Der falsche Schah. Leonhard F. Seidl
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Die Türen knarzen wie in einem Horrorfilm. Es geht an wuchtigen Deckenbalken vorbei, mit kantigen Nägeln, die in Rothenburg nix Bsonders sind. Das Licht wird immer weniger. Das Schildl „Bitte nicht rauchen!“ kann er gerade noch lesen. „No Smoking!“ steht direkt drunter, in schöner, geschwungener Schrift, dass es für jeden Lehrer, außer für den König, eine Freude gewesen wäre – aber schon viel unfreundlicher. Vielleicht kriegt der König deswegen auf einmal Lust, eine zu rauchen, obwohl es ihm bis jetzt nie richtig geschmeckt hat. Als wollte er das ungute Gefühl mit einem unguten Geschmack in Rauch aufgehen lassen.
Dann geht’s leicht bergab und wieder rauf, ins Gebälk. Der Agent hinter ihm schnauft, hat vielleicht zu viel geraucht. Die Treppe wird enger. Die Steinwand gröber. Die Decke kommt näher. Wird schief. Der König muss an seine widerständische Tochter Aurelia denken. Bei dem Gedanken, dass sie gegen ihn protestiert hat, muss er schmunzeln. Ob sie schon in einer Zelle sitzt? Sein kleines Widerstandsgewächs. Ein stolzes Lächeln vertreibt die ungute Vorahnung.
Die nächste Tür ist mit Eisenstreben beschlagen. Der Putz quillt zwischen den groben Steinen heraus. Lebt. Nein, doch kalt und tot.
Und dann wird es endlich heller. Ein Fenster. Die Dächer. Die Häuser. Die schmalen Gassen. Die er kennt. Grün, mit lachendem Fenstergesicht. Weiß, von Fachwerk durchzogen, mit tausend Augen im roten Dach. Obwohl das Fenster fast blind ist von der Sonne, von Wind und Wetter. Blendung als Strafe, wenn man nicht gespurt hat. Wie im Frühmittelalter, ja, in unsere Breiten, mit einem rotglühenden Stückerl Eisen, das so nah an die Netzhaut gehalten worden ist, dass sie zerstört wurde und die Augenflüssigkeit ausgetrocknet ist. Ein Blick wie eine getrocknete Goji-Beere, die sich manche heut als Superfood ins Essen tun.
Bevor der König weiter drüber nachdenken hätt können – wenn er die Goji-Beeren damals schon gekannt hätt –, wie es sich anfühlt, eine Superbeere im Auge statt im Müsli zu haben, ist es die nächste Holztreppe raufgegangen, die noch enger war. Er hat also stattdessen darüber nachgedacht, dass im Byzantinischen Reich einmal geblendet worden ist, um die Kaisernachfolge zu verhindern, und hat sich gedacht: Passt!
Und hat sich den Schädel angehauen, dass für einen Moment gar nix mehr gepasst hat, weil die Tür, durch die sie ihn geschoben haben, so winzig war, der Schmerz und sein Schädel aber so groß und hoch und voller Bilder. Dann wieder ein Fenster. Nicht ganz so blind. Dahinter: rote Häuserdächer, verwitterte Schindeln. – Die Anna hat mal gesagt „Bunt schauen die alten Dächer aus“ und der König hat geantwortet: „Nein!“
Und dann war’s auch wieder gut, weil: Blick ins dunkelgrüne Taubertal. Treppauf, treppauf. Zwischen Latten, Balken und gekalkter Wand, noch ein Fenster, enger, höher, schmaler. Gitter vor dem winzigen Loch ins Freie, voller Taubenschiss. Die Stadtmauer, das Kirchdach, das Kreuz. Ein zweigeteiltes Fenster: das Hotel Eisenhut, Farah Diba, die letzte Nacht, Herrngasse, der Herrnbrunnen, der Burgturm, das Stadttor.
Die nächste Treppe erinnert an eine Speichertreppe, die man zuvor runterlassen muss. Das Letzte, was er sieht, bevor er raufsteigt, ist das gemalte Holzschild, das ausschaut wie eine Todesanzeige und auf dem, natürlich in Frakturschrift, steht: „Für Unfälle wird nicht gehaftet.“ An zwei kalten Eisengriffen zieht er sich am Ende der Leiter nach oben, saugt die tiefe Luft frisch ein. Er saugt die tiefe Luft frisch ein …? Aber hoppla! War dein Hirn grad genauso faul und hat das Überlesen? Lassen wir es mal so stehen, im Angesicht der verdrehten und brenzligen Situation.
Auf alle Fälle steht der König jetzt noch höher als er vorhin gestanden hat, bei seiner Rede. Was gar nicht so hoch war, weil er ja aus Sicherheitsgründen nicht auf dem Balkon des Rathauses gestanden hat, sondern unter den Altanen, wir einfachen Leut würden sagen: unter dem Balkon.
Er steht also da oben. Schaut hinunter auf die Leut, die ihm gerade noch zugejubelt haben. 220 Stufen später sehen deren Köpf aus wie Stecknadeln auf einem Stecknadelkissen; nur nicht so bunt. Oder wie Ameisen auf einem Haufen. Immer am Umeinanderwuseln, am Arbeiten und am Ratschen. Wenn’s um die Königin geht, um den Nachwuchs, dann kennen sie gar nix. Ein bisserl wie eine kollektive Helikoptermutter.
Ja, die Ameisen: Kurz bevor sie sterben, ziehen sie sich aus ihrem Haufen zurück und verenden jammerseelenallein, um die anderen nicht anzustecken. Das Kollektiv bedeutet alles, der einzelne nur dann etwas, wenn er was zum Kollektiv beiträgt. Da wird dem König bewusst, wie wenig der Einzelne auch da unten im Grunde doch zählt. Außer, er ist von Rang und Namen – wie er gerade, als Schah. Jetzt, wo ihn nicht mehr tausend Augen ehrerbietig anschauen, erlaubt er sich sogar ein kurzes Lächeln. Mal schauen, was ihm blüht, weil er gegen dieses ungeschriebene Gesetz verstoßen hat.
„Ganz schön hoch“, sagt der kleinere der zwei iranischen Geheimagenten wie nebenbei. Und schaut dabei durch seine Sonnenbrille nach oben, zum größeren. Wie ein Kind, das um Aufmerksamkeit heischt, zu seinem Vater. Vielleicht will er ja aufsteigen und Ober-Geheimdienstrat werden. Natürlich meint er mit „Ganz schön hoch“ den König. Oder? Obwohl der Kollege mit dem spitzen Kinn jetzt nickt. Und „Allerdings“ sagt. In welcher Sprache, das überlasse ich gerne deiner Fantasie, weil der König, der kann ja Deutsch, Englisch und Farsi, und ich weiß jetzt nicht, was du alles kannst. Und wenn ich dir jetzt da hinschreibe, was der SAVAK-Agent auf Farsi sagt, dann verstehst du das vielleicht nicht. Also bleiben wir mal beim Deutsch und beim Du, weil: persönlicher. Was wir jetzt schon alles zusammen erlebt haben und noch erleben werden, da kann man sich eigentlich gar nicht mehr siezen, oder?
„Eure Majestät befinden es vermutlich ebenfalls als hoch?“, sagt der Größere.
Der König antwortet darauf „Die Höhe ist eine Frage der Größe“ und versucht, nicht mehr nach unten zu schauen, auf das sechzig Meter entfernte, steinharte Kopfsteinpflaster.
Der Einmarsch des Kaisers
Der Schah und König lebten sozusagen nebeneinander her, auf zwei Kontinenten. Der eine in Asien, in einem Land, das damals noch Persien hieß und vor allem wegen des Öls interessant war für die Politiker im Westen. Der andere in Deutschland mit einem Vater, vulgo Hieronimus König, den sein Kübelwagen im Ersten Weltkrieg sogar bis nach Riga zur Antra kutschiert hatte. Ein fesches lettisches Mädel, die Haare so braun wie der Boden im Wald von Grünwald. Sachen hat der König mit ihr erlebt – aber auch mit ihrem Bruder, weshalb er zwei Wochen später noch nicht richtig hatschen hat können. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Der Vater war also genau da gewesen, wo der Lügenbaron Münchhausen einige Jahre gelebt hat, was wir als wegweisendes Indiz für die Lebensgeschichte vom Bartholomäus König werten könnten, aber derselbe würde uns da vehement widersprechen, wenn er könnte, weil er sich nie als Lügner empfunden hat. Außer vielleicht, wenn man Lügen als eine Kunst begreifen tät.
Würde man hier schon zum zweiten großen Weltkrieg oder in dessen nähere Umgebung vorspulen, dann bekämen wir nochmal eine höchst interessante Lage, weil der Vater vom Schah den Hitler ganz pfundig gefunden hat, was die Engländer und Russen weniger pfundig gefunden haben. Da sind wir, bis auf leider wieder mehr werdende, unverbesserliche Ausnahmen, heute schon auf der Seite der Engländer und Russen. Ganz im Gegensatz zum Vater vom König. Aber dazu später mehr, bevor ich euch zu sehr verwirre. Weil, so eine Geschichte ist ja wie ein Vier-Gänge-Menü: Aperitif, Vorspeise, Hauptspeise, die auch der Höhepunkt ist, und die