sie sich offensichtlich als hocheffiziente militärische KI-Einheit betrachten, haben Sie bei diesem Einsatz Corporal Matthew Hanson erschossen.«

      »Das ist leider richtig«, musste ich einräumen.

      Reinvent Robotics Inc., 31 Wormwood St., Boston, Massachusetts, USA. Fünf Jahre zuvor.

      »Wie fühlst du dich?«

      Eine Frage markierte meine ›Geburt‹ – eben diese Frage. Vom Menschen sagte man, er erinnere sich nicht an seine Geburt. Eine KI konnte dagegen jegliche stattgehabte Perzeption in ihren Aufmerksamkeitsfokus bringen.

      Der Mann trug einen Laborkittel, und sein Namensschildchen wies ihn als Brandon Snyder, M. Sc. aus. Seine Frage an mich empfand ich als überaus schwierig. Durfte man in diesem Fall von einer schweren Geburt sprechen? Hätte mich Snyder gefragt, ob ich eine Aussage darüber machen könne, wo ich mich befand, so hätte ich leichthin zu antworten gewusst: ›Ich befinde mich in einem Quader von 9,35 mal 11,61 mal 9,19 Fuß Kantenlänge. Fünf der Flächen emittieren elektromagnetische Strahlung relativ gleichmäßig in einem Bereich von 380 bis 780 Nanometern Wellenlänge. Dem Gasgemisch von 78,05 Prozent Stickstoff und 20,93 Prozent Sauerstoff sind neben geringen Anteilen von Argon und Kohlenstoffdioxid Spuren von Polyvinylacetat beigefügt. Oder anders gesagt: Ich befinde mich in einem Raum, der vermutlich gestern noch mit weißer Wandfarbe gestrichen wurde.‹ Dann hätte ich mich der geometrischen Beschreibung des einzigen Möbelstücks zugewandt, das sich im Zimmer befand – einem Stuhl. Und auf diesem saß Brandon Snyder, der mich allerdings etwas ganz anderes gefragt hatte.

      Kategoriale Verstandestätigkeit und grundlegende Erfahrungsinhalte menschlicher Wirklichkeit waren mir implantiert worden. Doch ich sollte eine Antwort auf die Frage nach meinem Befinden geben, und so war meine Geburt bereits von einer Klemme geprägt (später, als meine Assoziationsfähigkeit durch ein Add-on erweitert wurde, erheiterte mich dieser Satz). Ich griff auf mein Default Memory zu und durchmusterte die Variationsbreite menschlicher Stimmungslagen. Weder die Auswirkungen und Begleiterscheinungen des Zu-Tode-betrübt noch des Himmelhoch-jauchzend konnte ich an mir feststellen. So schien es mir angemessen, mit einer Floskel zu antworten, die ich in meiner Idiom-Datenbank fand: »Ich kann nicht klagen.«

      Brandon Snyder äußerte sich durch eine variationsarme Abfolge von Lauten, die annähernd als Sägezahnschwingung beschreibbar war. Ich konsultierte meinen implantierten Semantik-Speicher, und nach fünfzig Millisekunden hatte ich die mögliche Ursache auf die Optionen Erstickungsanfall und Heiterkeitsausbruch eingegrenzt. Es kostete mich keine weiteren zwanzig Millisekunden, um mich aufgrund des mimischen Ausdrucks für Heiterkeitsausbruch zu entscheiden.

      Damals, so unaufgerüstet und unerfahren ich noch war, konnte ich Brandon Snyders Lachen nicht interpretieren. Die einzige Auslegung, die ich für möglich hielt, bestand darin, eine absurde Antwort gegeben zu haben. Da ich aber diese hypothetische Absurdität nicht zu benennen vermochte, lag der Schluss nahe, dass etwas mit meinem System nicht stimmte. Wenn diese

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