Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn
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„Was meinte der Oberarzt vorhin, als er sagte: „Immer wenn ich eine Nonne im Auto habe, geschieht etwas?“, wollte Melissa wissen. „Ich habe das so im Halbschlaf mitbekommen.“
„Als er mich hierher fuhr, landeten wir während eines schweren Gewitters in einem Schlammloch und zwar so, dass sein Auto nur noch Schrottwert hatte“, erklärte Christin lachend.
Gordon ging doch noch in die Küche hinunter zu dem Hausmeisterehepaar.
„Was möchtest du essen?“, ermunterte ihn Doreen.
„Ein Apfel genügt mir“, antwortete er und nahm sich einen vom Obstteller.
„Du bringst uns lauter hübsche Mädchen ins Haus“, sprach ihn Richard an. „Nur dumm, dass alle Ordensschwestern sind.“
„Ich glaube kaum, dass sich das als ein großes Problem herausstellt, wenn sie mal angebissen haben“, erwiderte Gordon und versenkte seine Zähne herzhaft im Apfel.
„Deine Tante wird nicht so sonderlich begeistert sein, wenn du ihr die besten Schwestern wegnimmst. Am Ende entlässt sie dich wieder“, gab der Hausmeister zu bedenken.
„Ich will nicht alle, Richard. Eine genügt mir voll und ganz. Vor allem, wenn es die richtige ist“, antwortete er.
„Und welche von den beiden ist es? Die weiße oder die hellbraune?“, erkundigte sich der Hausmeister neugierig.
„Die Hellbraune“, ließ Gordon ihn uneingeschränkt wissen.
„Hab ich es mir doch gedacht. Wer nichts essen kann, der ist verliebt“, bestätigte Richard und lachte in sich hinein. „Na, dann halt dich mal ran, Junge. Du bist schließlich schon dreiunddreißig Jahre alt und eine Nonne aus ihrem Kloster loszueisen wird bestimmt nicht so einfach sein“, lachend klopfte er Gordon auf die Schulter. „Nicht, dass du dann schon graue Haare hast, bis es dir gelungen ist, sie davon zu überzeugen, dass ein Liebesleben besser ist als das Klosterleben.“
Das Hausmeisterehepaar und Brandons Freund kannten sich bereits seit vielen Jahren. Schon als Kinder spielten sie bei ihnen in der Küche. Gordon war ein gerngesehener Gast. Er gab sich zu jeder Zeit rücksichtsvoll und wohlerzogen, wurde nie ausfällig oder hinterhältig. Außerdem war er sehr hilfsbereit.
Er wünschte allen eine Gute Nacht und begab sich nach oben in sein Bett. Doreen dachte ihm das Nebenzimmer von Melissa zu, das ebenfalls mit einer Verbindungstür ausgestattet war. Er fühlte sich nach der Aufregung heute am Tag todmüde und schlief auch sofort ein.
Doch nach einer halben Stunde wurde er von Melissas unruhigem Schlaf geweckt. Ihre Schreie drangen zu ihm, da die Türe offen stand. Leise schlich er sich in den angrenzenden Raum und machte das Nachtlicht an.. Sie musste wohl einen Alptraum haben, weil sie so wild um sich schlug. Er beugte sich über sie und bekam prompt eine Ohrfeige ab. „Au!“, rief er und schüttelte seinen Kopf, während er ihre Hände einfing. Leise redete er sie an. „Melissa, Melissa, wach auf. Du hast einen Alptraum. Sei still, du weckst ja das ganze Haus auf.“
Sie schlug die Augen auf und ließ ihre Hände fallen. Mit einem Mal flossen die Tränen.
„Dieser Traum kommt immer wieder. Ich habe ihn heute wohl schon zum vierten Mal geträumt. Die Hornissen greifen mich pausenlos an. Ich höre sogar ihr Brummen“, erklärte sie ihm völlig aufgelöst. „Sag, habe ich dich vorhin etwa geschlagen?“, wollte sie wissen und blickte ihn mit großen erschrockenen Augen an.
„Das war nicht schlimm. Wie du siehst, sitzt mein Kopf noch auf den Schultern“, scherzte er. „Soll ich bei dir bleiben?“, begann er vorsichtig.
„Ja, bitte, bleib bei mir“, schluchzte sie. „Und wenn ich dich wieder schlage?“, warnte sie ihn.
„Dann werfe ich dich aus dem Bett!“, drohte er ihr.
Rasch schlüpfte er unter die Decke des linken freien Bettes. Er nahm ihre Hände in die seinen und wartete, bis sie sich beruhigt hatte. Mit der Zeit verebbten die Tränen und sie hörte auf zu schluchzen. Sie fühlte die Wärme seiner Hände und seines Körpers. Vorsichtig zog er sie in seine Arme. Sie hörte sein Herz im gleichmäßigen Takt schlagen und legte ihren Kopf vertrauensvoll an seine Schulter. Mit einem Handgriff machte er das Nachtlicht aus. So schliefen sie beide ein. In dieser Nacht kehrte kein Alptraum mehr zurück. Sie fühlte sich bei ihrem Lebensretter vollkommen sicher und geborgen.
Am nächsten Morgen, als sich alle am Frühstückstisch versammelt hatten, schlug Gordon vor: „Ich bleibe heute bis Mittag bei Brandon, damit Christin auch ein paar Stunden für Melissa Zeit hat.“ Er wandte sich an die Ordensschwester. „Geht es dir auch wirklich wieder gut, Melissa?“ In diesem Moment achtete er gar nicht auf die Anrede „Schwester.“
„Mir geht es sehr gut“, antwortete sie lachend und ihre Augen glänzten, als sie ihn ansah.
Christin versorgte zuerst ihren Patienten und brachte ihm sein Frühstück. Während sie ihm beim Essen half, blinzelte er sie von der Seite her an. „Wo kommen denn plötzlich all die Klosterschwestern her? Ist hier irgendwo ein Nest?“, erkundigte er sich.
„Ja, im Heilig Geist Kloster. Dort finden Sie mindestens noch weitere zweihundert ihrer Art“, antwortete die Pflegerin.
„Zweihundert? Was tun die alle dort?“, wunderte er sich.
„Sie arbeiten und beten“, klärte ihn Christin auf. „Sie betätigen sich im Krankenhaus, in der Kinderklinik, in der Apotheke, im Waisenhaus, in der Küche, in der Wäscherei und sie pflegen die alten Menschen.“
„Ich habe mir noch nie um dieses Kloster Gedanken gemacht. Sind dort alle Schwestern so jung und hübsch wie Sie?“, musste er unbedingt erfahren.
Christin musste schlucken. Ein Kompliment von ihm? wunderte sie sich. „Nein, wir sind ein gemischter Haufen von Ordensschwestern von achtzehn bis siebzig Jahren, wobei letztere nicht mehr zum Dienst eingeteilt werden“, teilte sie ihm mit.
„Die bringen Sie aber bitte nicht alle hierher“, forderte er.
„Nein, natürlich nicht. Ich werde nur Melissa ab und zu treffen. Sie ist meine beste Freundin, seit ich geboren wurde“, ließ sie ihn wissen.
Erschöpft schloss er die Augen. Damit beendete er sein Frühstück.
Ich weiß jetzt, dass nicht alle so jung und so wunderschön sind in diesem Kloster. Aber ich habe die hübscheste und intelligenteste Pflegerin des Vereins bekommen, überlegte er lächelnd.
Kurz danach lenkte Christin ihre Schritte mit der Freundin in den Park der Stonewalls. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel und der Wind spielte leicht in den Zweigen der Weiden und Trauerbirken. Tulpen und Narzissen blühten überall und verteilten verschwenderisch ihren Duft.
„Wie geht es voran bei dir?“, erkundigte sich Melissa.
„Noch nicht so recht. Die letzte Chemotherapie