Blondinenrettung. Volker Müller

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Arbeiten bei regionalen wie landesweit bedeutsamen Ausstellungen Aufsehen, kam bei Wettbewerben öfter in die engere Wahl und holte auch diesen und jenen Preis. Das alles war wiederum nicht weiter verwunderlich, aber das begriff sie in vollem Umfang erst Jahre später. Ihr war es gegeben, ohne große Überlegung eine Art Quadratur des Kreises zustande zu bekommen. Ihre von weicher Linienführung geprägten, dabei stets etwas Zupackendes, klar Strukturiertes habenden und im Wesentlichen streng gegenständlich bleibenden Arbeiten verströmten einen kräftigen Hauch Moderne, ohne dass andererseits die geringste Gefahr bestand, das Ganze könnte in den Augen der höheren Orts für Kunst und Kultur Verantwortlichen allzusehr aus dem Rahmen fallen. Das brachte in der Tat nicht gleich ein jeder oder eine jede fertig. Anna kam im Gegensatz zu manchem Gefährten, mancher Gefährtin überhaupt gut mit den für Kunstfragen zuständigen Behörden und Gremien zurecht. Was dort gewollt oder verlangt wurde, war letztlich ein Klacks gegen das in Grincana Erlebte. Als nach Jahrzehnten über die Zeit der Parteidiktatur Gericht gehalten wurde, geriet auch Anna Hahn ins Blickfeld. Man bezeichnete sie als brave, dabei penetrant auf ihren Vorteil bedachte Staatskünstlerin und warf ihr wechselweise oder in Kombination Mangel an Talent und Charakter vor. Daraufhin gab es allerdings nicht wenige entschiedene Gegenstimmen, namentlich von ehemaligen Lapintaer Kunststudenten, darunter eine Reihe inzwischen namhafter Künstler, so dass die Vorwürfe bald verstummten.

      Doch zurück zu den Anfängen. Nach Ablauf der vereinbarten zwei Förderjahre nahm Anna eine ihr von der Hochschule angetragene Aspirantur an und machte, Baumann war inzwischen Rektor geworden und hatte sie nicht aus den Augen verloren, ihren Weg. Mit siebenundzwanzig war sie Ordentliche Pädagogin im Hochschuldienst, mit dreißig wurde sie zur Professorin für Elementare Figürliche Gestaltung ernannt. Weiter wollte sie, was vermutlich gut möglich gewesen wäre, nicht aufsteigen. Sie fürchtete, dass sie, würde sie zum Fachbereichsleiter oder vielleicht gar Sektionsdirektor berufen, nicht mehr in ausreichendem Maße zu ihrer künstlerischen Arbeit käme. Das wollte sie um keinen Preis, obwohl oder vielleicht auch, weil sie spürte, dass es mit ihrer Kunst zu der Zeit nicht mehr recht vorwärtsging. Sie hatte das Gefühl, sich beständig nur noch zu wiederholen, spürte keine rechte Freude mehr, wenn sie ins Atelier kam, brauchte einen gehörigen Anlauf, um sich einer angefangenen Plastik zu widmen, die längst hätte fertig sein sollen. Etwas Neues zu beginnen, fiel ihr noch ungleich schwerer. Immer öfter passierte es auch, dass sie – bis dahin unfassbar- im Atelier nur ein, zwei Stunden, ohne etwas zu tun, herumsaß. Sie war sich darüber im Klaren, dass etwas geschehen, sich eine Tür oder ein Fenster öffnen musste, sonst könnte es aus und vorbei sein mit einer gewissen Anna Hahn. Dabei wusste sie: Weder die Rückkehr zur Darstellung klassischer Muskelprotze noch die rigorose Abkehr von aller Natur, allem Natürlichen als Vorlage – die zwei Wege schlug man damals hauptsächlich ein – kam für sie in Frage. Was aber war, wenn es kein Drittes gab? Oder sie nicht das Zeug dazu hatte, dahin zu kommen? Eine Weile dachte sie daran, die Bildhauerei ganz sein zu lassen, bis sie einem von Tag zu Tag stärker werdenden Impuls folgend, schließlich aufhörte, krampfhaft auf die große Erleuchtung zu warten. Im Ergebnis, nach Wochen und Monaten heftigen stillen Hin und Hers, von dem weder Kollegen, Studenten noch die Familie etwas ahnten, führte sie das Alte und Gewohnte in anderer, klug modifizierter Form, gestraffter, dabei dennoch hinreichend feingliedrig bleibend, ja, oft geradezu detailverliebt auftrumpfend weiter. Das hatte im Grunde nichts mit wirklich großer Kunst zu tun. Es war, daran gab es für sie nie einen Zweifel, nur wenig mehr als solides, honoriges Handwerk. Das erreichte nun freilich auch nicht ein jeder und dessen brauchte sie sich fürwahr nicht zu schämen. Damit konnte sie, musste sie leben.

      Als sie nach langer Zeit Grincana besuchte, die schon erwähnte Schulkameradin hatte sie eingeladen, suchte sie im Park des Friedens und der Völkerfreundschaft ihre einstigen Schmerzenskinder zunächst vergeblich. Schließlich, so schnell gab sie ihr Vorhaben nicht auf, entdeckte sie die Büsten in einem abgelegenen Teil des Terrains, umgeben von einer Schar offenbar seit Jahren ungehindert wuchernder Berberitzensträucher und dazu auch noch reichlich bespritzt mit Vogelkot. Eine schöne Überraschung. Wie konnte es dazu kommen? In Grincana sei nun einmal Hopfen und Malz verloren, es werde nur noch das Allernötigste getan und oft reiche es nicht einmal dafür, meinte die Freundin. Traurig, aber wahr.

      An der Situation sollte sich vorderhand nichts ändern. Das entnahm Anna der Korrespondenz, die sie seitdem mit der Kameradin führte, einer am Schicksal der Heimatstadt rege Anteil nehmenden, stets haarklein eine Fülle von Einzelheiten ausbreitenden Grundschullehrerin. Als nicht unbedingt förderlich für die Anlage am Bahnhof erwies sich, dass es in der Heimatstadt noch einen zweiten, größeren Park gab, mit lichten Eichen- und Buchenhainen, alten Lindenalleen, einem sorgsam komponierten Pinetum und einem See in der Mitte, dem der Parkschöpfer, ein namhafter Gartenarchitekt der ausgehenden Fürstenzeit, die buchtenreiche Form eines Ahornblatts verordnet hatte. Das Areal, zu dem auch ein kleines Lustschloss, ein von fernöstlicher Kultur inspirierter lauschiger Pavillon und eine eigene Blumenkultur gehörten, war weithin ein Begriff. Nach dem Krieg hatte die Anlage, die bis dahin den Namen eines vormals in Grincana regierenden Reichsgrafen trug, den Namen des sarkundischen Revolutionsführers Nikolai R. Lawrow erhalten. Am Eingang war ein Porträt-Relief des Umstürzlers angebracht und nicht weit davon auch noch eine überlebensgroße Bronzeplastik aufgestellt worden. Sie zeigte einen sarkundischen Soldaten, der mit bloßen Händen eine übermächtige Felsplatte sprengt. Vor dem Monument fand jedes Jahr im Mai am Tag des Kriegsendes ein Appell statt, an dem Schulklassen und Abordnungen aus Betrieben und Massenorganisationen teilnahmen. Wiewohl dem Lawrow-Park somit eine große Aufmerksamkeit und Bevorzugung zuteil wurde, war er andererseits aus denkmalschützerischen Gründen, er galt als überregional bedeutsames Gartenkunstwerk, nicht für unterhaltsame Freiluftveranstaltungen geeignet. Dergleichen Dinge, Volksfeste, Märkte, Ausscheide, bei denen Fanfarenzüge, Blasorchester, Rockbands, Tanzensembles oder Chöre ihre Kräfte maßen, mutete man bedenkenlos dem kleineren Bruder am Bahnhof zu, wo eine Freilichtbühne errichtet und ein Teil der Fläche betoniert wurde, damit bei Bedarf problemlos Bankreihen gestellt werden konnten. Die Büsten der Dichter rückten im Zuge dieser Entwicklung immer weiter an den Rand, gerieten am Ende nahezu völlig in Vergessenheit.

      Die an der Stelle vorgesehenen literarisch-musikalischen Pogramme hatten zunächst in einem bescheidenen Rahmen stattgefunden. Später sah man von dergleichen Veranstaltungen ab. Es gab in der Stadt Orte, die für den Zweck besser taugten, mehr mit Gegenwart und Zukunft verbunden zu sein schienen als der beschauliche kleine Park mit den Denkmalen. Als ein junger, von Tatendrang erfüllter Literaturlehrer anderer Meinung war, sich dafür stark machte, dass Schüler zu den Dichter-Geburtstagen Blumen vor die Standbilder legten und zum Gedenken einige passende Verse rezitierten, untersagte ihm das sein Direktor unter Hinweis auf eine Weisung der Unteren Schulbehörde. Das Begehen von Gedenktagen im öffentlichen Raum, hieß es darin, sei zentral geregelt. Spontane Aktionen außer der Reihe seien rechtzeitig anzumelden und bedürfen unbedingt einer gesonderten Antragstellung und Genehmigung. Im vorliegenden Fall werde dafür nach eingehender Beratung und in Abstimmung mit den zuständigen übergeordneten Partei- und Staatsorganen keine dringliche Notwendigkeit gesehen.

      So verging Jahr um Jahr. In Grincana machte sich, diesen Eindruck musste Anna gewinnen, kaum jemand mehr Gedanken über den kleinen und den großen Park. Die unterschiedlichen Rollen und Bedeutungen schienen auf Ewigkeit zugewiesen. Dann kam jener stürmische Herbst, in dessen Folge alles anders wurde. Die allmächtige Geeinte Sozialistische Arbeiter- und Bauernpartei verlor über Nacht ihre bis dahin unangefochtene Vormachtstellung. Eine Reihe anderer Parteien gründeten sich und konkurrierten von nun an – oft ohne die geringste Rücksicht auf die Interessen des Gemeinwesens – um die Sitze im Stadtrat. Und natürlich war es so, dass der bis dahin allgegenwärtige sarkundische Einfluss mit jedem Tag mehr der Vergangenheit angehörte. Es gab wieder jede Menge privater Unternehmen, die einander zum Teil erbittert Konkurrenz machten. Und auch eine Menge anderer Dinge, Gepflogenheiten, Feste, Jubiläen, Denkarten, Ansichten, die in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch Beachtung fanden oder als unstatthaft galten, waren auf einmal in alter Herrlichkeit wieder da. Kaum jemand hätte für möglich gehalten, wie schnell die verflossenen vierzig Jahre, als das Gemeinschaftliche im Vordergrund stand, alle das Gleiche haben und möglichst auch denken sollten, in Vergessenheit gerieten.

      Im

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