Er war mein Urgroßvater. Christiane Scholler

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Er war mein Urgroßvater - Christiane Scholler

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2009 bei der Parade zum Königinnentag in Apeldoorn knapp einem Mordanschlag entgingen. Ein Amokfahrer raste durch die jubelnde Menschenmenge auf den Bus der Monarchin zu und tötete dabei fünf Menschen. Er hat später angegeben, dass sein Ziel die königliche Familie gewesen sei.

       Herzogin Sophie von Hohenberg wartet auf die Weiterfahrt mit dem Auto

      Spätestens jetzt also, nach dem Detonieren der Handgranate unter einem der Fahrzeuge des Ehrenkonvois in Sarajevo, hätte jedermann klar sein müssen, dass »etwas im Busch« ist. Wenn es so weit kommen kann, dass bereits bei der Cumurija-Brücke, kurz nach 10.00 Uhr, ungehindert eine Art Bombe gegen den Konvoi geschleudert werden kann – wie steht es dann um die Sicherheit des Thronfolgers und seiner Frau?

      Für diesen ersten Täter, den Schriftsetzer Nedeljko Čabrinović, war es ein Leichtes gewesen, aus dem Spalier der Menge zu treten, den Zünder auszulösen und den büchsenförmigen Gegenstand gegen den Wagen des Thronfolgers zu werfen. Die Zuschauer sahen nur einen kleinen, dunklen Gegenstand durch die Luft sausen, aber offenbar dachte niemand in diesem Augenblick an ernsthafte Gefahr. Dann gab es ein paar dramatische Momente: Die Bombe rollt vom zurückgeschlagenen Verdeck des Thronfolger-Fahrzeuges rückwärts auf die Straße und explodiert unter dem dritten Wagen. Die Kolonne stoppt. Große Aufregung, Geschrei, Gestank und Pulverdampf.

       Auf der Fahrt zum Rathaus – kurz vor dem ersten Attentat

      Ein Splitter der Sprengkapsel hinterlässt am Hals der Herzogin einen Kratzer, Oberstleutnant Merizzi wird am Kopf schwer verletzt und blutet stark. Er wird im nahe gelegenen Ambulatorium Dr. Löffler erstversorgt und dann sofort ins Garnisonspital gebracht. Die Menschenmenge ist geschockt, es ist ein Wunder, dass es nur wenige Verletzte gibt. Das mag auch daran liegen, dass es um diese Tageszeit bereits heiß ist und viele Zuschauer sich in Gruppen in den Schatten der Bäume am Straßenrand begeben haben.

      Der junge Attentäter hat seinen Plan ausgeführt und will nun offenbar Plan B verwirklichen, seinen Selbstmord. Dazu springt er nach vollbrachter Tat über die Ufermauer in die Miljacka. Das weiße Pulver, mit dem er sich, im Fluss stehend und Flusswasser trinkend, vergiften wollte, hatte er in der Aufregung allerdings zuvor verstreut. Der Selbstmordversuch misslingt daher. Er wird festgenommen und den Behörden übergeben.

      Für heutige Verhältnisse unvorstellbar: Der Konvoi setzt seinen Weg fort. Keine Rede von sofortiger Evakuierung der Insassen der Fahrzeuge. Kein ernsthafter Versuch, den offiziellen Teil des Besuches zu beenden und den Thronfolger mit seiner Frau in Sicherheit zu bringen. Nein, »business as usual« ist angesagt. Es geht weiter zum Rathaus. Und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

       Die letzten Schritte

      Im Rathaus angekommen, unterbricht Franz Ferdinand, begreiflicherweise angesichts der Vorfälle nicht mehr ganz so entspannt wie vor Antritt der Stadtrundfahrt, die Rede des Bürgermeisters, der von Liebe und Ergebenheit der Bevölkerung zum allerhöchsten Herrscherhaus schwadroniert. Und der offenbar – wieder ein offensichtliches Versagen der Kommunikation an höchster Stelle – vom Attentatsversuch gar nichts mitbekommen hat: »Was hab ich von Ihren Reden – da kommt man zu Besuch in diese Stadt und wird mit Bomben empfangen. So, jetzt fahren Sie fort.«

      Der Bürgermeister versteht noch immer nicht und bringt seine Rede irgendwie zu Ende. Unter den Honoratioren der Stadt herrscht Ratlosigkeit, wie es nun weitergehen soll. Seine Sophie würde der Erzherzog gerne in Sicherheit wissen, sie soll zurück nach Ilidza oder zumindest in den Konak, den Wohnsitz des Landeschefs, wo das Mittagessen stattfinden soll. Freundlich, aber dezidiert weist sie diesen Vorschlag zurück: »Solange der Erzherzog sich heute in der Öffentlichkeit zeigt, verlasse ich ihn nicht.«

       Graf Franz Harrach als »Schutzschild« für den Thronfolger

      Franz Ferdinand will den verletzten Oberstleutnant Merizzi im Spital besuchen, bevor man dem offiziellen Programm weiter folgt, das Landesmuseum besucht und dann als Abschluss ein spätes Mittagessen einnimmt. Die Wagen starten also. Oberst Bardolff gibt dem Chauffeur des ersten Wagens den Befehl, mit möglichst hoher Geschwindigkeit den Appelkai entlangzufahren, zum Garnisonspital. Nicht, wie ursprünglich geplant, durch die Franz-Joseph-Straße und durch den Stadtkern zum Konak. Und nun passiert’s, das Unglück nimmt seinen Lauf. Die beiden ersten Wagen biegen bei der Lateinerbrücke zur Franz-Joseph-Straße ab – falsch! Das wäre die ursprüngliche Route gewesen! Der Erzherzog will jedoch zum Garnisonspital. Der Wagen mit meinem Urgroßvater bleibt weisungsgemäß hinter den beiden ersten Fahrzeugen.

      Als Feldzeugmeister Potiorek im Wagen des Thronfolgers den Irrtum bemerkt, gibt er dem Chauffeur sofort Befehl, zu wenden, über den Appelkai weiterzufahren und erst beim Garnisonspital zu halten. Der Fahrer bremst ab und beginnt zu reversieren. Es folgen die dramatischen Sekunden jenes Augenblickes, der nicht nur ein glückliches Ehepaar plötzlich aus dem Leben reißt und drei Kinder zu Vollwaisen macht. Er löst eine Völkerschlacht aus, die 15 Millionen Menschen das Leben kostet und Österreich fast vollständig von der Landkarte verschwinden lässt.

      An diesem warmen, schönen Sonntagvormittag steht der Attentäter Gavrilo Princip, mit einer Pistole bewaffnet, mitten unter den zahlreich die Straße säumenden Zuschauern. Hochrufe sind zu hören, winkende Menschen stehen in Gruppen, die meisten entlang der Häuserfront, wo die Bäume Schatten spenden. Weit weniger Zuseher sind auf der anderen Straßenseite zu sehen, entlang des Flusses. Dort brennt die Junisonne kräftig vom Himmel. Dem Attentäter scheint das nichts auszumachen. Hier kann er sich besser vorbereiten, ungehindert in Position stellen. Er wartet – und hat leichtes Spiel. Denn es gibt nach wie vor so gut wie keine Sicherheitsvorkehrungen. Die wenigen anwesenden serbischen Polizisten, für die gesamte Stadt gerade einmal 120 an der Zahl, machen keinen sehr wachsamen Eindruck. Auch haben der Erzherzog und seine Frau noch immer keine Leibwächter dabei. Heutzutage unvorstellbar!

       Die letzte Fahrt beginnt.

      Das Fahrzeug mit dem Thronfolger und der Herzogin von Hohenberg muss also kurz halten. Diese Sekunden genügen. Schüsse peitschen durch die Luft. Aus nicht einmal zwei Meter Entfernung schießt der junge Bosnier zweimal und trifft fatal genau. Erst die Bauchschlagader der Fürstin, dann mit dem nächsten Schuss den Erzherzog in die Halsschlagader. Sekundenlang sitzt das Thronfolgerpaar noch aufrecht im Wagen. »Um Gottes Willen, was ist Dir geschehen?«, soll Sophie ihren Mann, aus dessen Hals bereits Blut quillt, noch gefragt haben. Dann sinkt sie nach vorne, ihr Körper rutscht vom Sitz, und es sieht aus, als sei sie ohnmächtig geworden. Sophie, meine Urgroßmutter, stirbt.

       Das Attentat (zeitgenössische Illustration)

      »Sopherl, Sopherl, stirb mir nicht, bleib für unsere Kinder«, soll mein Urgroßvater geflüstert haben. Wenn man aber die schwere Verletzung (rechte große Halsschlagader zerrissen, Schilddrüse zerfetzt, Ringknorpel der Luftröhre zertrümmert) bedenkt, war dies schwer möglich. Verzweifelt gedacht haben mag er es indessen schon …

      Der Erzherzog spürt, dass das Ende gekommen ist. Graf Harrach versucht, das Vorsinken des Kopfes des Thronfolgers, aus dessen Mund ein dünner Blutstrahl spritzt, zu verhindern, er stützt ihn durch Festhalten

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