Blondinenrettung. Volker Müller
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Über Walter Döring, auch das gehört in diese denkwürdige Periode, war zu lesen, dass man ihm seinerzeit übel mitspielte. Auf Grund falscher Beschuldigungen, wonach er einer oppositionellen Gruppierung innerhalb der Partei nahe gestanden haben soll, war er zunächst auf einen untergeordneten Posten weit weg von Grincana versetzt, dann sogar ans Fließband in einer Herdfabrik verfrachtet worden. Dort war seine Lungenkrankheit, die er sich unter der Radara-Herrschaft zugezogen hatte, schlimmer geworden und er starb wenige Monate später. Nach ihm jetzt eine Straße in Grincana zu benennen, war eine Weile in der Diskussion. Doch letztlich vermochte sich der Stadtrat nicht dazu durchzuringen. Die zu erwartenden Kosten wie mögliche Widerstände in der Bevölkerung gegen einen solchen Schritt wurden dafür geltend gemacht. Anna hatte da ihre Zweifel. Sie wusste von ähnlichen Fällen anderorts. Einen Genossen der früheren Staatspartei zu ehren, selbst wenn er wie Döring ein tragisches Opfer der Verhältnisse geworden war, fiel zu Zeiten schwer, wurde entweder auf die lange Bank geschoben oder fand in den zuständigen Gremien nicht die nötige Mehrheit. Anna schien das schlussendlich eine Form der Abrechnung mit der alten Ordnung zu sein, eine alles in allem wenig ehrenhafte Ersatzhandlung, nachdem klar war, dass letztlich kaum etwas Überzeugendes in dieser Richtung zu machen war. Es waren zu viele einstige Amtswalter und Nutznießer, denen man hätte zu nahe treten müssen. Und die, selbst die größten Schufte und Kanaillen unter ihnen, hatten im Falle des Falles angesichts der nun geltenden nachsichtigen liberalen Rechtsprechung beste Aussichten, ungeschoren davonzukommen. Es sah ganz danach aus, als ob am Ende die unerbittlichen Aufarbeiter, die Verfechter einer angemessenen Bestrafung und Sühne die Dummen waren. Was im Fall Walter Döring den Ausschlag gab, vermochte Anna nicht sagen.
Woran kein Zweifel bestand: Die Grincaner hatten in diesen Tagen auch noch andere Sorgen. Binnen kurzem waren fast alle größeren Fabriken, meist Zweigbetriebe der einst das Land prägenden überdimensionierten Kombinate, dichtgemacht geworden und auch der Stolz der Stadt, die Fachschule für Maschinen- und Anlagenbau, hatte ihre Tore geschlossen. In dieser Situation setzten die Grincaner im Kampf um landesweite Aufmerksamkeit und Zuwendung große Hoffnungen in ihren fürstlichen Landschaftsgarten mit dem See in der Mitte. Die staatlichen Stellen entfalteten in der Folge eine fieberhafte Betriebsamkeit. Die Gehölze wurden fachmännisch beschnitten sowie nötige Nachpflanzungen veranlasst, die Wege mit blendend weißem Kies bestreut, das Palais neu verputzt und gestrichen, die das Gebäude umschließenden Blumenrabatten wenigstens ums Doppelte erweitert. An besonders sonnigen Stellen wurden Pflanzkübel mit Palmen aufgestellt, man stampfte einen nahegelegenen Parkplatz für Busse aus dem Boden, ließ formidable Broschüren und Prospekte drucken, mühte sich, allen tiefeingewurzelten Grincanaer Eigenstolz und Dünkel beiseite schiebend, geradezu devot um die Gunst von Touristikagenturen.
Die Parkanlage am Bahnhof, die nun wieder wie gehabt „Zur Bürgererholung“ hieß, kam indessen immer mehr herunter. Mit den üppigen Volkskunst-Estraden war es vorbei, die Bühne verfiel und wurde schließlich abgerissen. In jüngster Zeit haben die Schützenvereine, die es wieder in der Stadt gibt, den vor sich hin dämmernden Ort entdeckt. Sie stellen ab und an dort ein großes Zelt auf und lassen ihre Trefferkönige hochleben. Wer hat sich das vorstellen können, dachte Anna, dass sie einmal in die Verlegenheit kommen würde, jenen bunt kostümierten, mit seltsam verbissenen Gesichtern aufmarschierenden Frauen und Männern wohl zu wollen. Aber ohne ihre Feste wäre die „Bürgererholung“ vermutlich vollends in Vergessenheit geraten.
In den Sommermonaten, wenn die Parlamente nicht tagen, die Verwaltungen bis auf spärliche Notbesetzungen an fernen Gestaden für die nächste Session Kraft schöpfen und auch die meisten Grincanaer Kulturstätten und Sportvereine eine verdiente Ruhepause einlegen, passiert es immer mal wieder, dass sich ein von der Nachrichtenarmut geplagter Redakteur den Fotoapparat umhängt, in der Hoffnung, die Dichterbüsten im Bürgergarten bieten wie gehabt einen wenig komfortablen Anblick.
Wo ist denn die Sonne hin? Der Teppich mit dem üppigen Flammenmuster, eben noch ein greller Blickfang, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Tag ist, wie’s aussieht, wieder mal unter Träumen und Erinnern dahin gegangen.
Nun soll also die Chemie alles retten. Die achtzigjährige Anna Hahn, die noch die gleiche kräftige, um nicht zu sagen leicht füllige Gestalt hat wie ehedem, auch noch nicht so schrecklich gealtert zu sein scheint wie mancher andere ihres Jahrgangs, das einst schwarze Haar ist mittlerweile freilich tüchtig grau geworden, glättet den Zeitungsausschnitt noch einmal vorsichtig und legt ihn auf den Packen in einem besonderen Fach ihres Schreibtischs.
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