Ich kann mir die Arbeit nicht leisten. Rainer Voigt
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9. Die nächste Etappe
Durch die Zeitarbeitsfirma in Teuma wurde er an eine Elektrofirma vermietet, die in der ehemaligen EHfL, jetzt Kunstakademie, umfangreiche Installationsarbeiten zu bewältigen hatte. Pünktlich traf er früh an der mit dem nächsten Arbeitgeber vereinbarten Stelle einen Monteur, der fast gleichaltrig wie Frank-Peter war. Thilo Eckert ließ sich vom Firmenfahrzeug bringen, das aber gleich darauf zur nächsten Baustelle fuhr. Thilo Eckert war sympathisch und erklärte genau, was zu tun sei. Die Arbeit war angenehm, erforderte Genauigkeit und branchenübergreifende Kenntnisse. So musste Frank-Peter als erstes einen Anschlussschutzkasten einbetonieren. Anschließend wurden Funktionskontrollen an Seilzuganlagen für Lampen in einer riesigen Halle, der Soltauhalle, durchgeführt. Die Halle war komplett eingerüstet, Thilo war auf der Rüstung in einer eingezogenen Arbeitsebene unter der Decke und Frank-Peter unten an einem dicken Strang Kabel. Man rief sich die zu prüfenden Kabelnummern zu. Nicht immer erfolgreich bei den Geräuschen der anderen Gewerke, wie etwa die zwei Meter nebenan arbeitende Mischmaschine. In diesem Augenblick kam der Chef und holte, als er das sah, aus dem Auto zwei Handfunkgeräte. Eine wesentliche Arbeitserleichterung. Das erste Mal seit Wochen war pünktlich Feierabend. Auch der folgende Tag war angenehm. Obwohl bei der Wärme wieder Kabel gezogen wurden, war das Arbeitsklima nicht von der Hektik geprägt, die Frank-Peter auf anderen Baustellen stets kennen gelernt hatte. Thilo Eckert erzählte seine Lebensgeschichte. Sein Sohn, jetzt 33, sei schon mit 18 aus dem Haus gegangen. Er hatte wie er Elektriker gelernt und ging danach zur Bundeswehr, wo er jetzt noch beschäftigt ist. Einzig die verschiedenen Standorte mit den langen Heimfahrten am Wochenende zu Frau und Kind waren ein Problem. Sein Sohn wohnte im Nachbarhaus von Thilo Eckert, der seit sieben Monaten stolzer Opa war. Thilo Eckert war früher Elektriker in der Landwirtschaft. Er hatte Berufsausbildung mit Abitur gemacht, wollte auch studieren, war aber nach dem Militärdienst der Meinung, dass er zu lange aus dem Lernbetrieb heraus war. Dafür baute er sich ein Häuschen auf Bodenreformland. „Und war der frühere Eigentümer da und wollte das Land wieder haben?“, fragte Frank-Peter. „Natürlich, aber an das bereits vergebene Bodenreformland kam der nicht mehr ran, nur an das, was noch im Besitz der Kommune war“. Thilo Eckert erzählte von seinem früheren Arbeitgeber, der einmal in Konkurs gegangen war. Die Beschäftigten hatten davon nur wenig mitbekommen. Das Verfahren wurde mangels Masse eingestellt, die Frau übernahm die Firma. Nach sieben Jahren setzte sie die Firma auch in den Sand und der alte Firmeninhaber war danach wieder der Chef. Auch hier sollte das Verfahren mangels Masse eingestellt werden. Einer der kleinen Chefs einer geprellten Firma, die ihre Außenstände nun unwiderruflich den Bach herunter gehen sah, hatte einen Schwager bei einer Bank. Dieser fand heraus, dass sein Chef noch über ein weiteres Konto mit 80.000 Euro verfügte, genau dem Zahlungseingang der letzten Baustelle. Dieses machte der kleine Chef bei Gericht geltend. Das Konto wurde nun in die Konkursmasse einbezogen und es kam nicht zu einer Einstellung mangels Masse. Hier zeigt sich grenzenlose Raffgier. Wie die Arbeitnehmer oder die geprellten Lieferanten abschneiden, interessiert herzlich wenig. Oder sollte man das „herzlich“ in diesem Zusammenhang verbieten?
Abends fuhr Frank-Peter noch in den Garten, die Pflanzen brauchten dringend Wasser, vor allem diejenigen, die in Kübeln standen. Hier kam er ins Gespräch mit der Tochter seines Gartennachbarn Ulrike. Sie ist Kontrolleurin bei den Leipziger Verkehrsbetrieben.
„Ich denke, die Kontrolleure sind von einer Fremdfirma?“, fragte Frank-Peter. „Ja, aber diese ist eine 100-prozentige Tochter der Verkehrsbetriebe“. Frank-Peter erfuhr, dass mit der Ausgliederung der Kontrolleure in eine Tochtergesellschaft 1997 der Lohn um 300 Euro verringert wurde. Urlaubsgeld wurde gestrichen und das Weihnachtsgeld wurde in 1/12-Teilen jeden Monat gezahlt, aber nur, wenn man nicht krank ist. Als erstes nach diesem Lohneinschnitt musste sie ihr Auto verkaufen. Zum Glück bekamen sie im Jahr 2000 einen Haustarifvertrag. Die neuen Kollegen erhalten 800,- Euro im Monat, sie gerade einmal 100 Euro mehr, aber das seit dem Jahr 2000. Jede Lohnerhöhung der „neuen“ Kollegen wird aufgrund des Haustarifes bei ihr nur umgerechnet.
„Seit nunmehr 10 Jahren mit dem gleichen Einkommen, aber alles herum wird ständig teurer!“, schimpfte sie. „Ich weiß nicht, wie lange sich die Leute das noch gefallen lassen!“
„Noch lange“, sprach Frank-Peter, „noch lange. Für eine Solidarisierung untereinander geht es den Leuten ja noch zu gut“.
„Und dann wissen sie nicht, was sie machen sollen“, ergänzte die Frau, die die 50 schon ein Weilchen erreicht hatte.
Am Donnerstag kam der Chef auf die Baustelle. Er war mit dem Fortgang der Arbeiten sehr zufrieden, obwohl Frank-Peter andere Tempos gewohnt war. Hier war auch nicht jeder Handgriff planbar und die benötigte Zeit mit anderen Leistungen nicht vergleichbar. Er sprach Frank-Peter gleich mit „du“ an und verkündete: „Also, du wirst mindestens vierzehn Tage hier gebraucht.“ Beim Frühstück holte Thilo Eckert einen Brief aus der Tasche. „Mein Lohnzettel“, verkündete er. „Du hast doch bestimmt einen zweistelligen Stundenlohn?“, fragte Frank-Peter. „Bei meinem vorherigen Arbeitgeber hatte ich 8,40 Euro, jetzt habe ich 8,20 Euro“, berichtete Thilo Eckert und zeigte Frank-Peter seine Lohnbescheinigung. Auszuzahlender Betrag 1044 Euro, konnte Frank-Peter lesen. „Ist es nicht komisch, dass die Elektriker auf den Baustellen den niedrigsten Lohn haben, aber die fundierteste Ausbildung nachweisen müssen?“, begann Thilo Eckert. „Jeder Trockenbauer, der in vierzehn Tagen angelernt wird, bekommt mehr!“ Thilo Eckert kannte unendlich viele Witze. Damit lag er mit Frank-Peter gleichauf und die Arbeit verging wie im Fluge, auch wenn das schwül warme Wetter die ganze Woche körperlich von ihnen viel abverlangte. Selbst Freitagmittag war es noch 35° C und die Luft im großen Hörsaal, wo die Kabel gezogen wurden, stickig. Jedes einzelne Kabelpaar, das gezogen werden musste, war eher eine leichte Aufgabe. Nachdem aber pro Tag zwei Kilometer Leitung gezogen worden waren, merkte man jeden daran beteiligten Muskel. Bis Dienstag zog Frank-Peter mit seinem Kollegen acht Kilometer Datenleitung im großen Hörsaal, wobei Frank-Peter die Position auf dem Gerüst bekam. Diese acht Kilometer wurden zwar von zwei Kabeltrommeln abgespult, aber Frank-Peter musste wie bei Klimmzügen auf dem Gerüst jeden Meter Stück für Stück von den Trommeln ziehen.
Ein Bündel Datenkabel bei der Verlegung
Der große Hörsaal mit dem Raumgerüst. Oben links sind die Datenkabel erkennbar.
Eines Tages kam der Elektroplaner in den Hörsaal. Das war gut, denn es gab einige Detailfragen zu klären. Nebenbei bemerkte Frank-Peter: „Das ist ja eine riesige Baustelle. Gibt es auch schon einen Fertigstellungstermin?“ Der Ingenieur winkte ab. „In der Tat, die Baustelle ist gewaltig. Aber wir bauen nicht nach Termin, sondern nach Finanzen. Immer wenn Geld da ist, wird gebaut. Und gegenwärtig gibt es wieder Fördermittel!“ Dieses bauen nach dem Geldbeutel ist eine riesige Geldvernichtungsmaschine. Allein im großen Hörsaal ist ein Raumgerüst seit März aufgebaut. Betrachtet man nur die Mietkosten dieses Gerüsts, von den anderen Baustelleneinrichtungen ganz zu schweigen, ist schnell klar, dass es hier eine Menge Leute geben muss, die sich eine goldene Nase verdienen.
Am Mittwoch wollte Frank-Peter seine Stundezettel vorbereiten. Er hatte eine Folientasche, in der neben einem Block ein Notizbuch und die Stundezettel verstaut waren. Der Schreck war groß, als Frank-Peter erkennen musste, dass die vermeintliche Reserve an Formularen nach Entnahme der vergangenen Woche nur der leere Block war. „Scheiße“, entfuhr es ihm. Die Stundenzettel als Formulare für den Tätigkeitsnachweis