Der falsche Schah. Leonhard F. Seidl

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Der falsche Schah - Leonhard F. Seidl

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      Der König ihre Unterleibsschmerzen werden immer heftiger, sie schnauft, so wie man es aus den Filmen kennt, die es damals noch gar nicht gegeben hat. Trotzdem schafft sie es, samt Korb und Bartholomäus, bis zum Glashaus. Schon von Weitem hört sie es klopfen, hört Pferdl schnauben, Männer schreien. Dann sieht sie das Stahlgerippe, in dem schon einzelne Fensterscheiben befestigt sind. Darin: riesige Pfannen, Stangen, Tische. Drum herum: Anhänger, Zelte und Rösser, die die in Decken eingepackten Glasscheiben auf dem Anhänger ziehen und denen genauso heiß ist wie dem Fuhrknecht, den immer die Sorge umtreibt, die Gläser könnten zu Bruch gehen. Dieser Fuhrknecht ist dann auch der erste, der ihr zur Hilfe eilt und fragt: „Was hast denn?“

      Seine Frau, die Else, die gerade die Brotzeit vorbeigebracht hat, streicht sich über ihre weiße Schürze, sagt: „Pack ma’s!“ Und dann kümmert sie sich auch schon um ihre Geschlechtsgenossin.

      Ich glaub, das kann ich so sagen, auch wenn die König nicht mit den Roten sympathisiert hat. Die Frau vom Fuhrknecht nämlich schon. Die hat das ganz pfundig gefunden, was die im April in München gemacht, wie die die Herrschaft an sich gerissen haben, obwohl manche von denen sagen, dass sie gar keine Herrschaft haben wollen, weil sie ja Anarchisten sind. Wie der langhaarige, bartige Erich Mühsam zum Beispiel. Aber ich schweife ab, was kein Wunder ist, weil auch mein Puls steigt angesichts der Niederkunft von der König.

      Die Else hat also noch eine andere Frau gerufen, saubere Handtücher gepackt, die andere instruiert, dass sie heißes Wasser holen soll, kennt man ja alles … Dann hat sie die König schon auf eine Decke am Boden gelegt.

      Und noch bevor das heiße Wasser da war, war der Bartholomäus da. Lange noch, bevor dort, im Glashaus, wo er das Licht der Welt erblickte, der erste Stummfilm Der Ochsenkrieg nach dem Roman vom Ludwig Ganghofer gedreht worden ist.

      Jetzt aber warten alle darauf, dass der Bartholomäus schreit, wie die Else ihn in den Armen hält. Aber er schreit nicht, sondern schaut die Else an. Die Else schunkelt und schaukelt das runzligrote Menschenkind, aber es will einfach nicht schreien. Irgendwann wird es ihr zu blöd und sie streckt ihm die Zunge raus: „Bähhhhhh!“ Da dauert es keine Sekunde und auch der Bartholomäus streckt die Zunge raus und macht ein, zugegebenermaßen verwaschenes: „Bähhhhhh!“

      Die Else zuckt zusammen, lässt ihn fast fallen. Die Dienstmädchenhaube mit den Rüschen fällt ihr vom Kopf. Die Gänsehaut auf ihren kräftigen Unterarmen stoppt das verwunschene Baby wie Schmirgelpapier. Und die Haube landet auf seinem nackerten Schädel, der damals schon schmaler war als der von den meisten anderen Babys. Die Haube sieht auf dem Bartholomäus seinem Kopf aus wie eine Krone. Und für einen Moment huscht ein siegessicheres Grinsen über seine kleine Goschen.

      Aber wie die Else die Krone wieder auf ihren Kopf setzt, wird sein Gesicht ganz blau; erst die Lippen, dann das ganze Gfrieß. Die Else schaut ihre Helferin an, die Helferin die Mutter, dann alle drei das Kind: Und das reißt das Maul auf und plärrt. Was die Umstehenden fälschlicherweise als normal interpretieren und jetzt auch erleichtert lächeln.

      Die Else gibt das unheimliche Buberl trotzdem lieber seiner Mutter, die immer noch ganz malad im Glashaus auf der Decke liegt. Und der Fuhrknecht sagt: „Ja, so genga die Gang.“

      Womit er schon ganz schön viel über die Zukunft vom Bartholomäus vohergesagt hat. Weil, die Geburt hat schon gezeigt, wo es einmal mit ihm hingehen wird, aber das wirst du später sehen.

       Der tiefe Fall

      Das Klatschen und Jubeln der Rothenburger Bürger war noch nicht verstummt, da hat der König gespürt, dass hinter ihm was vor sich geht. Der Dolmetscher, der seine Aufgabe wirklich bravourös gemeistert und zum Gelingen von Königs Lebenshöhepunkt beigetragen hat, ist mit seinem granatapfelroten Schädel neben ihm gestanden und hat sich mit dem Taschentuch über die Stirn getupft; eigentlich hätt er einen Putzlappen gebraucht. Aber, wie bitte, hätte das ausgeschaut beim Dolmetscher vom Schah Mohammad Reza Pahlavi?

      Dann hat der König die Hand von der Farah Diba genommen. Es ist ein Raunen durch die Menge auf dem Marktplatz gegangen. Und ein freudiges, romantisches Seufzen ist herausgestochen: die Stimme seiner Mutter. Sie anzuschauen, dazu ist er nicht mehr gekommen, weil ihn die Farah Diba aus ihren dattelbraunen Augen angeschaut hat. Weil sie natürlich überrascht war, dass der Schah, der sonst immer so darauf bedacht war, Contenance zu bewahren, ihr in aller Öffentlichkeit die Hand gibt, Zuneigung oder sogar Zärtlichkeit zeigt. Das Streicheln vom König seinem Daumen über ihren Handrücken war fraglos zärtlich und hat sie an die letzte Nacht im Hotel Eisenhut erinnert. Und König, als könne er Gedanken lesen, hat durch seine Sonnenbrille zurückgeschaut und das Gefühl gehabt, dass sein Kopf mit seinem Herz mitbumpert. Weil der so voller Bilder war: vom Bett mit dem Engel über dem Kopf. An dem er sich angehauen hat. Von der Anna, die extra nicht auf den Marktplatz gekommen ist, um ihn nicht abzulenken. Dann wieder von Farah Diba im Nachthemd. Dann wieder von Anna, die ein so unglaublicher Mensch ist. Die ihn so liebt, dass sie gesagt hat: „Wenn du das machen musst, dann mach das.“ Einfach unglaublich. Weil, es ist ja nicht nur die Nacht mit der Farah. Es ist so viel mehr. Nämlich, das, was jetzt noch kommen wird, von dem beide gewusst haben, dass es kommen wird, aber keiner von beiden drüber geredet hat.

      Dem König sein Kopf war wie ein Kinoprojektor, auf dem eine Filmrolle durchdreht, weswegen man auf der Leinwand ganz viele Bilder auf einmal sieht und deswegen keines so richtig.

      Die Filmvorführung gestoppt haben die zwei Perser im Anzug hinter ihm. Mit Sonnenbrillen, obwohl an dem Tag gar keine Sonne geschienen hat. Jeder von denen hat einen Arm vom König gepackt, und zwar so, dass man es vom Marktplatz aus nicht gesehen hat. „Let’s go“, haben sie geflüstert, weil sie ja nicht gewusst haben, dass der König auch Farsi kann.

      Der König streichelt der Farah Diba noch einmal über ihre Hand, über die Samthandschuhe, flüstert ihr was ins Ohr, was ich dir jetzt nicht verraten werd, ihm aber später noch helfen wird. Und dann geht er mit ihnen.

      Wenn du jetzt aber glaubst, die bringen ihn gleich auf die Polizeiwache, dann täuscht du dich gewaltig. Weil, zum einen sind sie sich ja nicht sicher, ob es wirklich der falsche Schah ist, weil er ja genauso ausschaut wie der Reza Pahlawi. Und die Farah Diba so intim mit ihm ist und sie in der Nacht im Eisenhut noch intimer miteinander waren, was die SAVAK-Geheimdienstler sogar mitbekommen haben. Und zum anderen haben die Geheimdienstler schon zuhause im Iran die Leut nicht auf die Polizeiwache gebracht, um dann mit ihnen das zu tun, was sie jetzt mit dem König vorhaben. Weil, obwohl es im Iran alle gewusst haben, hat es keiner wissen dürfen. So ein bisserl wie bei den Nazis.

      Die beiden Geheimagenten geleiten den König also, noch wie einen Kaiser, ins Rathausinnere. Durch eine Holztür in das kühle Treppenhaus. Worin der König sich vorgekommen ist wie in einem Schneckenhaus. Als würde er nach oben geschraubt werden und gleichzeitig immer tiefer ins Innere vordringen. Aber eigentlich war es andersrum. Er ist aus dem Inneren der Macht wieder nach außen befördert worden, zurück zum „normalen“ Menschen. Der jetzt dazu gebracht werden sollte, zu sagen, warum er das gemacht hat. Ob er für die Amis arbeitet oder für die Russen. Damals war das ja alles noch ganz brisant; der Kalte Krieg. Da hat der eine Angst gehabt, dass der andere die Atombombe zündet und riesige Schwammerl wachsen, nicht nur im Wald von Grünwald oder im feuchten Taubertal an den Bäumen inmitten vom Moos.

      Neben den grauen, steinernen Treppenstufen hat sich ein ebenso steinernes Treppengeländer – abgerundet, ein Handschmeichler – nach oben geschoben. Die Agenten, die den König immer wieder ein bisserl geschubst haben, haben wunderbar in dieses Steinambiente gepasst. Und einmal, wie er fast gestolpert wär, weil ihm einer der beiden Büffel einen zu harten Stoß gegeben hatte, hat der König nach oben geschaut und sternförmige Verflechtungen mit Wappen an den Enden gesehen.

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