Blondinenrettung. Volker Müller
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Anna nahm allen Mut zusammen und sagte, dass sie keine Genossin sei, noch keine. Mäder überhörte das oder tat so als ob. „Haben wir uns verstanden? Ja? Hab ich mich deutlich genug ausgedrückt? Also: Es gibt demnächst klare Richtlinien. Gut, dann können Sie gehen.“
Acht Wochen später, inzwischen war es Juli geworden, bekam sie von einem Boten der Stadtverwaltung in der Tat eine Konzeption „Richtlinie Denkmalprojekt Büsten Dichtergarten“ in die Hand gedrückt. Damit wurde freilich alles noch komplizierter, denn in dem kapp fünfzig Seiten dicken Pamphlet fand Anna, obwohl sie sich zweimal von A bis Z durchkämpfte, kein Wort zu den Büsten selbst. Vielmehr waren darin ausgiebig Notwendigkeit und Zielrichtung des politisch-kulturellen Neuaufbaus in Grincana dargelegt, wobei das sarkundische, als in herausragender Weise sozial gerecht und fortschrittlich apostrophierte Gesellschaftssystem an allen Ecken und Enden als absolutes Vorbild deklariert wurde.
Anna ging in ihrer Not schließlich zu Döring. Sie wusste, dass er für ihr Projekt nicht mehr zuständig war, aber was sollte sie machen. Soviel war klar: Mäder gegenüber einzugestehen, mit der Konzeption nichts anfangen zu können, wäre das Ende der Geschichte, ja, konnte sogar noch weitergehende Folgen haben. Wer nicht verstand, was die Partei wollte, durfte mit besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge rechnen. Mit irgendwelchen künstlerischen Höhenflügen würde es für sie in Grincana dann vermutlich vorbei sein.
Döring wollte sie zunächst nicht zu sich lassen.
„Das habe ich Ihnen gleich gesagt. Ich weiß doch, warum Sie hier sind. Mir können Sie nichts vormachen. Aber Genosse Döring ist für Ihre Angelegenheit nicht mehr maßgebend. Nehmen Sie das bitte endlich zur Kenntnis. Außerdem hat er heute auch wenig Zeit“, erklärte die Sekretärin frostig das Nein. Es war nicht mehr die angenehm ins Auge stechende Dame von vor einem Jahr. Die Neue war kräftiger gebaut und trug ein furchterregend graues, eng anliegendes Kostüm. Anna ließ nicht locker. „Also gut. Sie haben recht. Ich bin deswegen hier. Also dann sagen Sie ihm bitte auch, er hat mich damals für die Büsten vorgeschlagen, deshalb … also ich setz mich jetzt hier hin und warte … bis er Zeit hat.“ Die Sekretärin schlug einen Ordner auf und blätterte, so kam es Anna jedenfalls vor, ziellos darin herum. Es verstrichen zehn, vielleicht auch fünfzehn Minuten. Da stand die Frau auf, ging zu Döring hinein, kam kurz darauf wieder zurück und sagte nicht unbedingt freundlich, aber auf jeden Fall eine Spur weniger frostig als vorhin. „Gehen Sie schon rein.“ Döring stand am Fenster und schaute hinaus. Es dauerte zwei, drei lange Minuten, ehe er sich umwandte. „Anna“, sagte er mit eigenartig rauer Stimme, „ich bin für den Fall nicht mehr zuständig, wie du weißt, und … ob ich darüber hinaus überhaupt in der Sache noch ein Ratgeber sein kann, ist auch fraglich, mehr als fraglich.“ Er setzte sich und forderte sie mit einer knappen Handbewegung auf, Gleiches zu tun.
Er ließ seinen Blick zerstreut über den Schreibtisch wandern, sah schließlich kurz zu Anna hin, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte, jetzt wieder halb und halb an ihr vorbeischauend: „Weißt du, wir machen jetzt eine schwierige Phase durch. Es kann auch gar nicht anders sein. Das Neue, das wir aufbauen wollen, verstehst du, muss sich erst endgültig durchsetzen, festigen, die richtigen Konturen gewinnen. Da geht’s manchmal eigenartig zu, ja, eigenartig und vielleicht auch nicht immer gerecht …“ Döring verstummte und lächelte, was Anna von ihm nicht kannte, ungut, um nach einem kurzen, energischen Kopfschütteln fortzufahren: „Ja, aber du willst natürlich trotzdem wissen, wie du mit deinen Büsten dran bist. Hast Angst vor der Kommission. Nun, das ist auch wirklich … also mein siebter Sinn sagt mir, am Ende bist du am besten beraten, wenn du die Sache ausgesprochen pathetisch und heroisch anlegst. Und nicht zu knapp. Ja, pathetisch und heroisch. Es muss richtig donnern und krachen. Viel mehr als eigentlich gut ist. Zeig mal her. Du hast mir doch sicher was mitgebracht.“
Döring sah die Skizzen durch und sagte danach: „Schön, ganz schön, fast zu schön, aber leider zu wenig kämpferisch, zu wenig ernst und entschlossen. Geh ruhig noch ein ganzes Stück in die Richtung. Ich weiß,ich weiß, unsere Dichter hatten auch andere Seiten, waren an sich überhaupt nicht so. Vor allem der Broeder soll ja bekanntlich ein tüchtiger Freund von Wein, Weib und Gesang gewesen sein, aber …“ Döring lächelte auf einmal fast ein wenig verlegen, zuckte die Schultern und hob die Hände. „Wir, du und ich, müssen versuchen, das Beste draus zu machen, es hilft ja alles nichts, aber …“
Anna, die noch so viel hatte fragen wollen, hauchte ein „Ja“ und ein „Vielen Dank für alles“ und verabschiedete sich. Döring kann mir im Grunde auch nicht helfen, dachte sie. Was er gesagt hat, hätte ihr jeder andere ebenfalls sagen können. Sie ahnte nicht, dass ihr selbst in späterer Zeit so manches Mal die Worte fehlen würden und ihr dann oft auch nichts Besseres einfiel, als sich mit einem schlicht-vielsagenden und verdammt für sich allein stehenden „aber“ aus der Affäre zu ziehen.
Mäders Büsten-Kommission war tatsächlich nicht so leicht zufrieden zu stellen. Und Döring hatte Recht gehabt. Die Herren wollten möglichst kantige Köpfe sehen und es sollte dabei auch unbedingt etwas vom Elan der neuen Zeit zu spüren sein, zumindest eine Art freudestrahlende Vorahnung, und natürlich sollte die seit eh und je behauptete unverbrüchliche Volksverbundenheit der beiden klassischen Dichter dezidiert zum Ausdruck kommen. Ein Glück, dass man man wenigstens an einer weitgehenden äußeren Ähnlichkeit festzuhalten gedachte. Damit war dem Heroisch-Übermenschlichen irgendwo auch Grenzen gesetzt. Broeder wie Schaller hatten hohe Stirnen und ebenmäßige, schön geformte Köpfe. Anna war bemüht, den Wünschen der Kommission so gut es ging nachzukommen, auch weil sie Döring nicht enttäuschen wollte. Mit ihm hatte man wenigstens noch halbwegs vernünftig reden können.
Als endlich zwei ihr ziemlich schlimm vorkommende Entwürfe akzeptiert wurden, tröstete sie der Gedanke, dass sie bei der Ausführung, als Material war Troveller Sandstein vorgesehen, wohl noch dieses und jenes würde lindern können. Sandstein, würde sie im Falle des Falles sagen, habe von Natur aus etwas Weiches und Rundes, da fiele manche Partie unter Umständen naturnotwendig ein wenig anders aus als gedacht.
Der weitere Fortgang der Angelegenheit gestaltete sich bei weitem nicht so problematisch wie das bis dahin Geschehene. Anna bekam binnen weniger Tage – auf einmal drängte die Zeit, bis zu einem Staatsfeiertag Ende Oktober sollten die Büsten stehen – im städtischen Bauhof einen Schuppen zugewiesen. Dort wurden wenig später zwei stattliche Sandsteinblöcke abgeladen und die Arbeit konnte beginnen. Anna durfte, bei entsprechendem Verdienstausfall natürlich, mittags schon ihren Arbeitsplatz in der Spulensortieranlage der Weberei an der Äußeren Himmelreichstraße verlassen, um sich danach sogleich mit Hammer und Meißel an die Blöcke zu machen. Einige Male bekam sie unverhofften Besuch von der Kommission und ab und an schauten auch Mitarbeiter des Stadtrats für Volksbildung vorbei.
Nach knapp zwei Monaten war sie mit den Büsten fertig und die Kommission wie der Ausschuss für Kultur und Denkmalpflege der Stadtverordnetenversammlung nahmen sie ohne Beanstandung ab. Die mannshohen Sandsteinfundamente, auf denen die Dichterköpfe ruhen sollten, wurden angeliefert und schließlich war es soweit. An dem bewussten Festtag wurden die Denkmale im „Park des Friedens und der Völkerfreundschaft“, so hieß die Anlage am Bahnhof inzwischen, eingeweiht. Es gab es einen von wuchtiger Marschmusik begleiteten Fackelzug, an dem einige tausend Bürger teilnahmen. In dem Friedensund Freundschaftspark wurden Reden gehalten, Schüler rezitierten Verse der zwei Geehrten, ein Chor sang. Anna wurde am Ende nach vorn gebeten. Der Bürgermeister überreichte ihr einen Blumenstrauß, dankte für das Geleistete und nannte sie eine junge, hoffnungsvolle Künstlerin, die dabei sei, den Start in eine neue, bessere Zeit auf lobenswerte Weise zu meistern. Von ihr dürften Staat und Gesellschaft und nicht zuletzt auch Grincana noch eine Reihe weiterer guter Taten erwarten.
Kurz vor Weihnachten erhielt sie das noch unter Döring vereinbarte kleine Honorar. Er gab ihr selbst das Kuvert. „Hast du dir redlich verdient. War ja kein leichter Weg dorthin. Aber ich denke, es hat sich gelohnt. Du hast damit,