Schwarze Krähen - Boten des Todes. Carolina Dorn
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„Meinst du, er schafft es?“, wollte die Freundin wissen.
„Ich hoffe es zumindest. Meine letzten beiden Patienten sind gestorben. Ich möchte auch wieder einmal ein Erfolgserlebnis verbuchen. Ich tue was ich kann, damit er überlebt“, erklärte sie. „Er hat allerdings eine äußerst aggressive Leukämie, der man mit den herkömmlichen Medikamenten schlecht beikommt.“
„Aber wenn Gott nicht will?“, gab Melissa zu bedenken.
„Ja, dann kann ich ihm nicht helfen“, antwortete Christin traurig. „Dann hat der Herr wohl anders entschieden.“
Langsam überquerten sie eine kleine steinerne Brücke.
„Ich bewundere dich. Wie hältst du es nur bei ihm aus? Ich habe gehört, dass er mehrere Pflegekräfte regelrecht vergrault hat“, erkundigte sich die Freundin.
„Ich kann nicht klagen. Bei mir hat er sich nur am Anfang etwas daneben benommen. Er nannte mich Pinguin und Nebelkrähe.“ Sie musste lächeln in der Erinnerung. „Aber diese anderen Pflegerinnen haben ihn nicht im Mindesten gepflegt. Sie nahmen ihm die Glocke weg, damit er nachts ihre Ruhe nicht störte. Dann ließen sie ihn nur auf dem Rücken liegen, so dass sich bei ihm ein sehr tiefer Dekubitus entwickelte. Kein Spezialbett wurde beantragt. Sie lagerten seine Füße nicht und ließen ihn in seinen Exkrementen stundenlang liegen. Auch das Essen schnitten sie ihm nicht. Niemand half ihm bei den Mahlzeiten. Sie ließen ihn im Dunkeln liegen und warteten praktisch nur auf seinen Tod“, erklärte Christin aufgebracht.
„Das ist ja furchtbar“, entrüstete sich Melissa.
„Jedenfalls wirft er bei mir keine Teller mit Essen an die Wand oder spuckt mir ins Gesicht“, bestätigte die Pflegerin.
„Das glaube ich dir. Du gehst mit deinen Patienten ja auch ganz anders um. Du bist Tag und Nacht immer für sie da. Habe ich Recht?“ Melissa bedachte sie mit einem Seitenblick.
„Ja, und so soll es auch sein“, bestätigte Christin.
„Und du selbst? Fühlst du dich hier wohl?“, wollte die Freundin wissen.
„Ja, das tue ich. Das Hausmeisterehepaar hilft mir, wo es nur geht. Es sind zwei nette und liebenswerte Menschen, die auch sehr an Mr. Stonewall hängen. Sie haben ihn nach dem Tod seiner Familie mit dreizehn Jahren aufgenommen wie ein eigenes Kind. Deshalb ist es auch für sie eine schlimme Sache ihn so dahinvegetieren zu sehen“, erzählte sie ihr.
Sie sah auf ihre Armbanduhr. „Oh, es ist schon spät. Ich muss zurück“, erklärte sie.
„Aber es ist doch erst elf Uhr. Du hast noch eine Stunde Zeit. Gordon ist doch bei ihm. Er hilft ihm, wenn er etwas braucht. Er hat ihn zuvor doch auch schon manchmal versorgt“, widersprach Melissa.
Sie folgten einem kleinen Rinnsal, das sich durch große und kleine Steine schlängelte, bis es als Miniaturwasserfall über einen großen Findelstein hinabstürzte und als kleines Bächlein weiter plätscherte. Überall im Park wuchsen Blumen in voller Blüte, die einen betörenden Duft verbreiteten. Wer diesen Park anlegte, musste viel Fantasie gehabt haben.
„Du magst ihn sehr gern, deinen Oberarzt, oder?“, erkundigte sich Christin vorsichtig und schlug den Rückweg ein.
Die Freundin atmete tief auf. „Ja, ich weiß auch nicht, wie es geschehen konnte. Die Mutter Oberin teilte ihn mir als Oberarzt zu. Als ich ihm zum ersten Mal begegnete, fühlte ich mich sofort zu ihm hingezogen. So, als würde ich ihn schon mein halbes Leben kennen. Er wirkte so vertraut. Mein Herz kam ganz aus dem Takt. Er ist so sanft, so liebevoll. Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt. Dieses Gefühl ist einfach wunderbar. Man möchte mehr davon. Es ist wie eine Droge. Ich kann mich nicht dagegen wehren und ehrlich gesagt, will ich es auch gar nicht“, schwärmte sie und lachte befreit, dass sie wenigstens einem Menschen ihre Gefühle anvertrauen konnte, ohne befürchten zu müssen, bei der Mutter verraten zu werden. „Ich weiß, dass ich gegen alle Regeln verstoße und ich eines Tages vor der Entscheidung stehen werde: er oder der Orden“, sprudelte es aus ihr heraus.
Sie blieb stehen und Christin sah sie mit großen Augen an, die völliges Nichtverstehen vermittelten. Ich muss äußerst vorsichtig sein, sonst ende ich genauso wie Melissa, ging es durch ihren Kopf.
„So, wie es im Moment aussieht, werde ich wohl aus dem Orden austreten. Ich möchte Gordon keinesfalls verlieren. Außerdem glaube ich, wenn Gott es nicht gewollt hätte, dann wären wir uns wohl nie begegnet“, erläuterte sie.
„Es kann aber auch eine Prüfung sein. Gott will deinen Glauben testen, wie fest du zu ihm stehst“, gab die Freundin zu bedenken.
Melissa schüttelte jedoch nur energisch den Kopf. „Nein, das kann ich nicht glauben. Dieses Gefühl ist einfach zu intensiv.“
Langsam folgten sie dem Weg zurück zum Haus.
„Dieser Park ist voll von Blumen und es duftet herrlich. Jede Blume entwickelt ihr eigenes Parfüm und doch passen sie am Ende alle zusammen. Hier eine halbe Stunde jeden Tag spazieren gehen wirkt gewiss wie eine Kur“, stellte Melissa fest. „Jetzt weiß ich, warum es dir hier so gut gefällt.“
Derweil saß Gordon bei Brandon am Bett in einem großen Schaukelstuhl und vertrieb ihm die Langeweile.
„Ich muss sagen, du siehst wirklich zum Gotterbarmen aus“, sprach ihn der Freund an.
„Das weiß ich selbst. Das brauchst du mir nicht auch noch zu sagen“, brummte Brandon. „Die Schwester hält mir schon gar keinen Spiegel mehr vor.“
„Da bringe ich dir die beste Pflegekraft meiner Tante und …“
„Schwester Christin kann nichts dafür, dass es mir so miserabel geht“, fiel er ihm ins Wort. „Es ist die Chemotherapie, die mir so zusetzt. Ich habe die ganze Woche über nur gekotzt. Die Schwester, die du mir gebracht hast, ist vollkommen anders. Ihre Pflege ist erste Klasse. Sie schimpft auch nicht, wenn mir mal ein Malheur passiert. Stell dir vor, sie füttert mich sogar, wenn ich nicht kann. Und zur Chemotherapie in die Klinik hat sie mich auch begleitet.“
„Du trinkst gar keinen Alkohol mehr? Ich sehe keine leeren Flaschen stehen“, wunderte sich Gordon.
„Mir wurde letzthin furchtbar übel darauf, verbunden mit wahrhaft tierischen Bauchschmerzen. Wahrscheinlich haben sich die Medikamente mit dem Whiskey auf Dauer nicht vertragen“, erklärte er ihm. „Du wirst staunen, Morphium bekomme ich auch kaum mehr. Sie hat eine viel bessere Medizin, eine die nicht abhängig macht und trotzdem den Schmerz nimmt. Mein Kopf ist wieder ganz frei. Ich kann wieder denken.“
Der Freund lachte. „Brandon, du schwärmst ja geradezu von ihr.“
„Das musst ausgerechnet du sagen? So viel ich mitbekommen habe, hast du deiner Stationsschwester innerhalb von nur zweieinhalb Wochen Stationsdienst den Kopf völlig verdreht“, warf er ein. „Ich weiß, dass du wieder arbeitest und zwar im Kloster Heilig Geist. Deine Tante hat dir den Job als Oberarzt verschafft, doch ich glaube, ihr unterlief hier ein Kardinalfehler, denn sie packte dich in die Kinderklinik zu Schwester Melissa.“
„So? Ist das schon bis zu dir in dein Zimmer vorgedrungen?“, wunderte sich Gordon.
„Der Wind, der Wind ist schneller als die Gedanken“, scherzte Brandon.
„Ja,